Tobias Küss: Die älteren Diepoldinger als Markgrafen in Bayern. Adelige Herrschaftsbildung im Hochmittelalter (= Münchner Beiträge zur Geschichtswissenschaft; Bd. 8), München: Utz Verlag 2013, 432 S., ISBN 978-3-8316-4261-8, EUR 46,00
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Fundierte Studien über hochmittelalterliche Adelsfamilien - mit Ausnahme solcher über die Herkunft herausragender Beispiele wie der Staufer und Habsburger, die später Könige stellten - sind noch immer nicht allzu weit verbreitet. Es ist also zu begrüßen, dass sich Tobias Küss dieser Aufgabe stellt, und sich der Familie der Markgrafen von Cham-Vohburg zuwendet, den sogenannten Diepoldingern, über die er eine profunde und quellengesättigte Studie vorlegt. In der Anlage und im methodischen Vorgehen lehnt Küss sich hierbei, wie er selbst schreibt (20), deutlich an Jürgen Dendorfers Studie über die benachbarten Grafen von Sulzbach [1] an. Gegen dieses Vorgehen spricht nichts - im Gegenteil, es ist durchaus zu begrüßen, wenn bewährte methodische Verfahren auf ähnlich gelagerte Beispiele angewandt werden.
Die Untersuchung beginnt mit einem Überblick über die genealogischen Zusammenhänge der Diepoldinger, beginnend mit unsicheren Vorfahren im Traungau und den 1060 verstorbenen Vater des ersten Markgrafen, Diepold (I.). Die Erhebung seines gleichnamigen Sohns zum Grafen in der Mark Cham erfolgte im Jahr 1077 und hing wie bei so vielen Adelsfamilien, die in dieser Zeit in neue Ämter aufstiegen und historisch fassbar wurden mit dem Bürgerkrieg zwischen Heinrich IV. und seinen Gegnern zusammen. Der zweite Markgraf aus der Familie, Diepold III., der 68 Jahre lang, von 1078 bis 1146 im Amt nachweisbar ist, war der einflussreichste Vertreter seiner Familie; seine Tochter Adela war die erste Ehefrau des späteren Kaisers Friedrich Barbarossa. Mit dem Tod des letzten Markgrafen Berthold III. 1204 ging die diepoldingische Herrschaft an die Wittelsbacher über.
Der zweite Teil der Untersuchung behandelt die Grundlagen der Herrschaft, zunächst das "Territorium" der Grafen, womit der bayerische Nordgau mit den Marken Cham und Nabburg sowie die Herrschaft Vohburg an der Donau gemeint sind. Ihre Geschichte wird in großer Ausführlichkeit dargelegt, wobei unklar bleibt, worin im Einzelnen das Substrat der mit den Marken und Herrschaften verbundenen Rechte besteht. Konkreter wird es im zweiten Abschnitt, der Lehens- und Allodialbesitzungen der Diepoldinger betrachtet, die außer im Bereich zwischen Cham, Nabburg und Regensburg und um Vohburg vor allem um Giengen an der Brenz sowie im Traungau in Niederösterreich lag. Letztere dürften ursprünglich den Kern der Familienbesitzungen dargestellt haben, wurden aber in der Mitte des 12. Jahrhunderts aufgeben, nachdem sie durch die Konkurrenz mit den Babenbergern in der Zeit des Investiturstreits bereits erheblich geschmälert worden waren. Als letzte Grundlage der Herrschaftsbildung werden Klöster und Vogteien betrachtet; alleine drei Klostergründungen fallen in die Zeit Diepolds III. (Kastl, Reichenbach und Waldsassen). Dabei traut sich Küss zu, die Gründung Kastls vor 1102 als Beleg für die Abwendung des Markgrafen von Heinrich IV. zu werten, was angesichts der Tatsache, dass Diepold an der Gründung überhaupt nicht beteiligt war (sondern seine Mutter Liutgard, Schwester Gebhards III. von Konstanz), doch sehr weit hergeholt erscheint. Die Abwesenheit Diepolds bei der Gründung erklärt Küss geradezu verschwörungstheoretisch: Als Markgraf habe er es sich nicht erlauben können, seine Gegnerschaft zu Heinrich IV. durch eine Mitwirkung an der Gründung eines Klosters Hirsauer Prägung öffentlich zu machen - im Gegensatz zum an der Gründung beteiligten einfachen Grafen Berengar von Sulzbach. Dies hätte nämlich eine Intervention des Kaisers herausgefordert und damit die Planungen des Nordgauaufstands gefährdet. Dieser Argumentation wird man nicht folgen wollen. Bei den beiden anderen Klostergründungen ist die Beteiligung des Markgrafen gesichert, doch auch dort wird man an den vorgestellten Motivationen (Reichenbach wurde Küss zufolge als Familienkloster gegründet, Waldsassen zum Landesausbau) in dieser Ausschließlichkeit zweifeln können. Vogteien der Markgrafen sind vor allem aus dem Kloster Reichenbach belegt, bis Friedrich Barbarossa diese Stellung 1182 schwächte. Daneben übten Vertreter der Familie zeitweise auch die Vogtei über das Benediktinerinnenkloster St. Paul in Regensburg und das Kloster Seeon aus.
