Elisabeth Fairman (ed.): Of Green Leaf, Bird, and Flower. Artists' Books and the Natural World, New Haven / London: Yale University Press 2014, 248 S., zahlr. Farbabb., ISBN 978-0-300-20424-7, GBP 40,00
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Das Thema des Bezugs von Naturwissenschaft und Kunst ist seit einigen Jahren in der Kunstgeschichte bei unterschiedlicher Schwerpunktsetzung aktuell - sei es die Funktionsweise der Sinnesorgane, die Weiterleitung von Sinneseindrücken an das Gehirn, sei es der Einfluss naturwissenschaftlicher Abbildungswerke auf die Kunst wie Ernst Haeckels Publikationen zu Unterwasserlebewesen auf die Künste um 1900. In den letzten Jahren ist das Phänomen der Kunst- und Wunderkammer mit ihrer parallelen Präsentation von Gegenständen der natürlichen Welt in verschiedenen Bearbeitungszuständen einerseits und von Kunstwerken andererseits in den Mittelpunkt gerückt und hat zu Gestaltungs- und Ausstellungsideen angeregt.
Die Ausstellung und der begleitende Katalog "Of Green Leaf, Bird and Flower. Artists' Books and the Natural World" des Yale Center for British Art widmet sich einem besonderen Bereich in der Beschäftigung mit der Natur - Publikationen und Sammelwerken zu Flora und Fauna. Dabei geht es sowohl um historische Werke - nicht nur Veröffentlichungen, sondern auch Herbarien - und um Arbeiten zeitgenössischer Künstler und Künstlerinnen, die wiederum durch solche Sammelwerke inspiriert sind. Das Thema wird zudem in der Gestaltung des attraktiven Kataloges aufgegriffen, der auf der Innenseite des Rückendeckels mit einer Lasche ausgestattet ist, in der gesammelte Pflanzen verwahrt werden könnten. Auch die Gliederung des Kataloges erweist sich als inspiriert durch entsprechende Publikationen des 19. Jahrhunderts, z.B. mit dem Titel "Field Guide to the British Countryside", welche als Anweisung zum Sammeln und als Hilfestellung zum Identifizieren hauptsächlich von Pflanzen dienten.
Am Anfang des Ausstellungskatalogs finden sich Aufsätze, die in die historischen Publikationen einführen. Die Herausgeberin Elisabeth R. Fairman gibt eine allgemeine Einleitung in das Thema der Ausstellung, in die Geschichte dieses Sammlungsschwerpunkts am Yale Center for British Art und die Bedeutung der englischen Landschaft und der Natur für den Gründer des Museums, Paul Mellon. Es geht ihr weiterhin zum einen um die Erkenntnismethoden und Erkundungsverfahren in Hinblick auf die Natur seit dem 15. Jahrhundert, wobei ein früher Höhepunkt das "Helmingham Herbal and Bestiary" aus der Zeit um 1500 bildet, ansonsten der Schwerpunkt jedoch auf Arbeiten des späten 18. und des 19. Jahrhunderts liegt. Es wird stets analysiert, wie die Erkenntnisse und Beobachtungen künstlerisch umgesetzt, übersetzt und weiterverarbeitet werden. Ziel dieser historischen Werke sei es, wie auch in der zeitgenössischen Kunst, die Natur in ihren Erzeugnissen "to document, interpret, and celebrate" (5) und dieses zu vermitteln. In der Gegenüberstellung von historischen und zeitgenössischen Werken wird eine Kontinuität der visuell-künstlerischen Naturerkundung dokumentiert. Vorgestellt werden die unterschiedlichen Arten der Naturaneignung und Erkundung, das Verhältnis von wissenschaftlicher Erfahrung und künstlerischer Umsetzung ebenso wie das Artikulieren einer Verbundenheit an die Natur und ihrer jeweiligen Umgebung. Viel Aufmerksamkeit kommt dem 19. Jahrhundert zu, das durch sein Bildungsanliegen, die drucktechnischen Möglichkeiten und den Aufbau eines Bahnnetzes die Grundlagen schuf, dass sich breite Bevölkerungskreise mit der Natur beschäftigen konnten. Preiswerte Publikationen leiteten zum Betrachten und Identifizieren von Pflanzen, zum Aufbau einer eigenen Sammlung an.
