Filippo Carlà / Maja Gori (eds.): Gift Giving andf the 'Embedded' Economy in the Ancient World (= Akademiekonferenzen; Bd. 17), Heidelberg: Universitätsverlag Winter 2014, 437 S., ISBN 978-3-8253-6331-4, EUR 48,00
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In der älteren, primitivistisch orientierten Forschung zur antiken Wirtschaftsgeschichte wurde die Auffassung formuliert, es hätte ein Stadium der Wirtschaft gegeben, in dem ökonomische Austauschbeziehungen nicht über Geld bzw. Geldäquivalente und damit dem eigenen Nutzen verhaftet abgewickelt wurden, sondern über den altruistischen Gabentausch. Auf die Antike gewendet wurde eine solche Sicht der Dinge wesentlich durch Karl Bücher begründet, der im frühen Streit der Forschung um Primitivität bzw. Modernität der antiken Wirtschaft der Gegenspieler Eduard Meyers war. [1]
So wurde denn in der einschlägigen Forschung der Gabentausch als ein besonderes Charakteristikum der homerischen Welt gesehen, der scharf vom Handel abgegrenzt wurde. Nach Michel Austin und Pierre Vidal-Naquet sei der Gedanke an Gewinn für die Akteure in den homerischen Epen gänzlich ausgeschlossen gewesen, die ausgetauschten Geschenke hätten sich die Waage halten müssen. Daher hätte sich der Gabentausch in die aristokratischen Wertvorstellungen einfügen können [2], eine Auffassung, die von Christoph Ulf zu Recht kritisch betrachtet wurde. [3] Auch Beate Wagner-Hasel brachte die Theorie des Gabentauschs für eine Untersuchung des archaischen Griechenland im Spiegel der homerischen Epen in Anschlag. [4]
So populär die Theorie des Gabentausches also auch vor allem für die wirtschaftsgeschichtliche Deutung der homerischen Epen war, rücken der Filippo Carlà und Maja Gori in ihrer umfangreichen, den theoretischen Grund für die einzelnen Beiträge legenden Einleitung zu demselben (7-47) gerade hiervon ab, indem sie feststellen, daß die Idee "... that gift-exchange should represent a 'primitive' form of exchange which pre-existed commerce and was in the end replaced by it in the long run must be finally rejected ..." (10). Vielmehr ist es das Ziel des Sammelbandes, die Gabe in ihren politischen, sozialen und wirtschaftlichen Kontexten unter Zugrundelegung eines einschlägigen Theoriegebäudes als Form des Austausches zu untersuchen (27-36).
Zu diesem Behufe sind die Beiträge in vier verschiedene Sektionen angeordnet worden, von denen die erste sich der Gabe, dem Gabentausch und der wirtschaftlichen Dimension desselben widmet (51-153), die zweite das Thema Gabe und Gesellschaft behandelt (157-266), die dritte der Religion gewidmet ist (269-351) und die vierte die gegebenen Objekte in den Vordergrund stellt (355-437). Insgesamt sind in diesen Sektionen 17 Beiträge zu finden, die hier im einzelnen nicht ausführlich gewürdigt werden können. Jedenfalls wird durch dieselben ein breites Spektrum abgedeckt, das in chronologischer und räumlicher Hinsicht von der frühen Bronzezeit in Mesopotamien (Luca Peyronel, Between Archaic Market and Gift Exchange: the Role of Silver in the Embedded Economies of the Ancient Near East During the Bronze Age, 355-375) bis in das europäische Mittelalter reicht, das Gegenstand des sehr lesenswerten Beitrags von Filippo Carlà ist. (Exchange and the Saints: Gift Giving and the Commerce of Relics, 403-437). So seien im folgenden zwei Beiträge kurz näher gewürdigt, deren Auswahl den Interessen des Rezensenten geschuldet ist.
Koen Verboven thematisiert in seinem Beitrag die Ethik, 'etics' und 'emics' des Gabentausches in der römischen Welt ('Like bait on a hook'. Ethics, Etics and Emics of Gift-Exchange in the Roman World, 135-153). V. nimmt zunächst eine profunde theoretische Erörterung anthropologischer Grundlagen v.a. vor dem Hintergrund der Reziprozität des Gabentausches vor, in die auch sozio-biologische Aspekte miteinbezogen werden. Im Fokus seines Interesses steht dabei auch das Wechselverhältnis zwischen den Institutionen und dem Austausch von Gaben und dem Austausch über den Markt. Im Anschluß werden die 'etics', will sagen Außenperspektive auf das Phänomen mit nicht-kulturimmanenter Terminologie, und die 'emics', d.h. die Innensicht mit kulturimmanenter Terminologie, des römischen Gabentauschs erörtert. V. kommt zu dem Ergebnis, daß auf der Grundlage der Außenperspektive der Gabentausch ein wichtiges Charakteristikum sozialer Beziehungen war, da er in Zusammenhang mit formellen und informellen Institutionen stand, die auf andere Prinzipien gegründet waren. In der Innensicht wurde der Austausch von Gaben institutionellen Arrangements zugeschrieben, die offenkundig nicht auf Reziprozität beruhten. Beziehungen mittels des Gabentausches halfen dann den Akteuren auf dem Markt auch, Transaktionskosten zu senken und komplexe Organisationen für Austauschbeziehungen über den Markt aufzubauen. Ferner unterstreicht V. die stabilisierende Wirkung des Gabentauschs für die römische Gesellschaft, wodurch gleichzeitig die der Gesellschaft inhärente Ungleichheit zementiert wurde.
