Daniela Hammer-Tugendhat / Ivo Hammer / Wolf Tegethoff: Haus Tugendhat. Ludwig Mies van der Rohe, Basel: Birkhäuser Verlag 2015, 270 S., ISBN 978-3-99043-503-8, EUR 59,95
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Neuerdings erstrahlt das Haus Tugendhat wieder in altem Glanz. Die aufwendige Sanierung des Hauses in den Jahren 2010 bis 2012, das seit 2001 zum Weltkulturerbe der UNESCO zählt, hat eine Neuausgabe der 1998 im Springer-Verlag Wien erschienenen Monografie begründen können. Gegenüber der Erstausgabe sind einige Veränderungen vorgenommen, die sich aus den aktuellen Bedingungen ergeben. Der Essay von Franz Schulze, dem Biografen des Architekten, mit dem Titel "Mies van der Rohe: Werk und Denken" ist weggefallen, ebenso die "Charta von Venedig" aus dem Jahr 1964, die inzwischen im Internet greifbar ist. Stattdessen wurde ein umfangreicher Bericht über die konservierungswissenschaftliche Untersuchung, Sanierung und Restaurierung des Hauses aufgenommen. Federführend verfolgte Ivo Hammer in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der internationalen Expertenkommission zur Restaurierung des Hauses (THICOM) das Anliegen der Familie, es in seinen ursprünglichen Zustand zurückzuversetzen und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Zahlreiche Widerstände waren zu überwinden, seien sie sachlicher, administrativer oder pekuniärer Art. Umso bewundernswürdiger ist das Ergebnis, das den Akteuren einen denkbar langen Atem abverlangte. Am Spektakulärsten erscheint der Fund von zehn originalen Massakar-Panelen, die ursprünglich den Essbereich räumlich fassten und im einstigen Vergnügungsraum der SS im Gestapo-Hauptquartier in Brno wiederentdeckt wurden (216).
Die jüdische Familie sah sich durch das NS-Regime im Frühjahr 1938 zur Flucht in die Schweiz gezwungen. Im folgenden Jahr beschlagnahmte die Gestapo das Haus, im Januar 1942 ließ sich das Großdeutsche Reich als Eigentümer ins Grundbuch der Stadt eintragen. 1950 ging der Eigentumstitel auf den tschechoslowakischen Staat über, der ihn 1962 an die Kreisanstalt für Gesundheitsfürsorge der Stadt Brno übertrug. Von 1950 bis 1980 wurde das Haus als Zentrum für Gymnastik und Physiotherapie genutzt. Der Eintrag in die Liste der Kulturdenkmale im Jahr 1963 konnte nicht verhindern, das Haus Tugendhat als Gästehaus für hochrangige Besucher der Stadt Brno in Dienst zu nehmen, was zu verhängnisvollen Eingriffen und Veränderungen führte. Am 1. Juli 1994 eröffnete schließlich der Bürgermeister das Haus als Museum. Die wechselvolle Geschichte hat jeweils unverkennbare Spuren hinterlassen, die mit den künstlerischen Intentionen des Architekten unvereinbar waren. Daher erschien die grundlegende Erforschung der materiellen Überlieferung des Hauses ein primäres Anliegen, um auf dieser Grundlage zu einer geeigneten Sanierung des Hauses Tugendhat aus dem Geist Mies van der Rohes zu gelangen. Dass die Nachkommen der Bauherren sich als sachkundige Experten für die Belange des Kunstwerks unermüdlich einsetzten, kann als einzigartiger Glücksfall gelten.
Die Recherchen in Vorbereitung der Restaurierung haben neues Material, vor allem umfangreiches Bildmaterial, zu Tage gefördert, das Eingang in die Neuausgabe des Buches gefunden hat. Zu nennen sind nicht nur Schwarz-Weiß-Aufnahmen, die das heitere Leben der Familie im Haus Tugendhat widerspiegeln, sondern auch Bildmaterial, das die verschiedenen Zustände des Hauses im Laufe seiner Geschichte dokumentiert. Fritz Tugendhat, ein passionierter Amateurfotograf, auf den das Bildmaterial in großen Teilen zurückgeht, hat schon frühzeitig die Farbfotografie eingesetzt und das Porträt und das Stillleben zu seinen favorisierten Sujets gewählt. Diese Bilder, Pinatypien und Duxochromien, sind gerade aus privater Hand äußerst rar und werden von Daniela Hammer-Tugendhat in einem knappen einleitenden Essay vorgestellt.
