Rezension über:

Mirko Breitenstein / Julia Burkhardt / Stefan Burkhardt (eds.): Rules and Observance. Devising Forms of Communal Life (= Vita regularis. Ordnungen und Deutungen religiosen Lebens im Mittelalter; Bd. 60), Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2014, X + 303 S., 8 Farb-, 2 s/w-Abb., ISBN 978-3-643-90489-8, EUR 39,90
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Rezension von:
Martina Wehrli-Johns
Zürich
Redaktionelle Betreuung:
Ralf Lützelschwab
Empfohlene Zitierweise:
Martina Wehrli-Johns: Rezension von: Mirko Breitenstein / Julia Burkhardt / Stefan Burkhardt (eds.): Rules and Observance. Devising Forms of Communal Life, Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2014, in: sehepunkte 15 (2015), Nr. 1 [15.01.2015], URL: https://www.sehepunkte.de
/2015/01/25579.html


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Mirko Breitenstein / Julia Burkhardt / Stefan Burkhardt (eds.): Rules and Observance

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Der vorliegende Band vereint die Beiträge zu drei Podiumsveranstaltungen, die die Herausgeber 2012 auf dem 'International Medieval Congress' in Leeds organisiert hatten. Ihre Thematik steht in engem Zusammenhang mit zwei miteinander kooperierenden Projekten an den Akademien der Wissenschaften in Leipzig und Heidelberg, die sich die Erforschung der Klöster im Hochmittelalter unter dem besonderen Aspekt ihrer Rolle als "Innovationslaboratorien europäischer Lebensentwürfe und Ordnungsmodelle" zum Ziel gesetzt haben.

Wie der Titel "Rules and Observance" ausdrückt, ging es in Leeds primär darum, den grundlegenden Ordnungsprinzipien klösterlichen Zusammenlebens und ihren Durchsetzungsmodalitäten durch vergleichende Betrachtung verschiedener Ordensverbände vom 13. bis zum 15. Jahrhundert nachzugehen. Unterteilt wird der Tagungsband in vier Sektionen unterschiedlicher Länge, deren Titel (I. Creation of Norms, II. Enforcing Norms, III. Transfer of Norms, IV. Symbolism of Norms) zugleich das konzeptionelle Gerüst des Bandes bilden. Allein sechs der insgesamt 13 Aufsätze sind den Franziskanern gewidmet, nur zwei den Dominikanern und jeweils einer dem italienischen Eremitenorden der Kamaldulenser und den Karmelitern, drei weitere greifen ordensübergreifende Fragen auf.

Hinsichtlich der Franziskaner ist bei allen Autoren und Autorinnen ein auffälliger Paradigma-Wechsel zu konstatieren: Nicht die Armut steht im Zentrum ihrer Überlegungen, sondern der Gehorsam. So untersucht Nicholas W. Youmans ("Non sic erit inter fratres. Internal Structures of Obedience in Early Minorite Relational Constructs") anhand der frühen Regeltexte und päpstlichen Regelauslegungen den dynamischen Wandel im Autoritätsverständnis des Ordens. Ausgehend vom anfänglichen Ideal einer nur dem Evangelium und dem eigenen Gewissen unterworfenen Brüdergemeinschaft in der Regula non bullata führt die Entwicklung in der Regula bullata und der Bulle Quo elongati zunächst zu einer Stärkung der Macht der Generalminister, um dann nach der Absetzung des Bruders Elias von Cortona (1239) bis zur endgültigen Festlegung der Ordensstruktur in den Konstitutionen von Narbonne (1260) das Gewicht zugunsten der General- und Provinzialkapitel zu verschieben. Diesen Gedanken aufgreifend, analysiert Jens Röhrkasten ("Franciscan Obedience and Disobedience in Practice") die sich in der Praxis aus diesem Wandel ergebenden Konflikte zwischen Gehorsam und Ungehorsam, die durch die rapide Expansion des Ordens noch weiter verschärft wurden. Amanda Power ("The Problem of Obedience among the English Franciscans") wirft die interessante Frage auf, inwieweit Franziskus, der in seinem Testament den Begriff des spirituellen Gehorsams gegenüber der Regel geprägt hatte, für seine Mitbrüder in den ersten Jahrzehnten nach der Gründung des Ordens überhaupt als Autorität wahrgenommen wurde. Sie verneint diese Frage mit Blick auf die englische Ordenshistoriografie und macht neue Zielkonflikte für die Rebellion der Brüder aus, etwa, wenn sich diese zwischen ihren Ordensoberen und dem Gehorsam gegenüber der bischöflichen und weltlichen Gewalt entscheiden mussten.