Der dritte Teil des Buchs beschäftigt sich in vier Schritten mit dem "personalen Beziehungsgeflecht" der Markgrafen: Zunächst stehen die Beziehungen zu den Königen im Mittelpunkt, dann werden die Heiratsbeziehungen und anschließend die übrigen Beziehungen mit Gleichrangigen betrachtet, zu guter Letzt geht es um die Beziehungen zum Gefolge. Das Kapitel über die Diepoldinger am Königshof besteht im Wesentlichen aus einer Wiedergabe der Nennungen der Markgrafen in Königurkunden, die zum Teil etwas zu ausführlich in ihren Entstehungskontext eingebettet werden. In jedem Fall zeigt sich, dass die Königsnähe, die Diepold III. unter Heinrich IV., Konrad III. und insbesondere Heinrich V. erreichte, unter Lothar III. und den späteren Staufern nicht erreicht wurde, obwohl Diepold III. und seine Nachfolger auch hier regelmäßig am Hofe tätig waren, einige Male an Italienzügen teilnahmen und insbesondere in bayerischen Angelegenheiten auftraten. Hinter den vielfältigen Eheverbindungen der Diepoldinger standen zahlreiche unterschiedliche Motivationen, die Küss sorgfältig darstellt. Ein wenig schade ist, dass die weiblichen Mitglieder der markgräflichen Familien fast nur in diesem Kapitel Erwähnung finden, obwohl ihre Handlungen - wie etwa die Gründung des Klosters Kastl durch die Markgräfin Liutgard - durchaus relevant waren und sich in den Quellen nachvollziehen lassen. In einem kurzen Kapitel werden anschließend auf der Basis von Schenkungen an Klöster, die mit anderen Familien im Zusammenhang stehen, Beziehungen zu gleichrangigen Familien untersucht. Ertragreicher ist die Untersuchung der Ministerialen und Edelfreien im Gefolge der Diepoldinger, die auf 47 Seiten mit ausführlichem Belegapparat aufgelistet werden. Eine kurze Schlussbemerkung schließt die Arbeit ab.
Küss weist richtigerweise daraufhin, dass man die Geschichte der Markgrafen keinesfalls als Scheitern verstehen sollte, wie es die bayerische Landesgeschichte traditionellerweise tat, denn, obwohl die Bildung eines Territoriums im Nordgau nicht von Dauer war, bekleideten Angehörige der Familien im 12. Jahrhundert wichtige Positionen im staufischen Italien. Dies stellt die Frage, inwiefern Territorium und Dynastie (eine moderne Schöpfung, der kein Quellenbegriff entspricht) überhaupt sinnvolle Analyseeinheiten darstellen. Doch sind dies weitergehende Fragen, die den Ertrag der gründlichen, quellengesättigten Arbeit nicht schmälern. Tobias Küss hat ein Werk vorgelegt, dass den Ausgangspunkt jeglicher zukünftigen Beschäftigung mit der Familie der Markgrafen von Cham-Vohburg bilden wird. Man wird ihm - wie bereits angesprochen - nicht in jeder Wertung folgen müssen, doch mindert dies nicht den Wert dieser Untersuchung für die Adels- und Herrschaftsgeschichte des Nordgaus, Bayerns und des Reichs.
Anmerkung:
[1] Jürgen Dendorfer: Adelige Gruppenbildung und Königsherrschaft. Die Grafen von Sulzbach und ihr Beziehungsgeflecht im 12. Jahrhundert, München 2012.
Thomas Kohl