Thorsten Bürklin: Palladio, der Bildermacher, Basel: Birkhäuser Verlag 2019, 421 S., ISBN 978-3-0356-1340-7, EUR 59,95
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Die Literatur zu Andrea Palladio wurde jüngst substanziell bereichert durch das 2019 im Birkhäuser Verlag vorgelegte, mit seinen 421 Seiten umfangreiche Buch von Thorsten Bürklin. Nach seiner Dissertationsschrift handelt es sich um die zweite monografische Beschäftigung mit der italienischen Architektur der Renaissance. Das Buch ist inhaltsgleich auch als Online-Ausgabe erschienen. Dieser Besprechung liegt die vollständig in Schwarzweiß gedruckte und mit didaktisch überzeugend in den Text eingebundenen Abbildungen versehene Hardcover-Fassung zugrunde.
Bürklin bedient sich einer klaren, sachlichen Sprache und setzt seine Analysen durchgängig mit anderen Forscherstimmen in Relation. Die Lesbarkeit wird dadurch befördert, dass fremdsprachige (Quellen)-Texte in deutscher Übersetzung angeboten werden. Bürklins Analysen sind konzise und bewegen sich immer eng sowohl an den besprochenen Bauwerken wie an der Quellenliteratur. Bereits mit dem zweiten Satz der Einleitung definiert er klar seine, die Untersuchung leitende Grundthese, Andrea Palladio habe Architektur und insbesondere die Fassadenarchitektur primär von ihrer Bildhaftigkeit her gedacht: "Sowohl beim Entwerfen und Bauen als auch bei der theoretischen Präsentation seiner Werke ging es darum, einprägsame Bilder zu erzeugen" (10). Der Autor verortet damit nicht nur seinen Arbeitsbereich an der Schnittstelle von Architekturanalyse und Bildwissenschaft, er versucht darüber hinaus als Zielsetzung den Gedanken zu entwickeln, dass Palladio weniger vom Raum und von räumlich-architektonischen Fragestellungen her dachte, als vielmehr von der Architektur als zweidimensionales Bild, als malerischer Prospekt: "Palladio war ein Bildermacher. Das bedeutet, dass er zuvörderst in Bildern dachte und entwarf" (12). Für Bürklin entsteht die palladianische Architektur durch die "Konzeptionierung eines Gebäudes über seine Oberfläche" (134), durch das Hintereinanderschalten von 2D-Bildern, d.h. "szenischen Bildfolgen" (256-257). Innenraum entstehe zwangsläufig als Folge von axialen Reihungen bildplaner Architekturprospekte: Palladio konzipierte Bilder nicht Räume. Bürklin führt damit in anregender Weise einen Interpretationsansatz aus, der die traditionsreiche Palladioforschung sicherlich kontrovers bereichern wird.
Leitmotivisch durchziehen das Buch die folgenden Thesen: "Palladio dachte und entwarf [...] zuvörderst in En-face-Bildern. Raum entsteht in seiner Architektur erst als Folge zweidimensionaler Operationen [...]" (134). Sowie: "Palladio entwarf seine Architekturen nicht mit Bedacht auf unterschiedliche Blickpositionen, d.h. er berechnete sie nicht von Betrachterstandpunkten aus, die nicht der Frontalen entsprachen" (188). Als Belege verweist der Autor auf die stark grafische Fassadengestaltung sowie auf die Illustrationen in den "Quattro Libri", die Achsensymmetrie (als En-face-Bild) und orthogonale Projektion auszeichnen; kurzum: Palladio hatte eine Vorliebe für 2D (20) und verzichtete daher auf Tiefenräumlichkeit (167). Bürklin: "Seine Architektur kann ohne diese Grundhaltung gar nicht verstanden werden" (31). Eine Kontextualisierung gerade mit interdisziplinären Überlegungen zur Bildhaftigkeit von Fassaden hätte geholfen, das wissenschaftliche Gewicht des Buches und damit dessen Anspruch einer "umfassenden Klärung" (17) gleich in der Einleitung noch besser einzuordnen. Dies schmälert aber nicht Bürklins verdientes Ziel, dem "Verständnis der Architektur Palladios einen weiteren fundamentalen Aspekt, denjenigen des Bildermachens, hinzuzufügen." (17)
Das Buch gliedert sich in vier Teile, wobei die Hauptteile "Palladios Bilderfundus" und "Palladios Bilder" grundlegend Bürklins These der Bildhaftigkeit der palladianischen Architektur von verschiedenen Seiten aus zu beleuchten wissen. Es folgen ein Schlussteil sowie ein ausführlicher Anhang. Die zwei Hauptkapitel kreisen um die zentrale These des Buches, Palladio habe nicht vom Räumlichen her geplant, vielmehr sei alles von der "Bildhaftigkeit des Denkens" (280) bestimmt. Das führe dazu, dass seine Gebäude aus zweidimensionalen Fassaden- und Schnittbildern "zusammengesetzte Volumina" (69) seien. Dieser Interpretation folgend bildet etwa die Fassade der Basilika in Vicenza eine Hülle, aber keinen Raum (153), sind die Villen "reliefartig ornamentierte[n] Gebäudekisten" (159), ihre Fronten "Fassadenbilder, [...] die auf Gebäudekuben aufgebracht" (274) wurden, und Palladios venezianische Kirchenfronten bildflache, hochrepräsentative "Fassadenscheiben" (243); kurzum: "[...] bei Palladios Bauten [geht] alle Energie von den (Fassaden- und auch Grundriss-)Bildern aus" (308).