Robert McCracken Peck geht in seinem Aufsatz der Entwicklung der Naturwissenschaften anhand der Publikationen und deren Anliegen nach, wobei die Erkundungsreisen des 18. Jahrhunderts und die verschiedenen Klassifizierungssysteme angeführt werden, von denen sich dasjenige von Linnaeus durchsetzen konnte. Ein zweiter Schwerpunkt gilt dem 19. Jahrhundert mit seinen Neuerungen, darunter die Grundlagen, dass Frauen und Arbeiter durch preiswerte Handbücher Freizeitgestaltungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten sowie Anregungen zum Aufenthalt in der Natur erhielten. Peck stellt die unterschiedlichen Werke in der Sammlung des Museums vor, die wiederum Vorbildcharakter für die zeitgenössischen Arbeiten besitzen.
Der Aspekt der künstlerischen Interpretation der Natur in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wird in dem Aufsatz von Molly Duggins aufgegriffen. Sie schildert, wie aus der Verbindung von rationalem Forschungsinteresse und romantischer Grundeinstellung Werke entstanden, in denen sich Nutzen und Schönheit verbinden. Durch die Anregungen aus der Natur kam es jeweils zu einer Verbindung von Natur und Kunst, wie sie durch John Ruskin befürwortet wurde. Duggins stellt verschiedene Publikationen, unterteilt nach Gruppen in Abhängigkeit von Vorgehen und Zielsetzung, vor. Darunter finden sich Werke, welche die Natur aus Erkenntnisstreben und aus Übungsgründen imitieren, solche, die die Natur übermitteln, und solche, in denen die Natur eine Erinnerungsfunktion und einen persönlichen Wert innehat.
David Burnetts Aufsatz wiederum stellt die Arbeiten der weitgehend vergessenen Künstlerin Margaret Tournour (1921-2003) vor, die - in der Tradition des späten 18. Jahrhunderts, vertreten u.a. durch Thomas Bewick, William Blake und Samuel Palmer - die Natur in Holzstichen erkundete.
Wie die historischen Werke selbst, so verbinden sich auch in dem Katalog Wissenschaft - in Form der Aufsätze und der Analyse der historischen Werke - und Kunst, welche die historischen Vorbilder vielfältig rezipiert. Der eigentliche Katalogteil orientiert sich in der Gliederung an dem "Field Guide to the English Countryside" und stellt historische und zeitgenössische Arbeiten in einem sinnvollen und erhellenden Gegenüber vor. Auf die verschiedenen Pflanzengruppen folgen Vögel, Insekten, Kleinlebewesen, Gärten, Landschaften, Seen und Flüsse. In diesen durch Abbildungen bestimmten Partien erfolgen knappe historische Erläuterungen und finden sich Texte der Künstler zu ihren Werken. Die persönlichen Statements fungieren als Einstieg für eine intensive Beschäftigung mit den Arbeiten, die auch durch die Gegenüberstellung angeregt wird. Die Künstler bedienen sich zumeist der Form des Herbariums oder der Zeichnung der Natur. Sie regen damit zu einem genauen Hinsehen an, zu einer intensiveren Wahrnehmung der Umgebung und zu einem Reflektieren des Verhältnisses des Menschen zur Natur in der Gegenwart. So konzipiert Tracey Bush scherenschnittartige Blumensilhouetten von erstaunlichem Naturalismus aus Verpackungen, bei denen bei genauem Betrachten die Namen und Logos internationaler Firmen deutlich zu erkennen sind. Sie will damit auf das Markenbewusstsein der Menschen hinleiten, das in markantem Gegensatz zu ihrer Naturkenntnis steht. So verweist sie darauf, dass die meisten Menschen ohne Probleme die Marken erkennen, aber kaum mehr die Pflanzen in der Natur benennen können.
Der Katalog verbindet somit auf eine attraktive, anregende und informierende Weise eine knappe, aber solide und gründliche Einführung in die visuelle Umsetzung der naturkundlichen Erkenntnisse besonders des 18. und 19. Jahrhunderts und die Vorstellung von Arbeiten zeitgenössischer Künstler, die dieses Erkenntnisinteresse und die Auseinandersetzung mit der Natur aufgreifen, aber mit geändertem Ansatz und in Hinblick auf zeitgenössische Probleme umsetzen - gerade unter Berücksichtigung von Klimaschutz und Naturverlust.
Michaela Braesel