Hélène Ménard / Rosa Plana-Mallart: Contacts de cultures, constructions identitaires et stéréotypesdans l'espace méditerranéenn antique (= Collection "Mondes anciens"), Montpellier: Presses universitaires de la Méditerranée 2013, 162 S., zahlr. Abb., ISBN 978-2-36781-030-0, EUR 21,00
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In diesem Band, hervorgegangen aus zwei von den Herausgeberinnen an der Maison des Sciences de l'Homme de Montpellier organisierten Tagungen, steht im Bemühen, die Komplexität der Fragestellung "Kulturkontakt" näher zu beschreiben - ein Begriff im Mittelpunkt, der für die insbesondere in den 1980er- und 1990er-Jahren zahlreich durchgeführten Analysen über die antike Ethnografie zentral war. Es wird gefragt, welche Rolle Stereotypen in der Konstruktion von Identität spielen, weil derartige Konstruktionen die Grundlage für die Einschätzung und Beurteilung des 'Anderen' darstellen und somit auch für das Verhältnis zwischen 'Kulturen'. Das Mittelmeer, als große offene Begegnungszone betrachtet, bildet den geografischen Rahmen für die Untersuchungen. Diese selbst werden im Band jedoch 'traditionell' nach den Begriffen Hellenisierung und Romanisierung gegliedert. Dem vorausgehend wird im einleitenden ersten Teil der Begriff Stereotyp als Grundlage der Identitätskonstruktion erörtert, um so den theoretischen und methodischen Rahmen für die einzelnen Beiträge zu umschreiben.
Zu Recht stehen die Feststellungen von Philippe Boissinot am Beginn, dass der keineswegs eindeutige Begriff Stereotype von Historikern und Archäologen sehr ähnlich verwendet wird. Mithilfe von Stereotypen werden Gruppen Identitäten attribuiert, um dann diese Attribute sowohl als objektive Marker als auch als subjektiv konstruierte Identitäten zu interpretieren. Der schon hier gegebene Hinweis, dass diese Wechselbeziehung sowohl in antiken Identitätskonstrukten als auch in den modernen wissenschaftlichen 'Rekonstruktionen' antiker Gegebenheiten eine gewichtige Rolle spielt, ist eine Erkenntnis, von der alle Beiträge im Band ausgehen.
Dann werden Beispiele für die Funktion von Stereotypen geboten: Die Verfestigung der Bewaffnung der Kelten, wie sie am Anfang des 3. Jahrhunderts v.Chr. beobachtet wurde, zu einer Formel, die wegen der fehlenden Rücksicht auf den Wandel der keltischen Bewaffnung zur Stereotype als Marker für 'keltisch' wird und sich auf republikanischen Münzen ebenso findet wie am Triumphbogen von Orange im 1. Jahrhundert n.Chr. (Lionel Pernet). Die verschiedenen Formen des Barbarenstereotyps als Projektionen von den Samniten bis zu den Kelten als Teil der politischen Kommunikation der römischen Senatoren in der ausgehenden Republik (Charles Parisot-Sillon / Arnaud Suspène). Und in einer teilweisen Umkehr der Perspektive der Hinweis darauf, dass die Formel 'Philosophengesandtschaft' reduktionistisch ist (Eric Perrin-Saminadayar), weil die vielen von den griechischen Städten nach Rom geschickten Gesandtschaften zwischen 230 und 31 v.Chr. bewusst nicht nur aus Politikern, sondern auch aus Philosophen bestanden, um über eine möglichst große Breite an realen personellen Beziehungen zur römischen Aristokratie zu verfügen.
Die Beiträge unter der Überschrift 'Hellénisation' tendieren zu einer Dekonstruktion dieses Konzeptes, unter anderem mit der Begründung, dass an der Begegnung von Griechen und Nicht-Griechen kein Imperium, wie das Rom war, beteiligter Partner gewesen sei. Auf der anderen Seite sei jeder als Alternative vorgeschlagene Begriff ebenfalls mit den Präokkupationen des jeweiligen Autors verknüpft. Die vor dieser Erkenntnis gegebenen Vorschläge lauten, einen der beiden Begriffe Akkulturation oder Appropriation zu verwenden, und spiegeln damit das Pendeln in der Betrachtung kultureller Begegnungen zwischen den an ihnen beteiligten Akteuren als 'Produzenten' oder 'Rezipienten' wider. Die Beispiele, an denen diese Überlegungen vorgetragen werden, sind eine Wortgeschichte des Begriffs 'hellénisation' in der französischen wissenschaftlichen Literatur (Réjane Roure) und eine Skizze des Banketts (Arianna Esposito), das schon in der Antike zum Stereotyp wurde, weil dessen historische Veränderungen in der Selbstbespiegelung und der Abgrenzung von den Barbaren ausgeblendet wurden. Am Beispiel der kulturellen Kontakte am Schwarzen Meer wird eindringlich deutlich gemacht (Alexandre Baralis), wie sehr die 'Anteilnahme' für eine Seite der Kontaktpartner von modernen (auch politischen) Perspektiven bestimmt ist.
Etwas anders als Hellenisierung wird der Begriff der Romanisierung eingeschätzt. Die Voraussetzung dafür ist, dass von der Vorstellung einer römischen 'kulturellen Mission' abgegangen und stattdessen der Aspekt einer auf Effizienz ausgerichteten Verwaltung des römischen Imperiums in den Vordergrund gestellt wird. In den allgemeinen Überlegungen am Anfang des Abschnitts heißt es (Jean-Luc Fiches), dass Romanisierung nicht nur in eine Richtung ging, nicht auf Homogenisierung ausgerichtet war, sondern einen evolutiven Prozess darstellte. Auf den Nordosten Galliens bezogen wird die Vorstellung einer raschen Romanisierung zu der einer langsamen Bewegung korrigiert (Michel Reddé), die keine umfassenden Veränderungen hervorrief, sondern auch Parallelkulturen zuließ. Und in der Beurteilung der römischen 'Kolonisation' von Nordafrika wird wie im Kontext der Überlegungen zum Schwarzen Meer auf die große Bedeutung moderner Erfahrungen und Interessen hingewiesen (Meriem Sebaï), besonders interessant in der Parallelisierung des 'indigenen' Verhaltens gegenüber den Römern mit dem der französischen Résistance gegenüber den Deutschen. Romanisierung zeigt sich hier von den politischen, religiösen und sozio-politischen Notwendigkeiten der afrikanischen Eliten geleitet, ohne dass ethnische Kategorien dabei eine Rolle gespielt hätten.
Dieser Band zeigt, dass mit dem etwas an den Rand der aktuellen Debatten über Kulturkontakt verschobenen Begriff der Stereotype die antiken Diskurse sehr gut an die modernen herangerückt werden können, wodurch die Analyse beider an Transparenz gewinnt. Michel Bats sieht in seiner kurzen Zusammenfassung der Beiträge vor allem den Begriff der Akkulturation im Sinn eines reziproken Verhältnisses gewinnbringend erweitert. Der Band ist für jeden, der sich in irgendeiner Form mit Kulturkontakt beschäftigt, unbedingt lesenswert. Die Lektüre der Beiträge macht allerdings auch klar, wie sehr eine Zusammenführung nicht nur der jeweils 'national-europäischen' mit den sogenannten anglofonen Diskussionssträngen wichtig ist, sondern auch die der verschiedenen europäischen Diskurse über kulturelle Beziehungen in der Antike.
Christoph Ulf