Unter der Überschrift "Palladios Horizonte" (96-122) skizziert Bürklin die Tradition der axial ausgerichteten, zentralperspektivischen Raumdarstellung; eine Tradition, die der Autor als Voraussetzung für Palladios En-face-Bilder herausarbeitet. Er kommt zum Ergebnis: "Das Denken in orthogonalen Projektionen präferiert den statischen Blick und nicht das Hinein-, Hindurch- oder aber das Vorbeigehen mit sich beständig ändernden Perspektiven und sich verkürzenden Sehwinkeln. Keinesfalls soll eine räumliche Situation allmählich, am Ende gar unter überraschend sich eröffnenden Einblicken erfahren werden. [...] Aus diesem Grund komponiert Palladio [...] bildhafte Totalen" (122, 255-257). Und: "Man befindet sich weniger im Raum seiner [Palladios, Anm. S.F.] Architekturen als vor ihnen" (243). Ob Palladio allerdings "[...] seine Architekturen nicht mit Bedacht auf unterschiedliche Blickpositionen" (188) entwickelte und sie ausschließlich aus der frontalen Betrachterposition als "Collagen" (89) entwarf, kann kritisch diskutiert werden.
Das Buch regt zum Nachdenken über die Frage an, welches Interesse der für Bürklin bildhaft denkende Palladio am "Hinein-, Hindurch- oder aber [am] Vorbeigehen" (122) hatte; zumal jüngere Studien von Moriani, Smienk, Niemeijer oder Blum nochmals die Interaktion von Villenkörper und Landschaft, von Aus- und Durchblicken herausarbeiten konnten - eine Interaktion, die bezogen auf Enfiladen ein dreidimensionales Planen voraussetzt (vgl. 255-257; 365, Anm. 40). [1] Ist also wirklich alles nur Fassade? Neben den Innenraumszenerien der Villen Godi, Barbaro oder Rotonda verdeutlicht besonders die Villa Emo, dass der Architekt eine auf der Mittelachse sich entwickelnde Bewegungsdramaturgie angelegt hat und nachgerade eine Räumlichkeit inszenierte, die (Körper-)Gefühle und wiederum geistige Bilder, auch Stimmungen, provozierte. Kennzeichnet Palladios Bauten nicht gerade das spannungsvolle Verhältnis aus bildhaft komponierter bzw. wahrgenommener Fassaden und der Möglichkeit beim Näher- bzw. Eintreten Teil eben dieser Bildwelt zu werden? Das von Bürklin nachvollziehbar herausgearbeitete malerische Architekturbild aus der Ferne wird so als zugänglicher Architekturraum angeboten.
Indem er weitere Gedanken anstößt, bietet Bürklin Forschung in ihrem besten Sinne. Wie werden beispielsweise Palladios Bauten zu Schwellenräumen, über welche architektonischen Mittel provoziert Palladio Handlungen vor und innerhalb der Architektur? Und dann: Wie lassen sich Bürklins Beobachtungen mit der jüngst nochmals von Burns bestätigten Vermutung verbinden, dass der Überzeugungsgrad der illusionistischen Architektur etwa in der Villa Barbaro allein durch die Mitarbeit von Palladio am Dekorationsprogramm denkbar sei, und also der Architekt die Villa zusammen mit Veronese als dreidimensionalen Raum gedacht haben muss? [2]
Der profunden Publikation von Thorsten Bürklin ist es auf glückliche Art gelungen, die Forschungsdebatte über die Bildwelt des Palladio durch einen variierten Standpunkt bereichert zu haben. Es wird deutlich: Der "Bildermacher" hat immer noch viel an zu Entdeckendem aufzubieten!
Anmerkungen:
[1] Gianni Moriani: Palladio architetto della villa fattoria, Verona 2008, 99-100; Gerrit Smienk / Johannes Niemeijer: Palladios, the Villa and the Landscape, Basel 2011; Gerd Blum: Fenestra Prospectiva. Architektonisch inszenierte Ausblicke: Alberti, Palladio, Agucchi, Berlin / Boston 2015, 106-135.
[2] Howard Burns: Andrea Palladio e le architetture dipinte di Veronese, in: Quattro Veronese venuti da lontano, Mailand 2014, 29-35, hier 30-31.
Sören Fischer