Ganz anders stellte sich die Obedienz-Frage wiederum im Zeitalter der franziskanischen Reformbewegungen. Anna Campbell ("St Colette of Corbie and The friars 'of the bull'. Franciscan Reform in Fifteenth Century France") verfolgt die Entwicklung der von Colette von Corbie († 1447) ausgehenden Reform, die sich anfänglich auch auf die Brüderkonvente erstreckte. Nach dem Willen der Stifterin sollten diese weiterhin - wie die Klöster der sogenannten Martinianischen Reform - unter der Befehlsgewalt der Minister des Ordens verbleiben und nicht den Vikaren der Observanten unterstellt werden, was sich nach der Bulle Eugens IV. Ut sacra ordinis minorum (1446) trotz Unterstützung von Seiten der Herzöge von Burgund und des Hauses Savoyen zunehmend als schwierig erwies. Bert Roest ("Sub humilitatis titulo sacram scientiam abhorrentes. Franciscan Observants and the Quest for Education") untersucht die Haltung der Observanten gegenüber der Bildung, was im weiteren Sinn auch mit der Obedienz-Frage zu tun hat, insofern die Observanten sub vicariis, nachdem sie unter Bernardin von Siena und Johannes von Capistrano ihre ursprüngliche, von den Spiritualen übernommenen Wissenschaftsskepsis aufgegeben hatten, nun bestrebt waren, ein eigenes Studiensystem nach ihren Vorstellung als Vorbereitung für die Predigt aufzubauen. Roest versteht seinen Beitrag, der mit vielen interessanten neuen Befunden aufwarten kann, als Ergänzung zu seiner umfangreichen "History of Franciscan Education (c. 1210-1517)". [1]

In ihrem kurzen Werkstattbericht zu einem laufenden Dissertationsprojekt greift Leonie Silberer ("Medieval Monastic Architecture of the Franciscan Order. Friaries as Evidence of Written and Unwritten Rules and Ideal Perceptions") eine These von Matthias Untermann über die 'duale Anlage' franziskanischer Klöster in der Provinz Sachsen auf. [2] Wie allgemein bekannt, wurden die Franziskanerklöster seit dem 13. Jahrhundert von den Städten als Versammlungsort des Rates und der Bürgerschaft genutzt. Mit der 'dualen Anlage' waren Silberer zufolge die Klausurgebäude der Brüder strikt getrennt von der Kirche und anderen der Öffentlichkeit zugänglichen Gebäuden. Zudem ergab sich die Möglichkeit, bei der baulichen Gestaltung dieser Konvent-Gebäude stärker den Armutsgeboten des Ordens nachzufolgen als dies bei den Kirchen der Fall war. Um Ordensarchitektur geht es auch im Beitrag von Nicolangelo D'Acunto über die Kamaldulenser ("Camaldolese Settlements. Hermitages and Monasteries as Sites of Conflict between Different Projects of Religious Life"). Er weist darauf hin, dass die Anlage des Gründungsklosters in Camaldoli anders als bei den Zisterziensern zunächst nicht die Architektur der späteren Ordensniederlassungen in Italien bestimmt hatte, dass jedoch seit dem 15. und 16. Jahrhundert im Sinne einer Rückbesinnung auf die Ursprünge die Tendenz vorhanden war, wieder zu den eremitischen Idealen von Camaldoli mit ihrer räumlichen Trennung von Brüderzellen und der Öffentlichkeit zugewandten Hospitalgebäuden zurückzukehren. Die Karmeliter, deren Entwicklung im 13. und frühen 14. Jahrhundert Coralie Zermatten ("The Change of Propositum within the Carmelite Order") verfolgt, hatten offenbar nach ihrer Anerkennung als Bettelorden mit einer den Dominikanern nachempfundenen Regel gleichfalls das Bedürfnis durch den Rückgriff auf ihr ursprüngliches propositum vitae, das in kanonisch-rechtlichem Sinn noch gar keine Regel darstellte, das eigene Ordensprofil im Sinne ihrer eremitischen Herkunft zu schärfen.