Interesse hinsichtlich des Denkens über Geld bzw. über die Schädlichkeit der Macht des Geldes in der klassischen Zeit ist der Beitrag Thomas Blank über die im Athen der klassischen Zeit in der Philosophie geübte Kritik an den Sophisten, daß sie ihre Dienste gegen Entgelt zur Verfügung stellten, während die Philosophen dies unentgeltlich als Gunsterweis gegenüber ihren Mitbürgern täten. [5] B. interpretiert diese Rhetorik des Gunsterweises als Versuch, soziales Kapital, das die Philosophie durch den oligarchischen Umsturz verloren hätte, zurückzuerlangen (Philosophy as leitourgeia: Sophists, Fees, and the Civic Role of paideia, 377-402).
Alles in allem wird, wie in der Einleitung zum Sammelband in Aussicht gestellt (40), das Phänomen des Gabentauschs auf breiter, interdisziplinärer Ebene angegangen und der Gabentausch, der in so vielen Disziplinen auf ein lebhaftes Interesse stößt, in seiner Verbindung zur Kultur- und Wirtschaftsgeschichte Betrachtungen aus sehr unterschiedlichen Blickwinkeln zugeführt. Je nach Interessenlage der Leserin/des Lesenden finden sich anregende Beiträge, die letztlich zeigen, dass Austauschprozesse und ökonomisches Agieren nicht allein auf der Nutzenmaximierung basieren und rein altruistisches Agieren ebensowenig in antiken Gesellschaften gefunden werden kann.
Anmerkungen:
[1] Zu Karl Bücher vgl. Beate Wagner-Hasel: Die Arbeit des Gelehrten. Der Nationalökonom Karl Bücher (1847-1930), Frankfurt u.a. 2011. Sein Beitrag zur Entwicklung des Gabentauschs wird im hier anzuzeigenden Band gleichfalls in dem interessanten Aufsatz von Beate Wagner-Hasel: Karl Bücher and the Birth of the Theory of Gift-Giving, 51-69, hier 56-61 gewürdigt. - Zur Bücher-Meyer-Kontroverse vgl. Helmuth Schneider, s.v. Bücher-Meyer-Kontroverse, DNP 13 (1999), 551-556. Zu den diesbezüglichen Positionen Büchers vgl. Wagner-Hasel a.a.O. (2011), 67-76.
[2] Vgl. Michel Austin / Pierre Vidal-Naquet: Gesellschaft und Wirtschaft im alten Griechenland, München 1984, 34-35.
[3] Christoph Ulf: Die homerische Gesellschaft. Materialien zur analytischen Beschreibung und historischen Lokalisierung, München 1990 (Vestigia; 43), 202-212, bes. 211-212 gegen Moses I. Finley: Die Welt des Odysseus, Frankfurt-New York 1992, 64-69 und 151-153. - Ulfs grundlegenden Arbeiten zu den homerischen Epen werden übrigens in der Einleitung zum Band (38) wie auch im Beitrag von Lucio Bertelli: The Ratio of Gift-Giving in the Homeric Poems, 103-134 gänzlich ignoriert. Dies gilt auch für Datierungsvorschläge (103), die die Epen immer näher an das 7. Jahrhundert v. Chr. heranrücken: vgl. zu diesen Christoph Ulf: Troia, Europa und Kilikien. Zur Debatte um "Homers Heimat" von Raoul Schrott, Freiburger Universitätsblätter 181 (2008), 87-113, hier 89.
[4] Vgl. Beate Wagner-Hasel: Der Stoff der Gaben. Kultur und Politik des Schenkens und Tauschens im archaischen Griechenland, Frankfurt / New York 2000.
[5] Zu diesem Diskurs über die Verderblichkeit des Geldes bei Herodot vgl. Reinhold Bichler: Herodot und die Macht des Geldes, in: Robert Rollinger (Hg.): Reinhold Bichler. Historiographie - Ethnographie - Utopie. Gesammelte Schriften, Teil 1: Studien zu Herodots Kunst der Historie, Wiesbaden 2007 (Philippika; 18,1), 11-26.
Kai Ruffing