Jonathon Keats: Forged. Why Fakes Are the Great Art of Our Age, Oxford: Oxford University Press 2013, VIII + 197 S., ISBN 978-0-19-992835-4, USD 19,95
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Sind Fälschungen die bessere Alternative zum Original? Schaut man in die jüngere wie ältere Geschichte der Fälschung zurück, so könnte man zuweilen einen solchen Eindruck gewinnen, denn solange viele Fälschungen noch nicht enttarnt waren, wurden sie als herausragende Spitzenwerke des jeweils gefälschten Künstlers von den Experten gefeiert, für entsprechend hohe Summen gekauft und für ein begeistertes Publikum ausgestellt. Wie aber lässt sich dies erklären? Sind Fälschungen dann eben doch ebenso gut, wo nicht sogar besser als das Original?
Es scheint also an der Zeit, dass jemand erklärt, "why fakes are the great art of our age". Und in gewisser Weise scheint hier niemand besser dafür geeignet zu sein, als der amerikanische Konzeptkünstler und Kunstkritiker Jonathon Keats, wurde er doch in den vergangenen 15 Jahren insbesondere für seine zum Teil skurril-verschrobenen Konzeptkunst- und Denkexperimente bekannt. Bei diesen verkaufte er mal seine während eines Projekts gehegten Gedanken als eigenständige Kunstwerke an Sponsoren, mal erhob er den Anspruch, Gott selbst genetisch nachzubilden - alles Unternehmungen, die man ebenso als "Fakes" bzw. als "Hoaxes" (also als juxhaften Schwindel oder als augenzwinkernde Provokation) betrachten könnte. Und in der Tat lässt sich bei einer Betrachtung der Geschichte der Kunstfälschung auch immer wieder beobachten, dass sich "Fake" und "Hoax" zuweilen fast ununterscheidbar miteinander verbinden bzw. ineinander übergehen können, was schon daran liegt, dass ein Hoax mit den Mitteln der Fälschung arbeitet. Allerdings muss ein Hoax darauf setzen, dass die zur Täuschung fabrizierte Fälschung dann rechtzeitig auch enttarnt wird, da die intendierte Provokation sonst nicht als solche erkannt wird. Demgegenüber ist es das Ziel der Fälschung, nach Möglichkeit gerade nicht als solche erkannt zu werden. Anhand von zwei der im zweiten Teil von Keats' Buch vorgestellten, aus der Literatur bereits gut bekannten "Six Modern Masters" (also Fälschern), Tom Keating und Elmyr de Hory, lässt sich dies gut veranschaulichen: Der britische Maler und Restaurator Keating schuf seine Fälschungen, um auf diese Weise den seiner Meinung nach korrupten, skrupellosen und von Ignoranten bevölkerten Kunstmarkt bloß zu stellen und zu unterminieren. Zu diesem Zweck baute er sogenannte "Zeitbomben" in seine Fälschungen ein: Kleine, aber deutliche Hinweise darauf, dass es sich bei dem betreffenden Werk eben nicht um ein Original handelte. Die Idee war, dass die Fälschungen, nachdem sie erfolgreich ihren Aufstieg innerhalb des Kunstmarkts erlebt hatten, dann entlarvt und damit die Vertrauenswürdigkeit des ganzen Systems erschüttern würden. Allerdings dauerte es dann sehr viel länger als von Keating geplant, bis seine Fälschungen aufflogen und der damit intendierte Hoax seine Wirkung entfalten konnte. Umgekehrt legte es der ungarische Fälscher de Hory darauf an, gerade nicht enttarnt zu werden; als dies dann allerdings doch geschah, deutete er - wie inzwischen Wolfgang Beltracchi auch - den langjährigen Erfolg seiner Fälschungen als Zeichen für den auf dem Kunstmarkt herrschenden Dilettantismus und die Eitelkeit der Experten.