Warum der Predigerorden auf die konstitutionelle Entwicklung der übrigen Bettelorden einen so großen Einfluss genommen hat, liegt für Florent Cygler ("Le rayonnement des constitutions dominicaines au XIIIe siècle: quelques brèves observations") daran, dass seine in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts ausgebildete Ordensverfassung hinsichtlich Rationalität und Funktionalität als perfektes Ergebnis der Konstitutionalisierung einer monastischen Korporation angesehen werden kann, wie bereits der Kirchenhistoriker Albert Hauck festgestellt hat. Das brachte die Prediger nicht an die Spitze einer neuen Ordensfiliation, wohl aber einer gleichartig strukturierten Rechtsgemeinschaft unabhängiger Ordensverbände. Im zweiten Beitrag zu den Dominikanern untersucht Julia Burkhardt ("Poverty in 13th century Dominican writing") die Bedeutung der Armut im Predigerorden. Sie stellt fest, dass das Thema Armut in den normativen und erzählenden Texten dominikanischer Herkunft nicht die gleichen fundamentalen Auseinandersetzungen auslöste wie bei den Franziskanern, was sicherlich zutreffend ist. Gerade mit Blick auf den von ihr erwähnten Pariser Mendikantenstreit wäre es aber dennoch lohnend gewesen, anhand etwa von Thomas von Aquin etwas genauer auf die fundamentalen Unterschiede zur Armutsauffassung der Franziskaner hinzuweisen, die bekanntlich später auch zu schweren Konflikten zwischen den beiden Orden führten.

Die drei ordensübergreifenden Beiträge durchbrechen etwas diese Fokussierung auf die Bettelorden. Stefan Burkhardt ("Monasteries as 'laboratories of time'") zeigt, wie die Klöster seit der Spätantike das Wissen der Römer, Griechen und Araber über die Zeitmessung tradierten und weiterentwickelten. Der streng geregelte Tagesablauf im Kloster und die Bedeutung des Kalenders für das Kirchenjahr, setzten ihm zufolge ein theoretisches und praktisches Interesse an Astronomie und Instrumenten für die Zeitmessung voraus, das sich verband mit theologisch-philosophischen Reflexionen zum Zeitbegriff und eschatologischer Heilserwartung. Die Rezeption der Novizen-Unterweisung des Hugo von St. Viktor, eines Schlüsseltextes monastischer Erziehungslehre, steht im Zentrum des Beitrages von Mirko Breitenstein ("The Success of Discipline. The Reception of Hugh of St Victor's De institutione novitiorum within the 13th and 14th century"). Besonders wirkmächtig sei dabei Hugo's Definition von disciplina gewesen. Als Lehre vom richtigen Verhalten im Kloster fand der Text vor allem Eingang bei den Dominikanern, aber auch im weltlichen Bereich bei der Fürstenerziehung. Jörg Sonntag ("Obedience in High Medieval Monastic sources. Some Brief Remarks in Light of Ritual") greift nochmals das Thema des Gehorsams auf. Der Gehorsam gegenüber Gott und seinem Stellvertreter im Kloster bildete nach seiner These den Grundpfeiler monastischen Lebens, musste jedoch durch bestimmte Rituale stets aufs neue symbolisch bestätigt werden, wie etwa bei der Einsetzung eines neuen Abtes, bei der Fußwaschung in der Karwoche und der Sterbezeremonie eines Bruders.

So werden ganz verschiedene Aspekte mittelalterlichen Klosterwesens punktuell in den Blick genommen und mithilfe des vorgegebenen konzeptionellen Rasters der Setzung, Verstärkung und Übertragung von Normen neu befragt. Nicht alles ist dabei für die Spezialisten vollkommen neu, aber auch sie werden den anregenden Band mit Gewinn zur Hand nehmen und sich freuen über den frischen Wind in der Ordensforschung, der von allen Bänden dieser Reihe auszugehen scheint.


Anmerkungen:

[1] Bert Roest: A History of Franciscan Education (c. 1210-1517) (= Education and Society in the Middle Ages and Renaissance, Bd. 11), Leiden 2000.

[2] Matthias Untermann: The Mendicant dual Cloisters in Northern Germany, in: Medieval Europe, Paris, Pre-printed Papers (http://www.ub.uni-heidelberg.de/archiv/7784/; September 2007).

Martina Wehrli-Johns