Michael Busch: Machtstreben-Standesbewusstsein-Streitlust. Landesherrschaft und Stände in Mecklenburg von 1755 bis 1806 (= Quellen und Studien aus den Landesarchiven Mecklenburgs und Vorpommerns; Bd. 13), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2013, 481 S., 2 s/w-Abb., ISBN 978-3-412-20957-5, EUR 49,90
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Die 2009 an der Universität der Bundeswehr in Hamburg eingereichte Habilitationsschrift von Michael Busch untersucht die politische Stellung der im reichsweiten Vergleich durch ihre ungewöhnliche Durchsetzungsfähigkeit auffallenden Mecklenburgischen Landstände in der Spätzeit des Alten Reichs. Die Studie folgt damit der traditionell innerhalb der Landständeforschung gestellten Frage, wer, ob Fürsten oder Landstände, die Entwicklung der modernen Interessenvertretung befördert haben. Im Fokus steht dabei gemeinhin die Bewertung des jeweiligen Entscheidungshandelns der Akteure.
Auch Busch, der seine Studie als eine "überwiegend traditionell angelegte sozial- und verfassungsgeschichtliche Arbeit" beschreibt (11), fragt nach Modernisierungstendenzen. Ihm geht es jedoch weniger um die Bewertung der Politik. Tatsächlich betont er in Analogie zur Neueren Politikgeschichte den anachronistischen Charakter dieser Herangehensweise mit ihrem problematischen Repräsentationsverständnis. Ihm geht es eher um eine dichte Beschreibung bzw. eine "Strukturanalyse" (13) der Landständegeschichte am Übergang zur Moderne. Daneben beinhaltet das Buch eine allgemeine Einführung in die Geschichte der Mecklenburgischen Korporationen, einen Überblick über die beteiligten Institutionen sowie einen Exkurs über die landständische Haltung im Kontext der Geschichte der jüdischen Emanzipation.
Im Hauptteil wird diese "Strukturanalyse" der Landständegeschichte anhand von drei Konfliktgeschichten vorgenommen. Busch versteht seine Untersuchungen dabei gewissermaßen als Tiefenbohrungen, um sich den Organisationsformen der Korporationen zu nähern, und zwar vor allem in Bezug auf die bürgerlich-adlige Ritterschaft. Diese wird als Stütze der Landständeverfassung vorgestellt. Ihr politischer Einfluss wurde durch die Entsendung einiger altadliger Repräsentanten in den Engeren Ausschuss, dem Exekutivorgan der Landtagsversammlung, garantiert. Neben Verfahrensfragen kommen in sämtlichen Abschnitten auch Überlegungen zum Selbstverständnis der Beteiligten vor.
Am Beispiel eines Konflikts zwischen Ritterschaft und Engerem Ausschuss einerseits und eines ihrer Mitglieder andererseits um einen Vertragsakt, der den politischen Partizipationsanspruch schriftlich fixierte, wird im ersten Hauptkapitel die Möglichkeit des internen Widerstands diskutiert (konkret geht es um den Landesgrundgesetzlichen Erbvergleich von 1755). Vorgestellt wird das Vorgehen eines Gegners dieses Werks, der sich auf unterschiedlichen Wegen der territorialen Entscheidungsfindung dagegen zu wehren suchte. Letztlich scheiterte der Adlige jedoch am fehlenden Rückhalt seiner Standesgenossen. Dieser Konflikt ist auch deshalb interessant, weil sich darin offenbart, dass der Adel zwar in der Mehrheit nicht hinter seinem Korporationsmitglied stand, sich aber sichtbar schwer damit tat, den Dissens innerhalb des Standes sichtbar werden lassen.
Im zweiten Hauptteil rückt die Streitkultur der Ritterschaft als Gemeinschaft bzw. ihr Widerstand gegen einen landesherrlichen Versuch, das sogenannte Bauernlegen zu verhindern bzw. die Leibeigenschaft aufzuheben, in den Fokus. Ähnlich anderer Landständeversammlungen nutzte auch die Mecklenburgische Ritterschaft die vielfältigen Möglichkeiten, die die Reichsverfassung bei der Verfolgung von Rechtsinteressen bot (Gerichtsappellation und Diplomatie). Einmal mehr zeigt sich an diesem Beispiel die Komplexität der formellen wie informellen Entscheidungswege.
Der dritte Teil vertieft schließlich die Geschichte der internen Organisation der Ritterschaft und geht auf die Kreativität einiger Ritter bei der Einführung neuer Zugangs- und Partizipationsvoraussetzungen ein (Indigenat, Rezeption, Adelsnachweis). Gezeigt wird wie dadurch, über den Weg der gestuften politischen Teilhabe, ständische Unterschiede konstituiert wurden. Diese fanden einen weiteren sinnfälligen Ausdruck in einer für bestimmte Mitglieder reservierten Landtagsuniform.
Deutlich wird aus der Lektüre der detailreichen Arbeit vor allem zweierlei: Zum einen treten die vielfältigen Mittel des adligen Widerstands hervor, also das (allerdings in der Regel eher indirekt wirksame) Appellieren vor den Reichsgerichten sowie die Geheimhaltungspraxis und das Verschleppen von Verfahren bzw. aktives "Nichthandeln" (406). Busch verweist so auch auf die bislang weniger in den Blick genommenen informellen Wege, über die Landstände auf die fürstliche Landespolitik einwirken konnten. Zum anderen unterstreicht die Studie, wie wichtig die Landtagsversammlungen für die Beteiligten waren, auch und vor allem als Orte für die Demonstration und Festigung von Standesansprüchen.
Als vergleichsweise unergiebig erweist sich demgegenüber die Diskussion um die Rolle der Ständeversammlungen bei der Entwicklung moderner Staatlichkeit. Busch sucht nach Instrumenten des modernen Parlamentarismus im vormodernen Mecklenburg und meint diese bei der Ritterschaft und ihrer Funktion im Verfassungsgefüge zu identifizieren. Aufbauend auf Studien zum Parlamentarismus ist für ihn der landständische Adel der "Schöpfer des Typus der kontrollierenden Körperschaft" (127, wortgleicher Abschnitt 406); "altadeliges Standesbewusstsein" sei in Mecklenburg kein "Standesbewusstsein ohne landständische Verantwortung" gewesen (ebd.). Er möchte damit jedoch nicht als Repräsentant einer früheren, die Rolle der Landstände verklärenden Sichtweise verstanden werden, und so betont er wiederholt den vormodernen Charakter adliger Interessensverfolgung. Als Fazit reicht ihm daher, dass die Partizipationsbemühungen der Ritter und ihr Wunsch, kontrollierend ihre Interessen zu wahren, zum Ausbau von Bürokratie geführt hätten. Inwiefern es weiterführt, wenn man den ritterschaftlichen Eigennutz als Wurzeln des modernen Politikapparats in den Fokus rückt, erschließt sich allerdings kaum.
Man mag sich bei der Lektüre dieser Studie an mehreren Stellen einen größeren Mut zur bündelnden These wünschen, ihren Selbstanspruch erfüllt sie. Das Buch stellt, auch und vor allem wegen des beeindruckenden Materialreichtums, eine facettenreiche Darstellung der Mecklenburgischen Ständegeschichte dar.
Elizabeth Harding