Möglicherweise verführt durch solche Chiasmen, bei denen aus Hoaxe Fälschungen und aus Fälschungen Hoaxe werden können, geht in Keats' Buch leider vieles durcheinander. Und so trifft man im "The Art of Forgery" überschriebenen Einleitungsteil des Buches neben vollkommen unbelegten und diskutablen Behauptungen (wie zum Beispiel, dass die Bedeutung des Phänomens der Fälschung in der Renaissance eine ganz andere gewesen sei als heute: 3) jede Menge Verwirrungen an: Dies geht schon damit los, dass Keats immer wieder Kopie und Fälschung miteinander gleichsetzt (3ff.). Freilich: Eine Kopie kann zwar zur Fälschung werden, wenn sie als Original ausgegeben wird, sie ist aber eben nicht zwingend mit einer Fälschung identisch. Diese muss zudem nicht unbedingt in der täuschenden Wiederholung eines bereits existierenden Werkes bestehen, sondern kann - siehe wieder zum Beispiel de Hory und Beltracchi - sich auch als vermeintlich neues, bislang unbekanntes Original ausgeben. Keats aber vermengt beides nicht nur miteinander, sondern er versteht in diesem Zusammenhang auch eine von ihm diskutierte Formulierung Max Jakob Friedländers falsch, der in seinem 1942 erschienenen Buch "On Art and Connoisseurship" (262) geschrieben hatte, dass das Original einem lebendigen Organismus, die Kopie hingegen einer Maschine gleiche. Keats, der die Meinung vertritt, dass eine Fälschung dem Original überlegen sei ("Art has a lot to learn from forgery", schreibt er daher auch 160), ist jedoch bestrebt, zu zeigen, dass eine Fälschung ebenso lebendig sein kann wie ein Original (wo nicht sogar noch lebendiger - siehe oben), weshalb er Friedländer des Irrtums überführen will (27): "Max Friedländer had it all wrong. A copy ressembles an organism. Out in the world, a fake takes on a life of its own, which even the counterfeiter cannot control. A forgery is alive with meaning." Freilich missversteht er Friedländer hier, der sich mit seiner Metapher vom Organismus ausschließlich auf die sich in einem Werk manifestierende Handschrift des Künstlers bezieht, die im Fall des Originals Spuren der lebhaften Suche nach der vollendeten Gesamtkomposition aufweist, während die Kopie das fertige Ergebnis nur noch mehr oder weniger mechanisch wiederholen muss. Sicherlich mag es stimmen, dass eine Fälschung, wie ein Original auch, nach der Lancierung ein Eigenleben entwickeln kann, das ihr Urheber (heiße er nun de Hory oder Beltracchi) nicht mehr kontrollieren kann - nur widerlegt dies nicht Friedländers Beobachtungen der unterschiedlichen stilistischen "Lebendigkeit" bei Original und Kopie.
Keats ist jedoch darauf aus, Experten wie Friedländer vorzuführen, weil er sie als Repräsentanten eines angstbesetzten Establishments sieht, das sich die angebliche, unbequeme Wahrheit nicht eingestehen will (4): "[...] we need to recognize what the art establishment will never acknowledge: No authentic modern masterpiece is as provocative as a great forgery. Forgers are the foremost artists of our age".
Damit - "provocative" - ist dann auch schon das Hauptkriterium genannt, anhand dessen Keats "great art" definiert. Denn der Autor sieht den Skandal, den eine entlarvte Fälschung auslöst, als Anzeichen dafür, dass es sich bei ihr um große Kunst handeln müsse, denn selbst echten Kunstwerken gelängen solche Coups nicht mehr (25): "In that sense, forgeries are more real than the real art they fake."
Nun ließe sich die Skandalträchtigkeit eines Kunstwerks als ein sehr einseitiges und vielleicht inzwischen auch recht antiquiertes bzw. auch etwas populäres Verständnis von Kunst diskutieren (was Keats freilich erst gar nicht unternimmt). Was allerdings konkret dabei herauskommt, wenn man es im Kontext der Fälschungsthematik ernst zu nehmen versucht, zeigt der dritte und letzte Teil des Buches, "Forging a New Art", in dem der Autor tatsächlich gar nicht mehr auf Fälschungen, sondern vielmehr nur noch auf Hoaxe und Beispiele der sogenannten "Fake"- oder "Appropriation Art" zu sprechen kommt: jener Kunstrichtung also, die ab der Mitte der 60er-Jahre provokante Fragen nach dem Wesen der künstlerischen Kreativität stellte, indem sie bereits existierende Werke offenkundig und ohne jede Täuschungsabsicht wiederholte. So lässt Keats Künstlerinnen und Künstler wie Marcel Duchamp, Elaine Sturtevant und Sherrie Levine Revue passieren und springt übergangslos von deren "Appropriation Art" zu Hoaxes wie der 1998 von dem italo-amerikanischen Netz-Künstlerpaar Franco und Eva Mattes gefälschten Vatikan-Website (noch heute einsehbar unter http://0100101110101101.org/files/vaticano.org/), welche das damalige Erscheinungsbild der Originalwebsite des Vatikan kopierte und zugleich um provokante Inhalte (zum Beispiel in Fragen der Sexualität) anreicherte. Mit "echter" Kunstfälschung à la de Hory oder Beltracchi hat dies allerdings nichts zu tun, denn solche Unternehmungen entfalten ihren vollen subversiven Reiz - siehe oben - eben erst, wenn sie als Hoaxe auch erkannt werden.
Alles in allem ist Keats also zu attestieren, dass er die Begründung, "why fakes are the great art of our age", schuldig geblieben ist, denn dort, wo er von Fälschungen spricht, bleibt unklar, inwiefern diese (jenseits der von ihnen ausgelösten, aber eben bald auch wieder in Vergessenheit geratenden Schlagzeilen) "große Kunst" sind, und wo er von "großer Kunst" spricht, ist die echte Fälschung fern. Vielleicht versteht man das Buch daher am besten selbst als einen sich mit seinem Titel um Schlagzeilen bemühenden Hoax?
Henry Keazor