Zu den Bildquellen gesellen sich Schriftquellen, etwa der überaus wichtige Vortrag von Grete Tugendhat, der Bauherrin, den sie 1969 im Haus der Kunst in Brno hielt. Sie berichtete, dass die Weißenhofsiedlung in Stuttgart sie sehr beeindruckt habe, wo Mies van der Rohe nicht nur einen Geschosswohnungsbau mit offenen Grundrissen errichtete, sondern auch als Stadtplaner den Bebauungsplan verantwortete. Darüber hinaus erwähnte sie, dass Mies van der Rohe ihnen im Vorfeld das Haus Wolf in Guben zeigte, was ihr außerordentlich gefallen habe. Hier wird der offene, für das Künstlerische affine Geist von Grete Tugendhat erkennbar, die es für bemerkenswert hielt, dass Mies bei Gelegenheit sagte, dass "man [...] die idealen Maße eines Raumes nie berechnen [könne], man müsse den Raum fühlen, wenn man in ihm stehe und sich in ihm bewege." (20) Die Aussage ist fulminant, bleibt aber leider uninterpretiert. Man könnte sie mit Hermann Sörgels "Architekturästhetik" von 1921 sezieren, der dafür hielt, dass die Zweckforderungen eine Sache des Verstandes (mens) seien, die Materialien eine Sache der Sinne (sensus), die Proportionen aber eine Sache der Seele (anima), d.h. des Gefühls. Man könnte der bezwingenden Aussage von Mies aber auch mit Kandinskys Traktat "Über das Geistige in der Kunst" insofern zu Leibe rücken, als der Maler das Gefühl zur zentralen und letzten Instanz der künstlerischen Entscheidung erhob. Mies kannte Kandinsky schon früh und erwarb zwei Landschaften aus dem Jahr 1911, und zwar die "Herbstlandschaft" und "Winter II" (vgl. Roethel / Benjamin: Cat. Raisonné Oil-Paintings, Vol.1, 1982, 363f.).
Bedauerlich ist zudem, dass der Begriff des fließenden Raums, der seit 1947 in aller Munde ist, nachdem das Museum of Modern Art die erste Retrospektive zum Werk von Mies ausgerichtet hatte, keine Exegese erfahren hat. Denn die Qualität des fließenden Raums gilt seitdem als künstlerische Tat und einzigartiges Surplus der Architektur Mies van der Rohes. Der Begriff - man weiß das inzwischen - geht auf Novalis zurück, der aus romantischer, spekulativer Gesinnung Raum und Zeit verschränkte, das entscheidende Bestimmungsmerkmal der Zeit, das Fließen, für den Raum in Anspruch nahm, während er das entscheidende Bestimmungsmerkmal des Raums, dass er starr sei, für die Zeit reklamierte. So gelangte er zu dem weitgehend unverstandenen Satz, dass Zeit fließender Raum ist, Raum erstarrte Zeit. Paul Klee hat den Meistern am Bauhaus den denkwürdigen Topos erschlossen, da er es als seine Aufgabe betrachtete, den Bildkünstlern und Architekten in Abgrenzung gegen Lessings "Laokoon" die Möglichkeit zu eröffnen, die Zeitdimension in ihre Werke zu integrieren. Klee wusste, dass damit erhebliche Schwierigkeiten verbunden waren, aber die von Albert Einstein erschlossene Einheit von Zeit und Raum stellte sich ihm als ungeheure Herausforderung dar, das von der modernen Physik enthüllte Weltgeheimnis im Medium der Kunst zu transzendieren. Immerhin erwähnt Daniela Hammer-Tugendhat den Topos an einer Stelle (41), wenngleich es dem Architekturhistoriker Wolf Tegethoff zugekommen wäre, ihn zu erschließen, zumal er davon weiß. Dem naturphilosophischen Denken, dem Experiment der Künstler aber scheint er eher abhold.
Stattdessen legt er einen Akzent in seinem Beitrag neben zahlreichen anderen Aspekten auf das Recht der Primogenitur des Hauses Tugendhat im Verhältnis zum Barcelona-Pavillon, den Mies um die Jahreswende 1928/29 zu planen begann, während er Grete und Fritz Tugendhat schon am Silvesterabend 1928 die ersten Pläne zum Wohnhaus in Brno vorlegte. Er tut das mit gutem Grund, denn auch in Fragen der Chronologie herrscht bislang noch babylonisches Stimmengewirr.
Ulrich Müller