Paul M. Cobb: Der Kampf ums Paradies. Eine islamische Geschichte der Kreuzzüge, Mainz: Philipp von Zabern 2015, 428 S., einige s/w-Abb., ISBN 978-3-8053-4884-3, EUR 29,95
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Die Kreuzzüge und die daraus resultierenden interkulturellen Begegnungen stoßen aufgrund der aktuellen Ereignisse auf ein öffentliches Interesse wie kaum zuvor. Davon zeugt auch das zu besprechenden Buch, das bereits 2014 unter dem Titel The Race for Paradise. An Islamic History of the Crusades auf Englisch erschienen ist. Dass es innerhalb so kurzer Zeit auf Deutsch übersetzt wurde, verdeutlicht die große Aufmerksamkeit, die seinem Thema zurzeit entgegengebracht wird. Neben den zahlreichen Publikationen, die eine eher westliche Betrachtungsweise einnehmen, sticht ein Buch, das die Sichtweise der islamischen Welt aufzuzeigen verspricht, noch einmal deutlich hervor. Als Inhaber eines Lehrstuhls für islamische Geschichte an der University of Pennsylvania scheint Paul M. Cobb auf jeden Fall der richtige Mann für diese Aufgabe zu sein. Es ist dabei aber nicht seine Absicht, eine umfassende Geschichte der Kreuzzüge zu schreiben, sondern ein "Versuch, die Geschichte der Kreuzzüge so zu erzählen, wie sie die Muslime des Mittelalters erlebten" (14). Dabei möchte Cobb einen Gegenentwurf zur "traditionellen" Kreuzzugsgeschichtsschreibung bieten, die "seit jeher aus Abwandlungen eines Narrativs [besteht], das fast ausschließlich auf europäischen Quellen beruht" (12f.).
Cobb beginnt sein Vorhaben mit einem Prolog, in dem er am Beispiel Saladins die Relevanz der Kreuzzüge für die heutige muslimische Welt aufzeigt. Danach gliedert der Autor seine Ausführungen nach inhaltlichen, hauptsächlich aber nach chronologischen Gesichtspunkten. Dabei führt er sehr akteurszentriert durch das 11., 12. und 13. und danach eher summarisch bis ins 16. Jahrhundert. Immer wieder unterbricht er seine Ausführungen mit Einschüben, mit denen er sozial-, wirtschafts- und kulturgeschichtliche Themen behandelt - gerade für rein innerislamische Themen gelingt ihm das überzeugend. Die mitunter etwas blumigen Kapitelüberschriften helfen bei der Orientierung wenig, zumal sie sich manchmal nur auf Teile der Kapitel beziehen, doch erschließen sich bei der Lektüre Sinn und Zweck der einzelnen Kapitel jeweils schnell.
Seine Stärken offenbart das Buch immer dann, wenn es Cobb gelingt, die mitunter komplexen Sachverhalte innerhalb der islamischen Welt auf narrativ und didaktisch sehr überzeugende Art und Weise darzulegen. Dabei stützt er sich auf arabische Quellen, die westlichen Mediävistinnen und Mediävisten, wie von ihm moniert, in der Regel nicht zugänglich sind. Auf diese Weise kann er tatsächlich zu einem besseren und erweiterten Verständnis der muslimischen Seite beitragen und neue Perspektiven eröffnen.
Ebenfalls überzeugend ist seine Forderung, die Zeit der Kreuzzüge weniger als singuläre Unterbrechung (oder als Höhepunkt) einer größeren Geschichte zu betrachten, sondern eher als Teil einer kontinuierlichen Entwicklung seit dem 10. Jahrhundert. Konsequent versteht Cobb die Kreuzzüge als wesentlichen Abschnitt der Geschichte der gesamten islamischen Welt von Spanien, über Nordafrika bis in den Nahen Osten. Ob es sich dabei aber wirklich um eine einschneidende Infragestellung des "traditionellen" Verständnisses der Kreuzzüge handelt, wie Cobb suggeriert (vgl. 13), darf angesichts der jüngeren westlichen Kreuzzugsliteratur aber bezweifelt werden. [1]
Im Gegensatz zu anderen Publikationen zum Thema zieht das Buch immer wieder Parallelen zu aktuellen Verhältnissen und versucht so ein Bewusstsein für Gemeinsamkeiten, vor allem aber für Brüche zwischen der mittelalterlichen und der heutigen Situation zu wecken (z.B. 254, 343, 345, 347). So lautet Cobbs Fazit: "Die Kreuzzüge, aus welcher Perspektive man sie auch betrachtet, können moderne Konflikte nicht erklären, und ihre Motivation lässt sich nicht als Vorgeschichte oder Inspiration für zeitgenössische Auseinandersetzungen deuten" (348). Auch wenn diese Feststellung die politische Instrumentalisierung von Geschichte und besonders der Geschichte der Kreuzzüge ausklammert, ist sie doch ein wichtiger Gegenpol zum neomedievalistischen Gedankengut, das in den öffentlichen Diskursen um das aktuelle politische Weltgeschehen immer wieder bemüht wird. [2]
Seine Schwächen hat Cobbs Buch im Umgang mit dem Quellenmaterial und der vom Autor selbst geforderten Emanzipation vom westlichen Kreuzzugsdiskurs, die ihm trotz aller Bemühungen nicht so recht gelingen will. Besonders in den zahlreichen Passagen, die die Kreuzzugsgeschichte chronologisch aufarbeiten, werden die Geschehnisse immer wieder unter Verwendung einzelner Quellentexte nacherzählt und erinnern auch hinsichtlich der Erkenntnisse stark an die von Cobb kritisierte "traditionelle" Kreuzzugsliteratur. Die verwendeten Auszüge werden häufig nicht kommentiert und unbesehen übernommen (exemplarisch etwa die Eroberung Antiochias im Jahr 1098, wo selbst Name und Beruf eines Verräters angegeben werden, obwohl es sich dabei zweifellos um eine literarisierte Darstellung handelt, 115-119), ein Vorgehen, das den aktuellen geschichtswissenschaftlichen Standards nicht gerecht wird. Überhaupt gibt sich Cobb bei den Anmerkungen äußerst zurückhaltend, was das Buch für die wissenschaftliche Arbeit mitunter ungeeignet macht, da man wiederholt vergeblich nach weiterführenden Verweisen sucht. Auch finden sich sehr viele saloppe, teilweise unbelegte Formulierungen, die sich als störend erweisen und Ungenauigkeiten oder schlimmstenfalls tendenziöse und ahistorische Aussagen hervorrufen. Einige Beispiele müssen hier genügen: "während Bohemunds rabiater Neffe Tankred seine Stunde endlich gekommen sah und nach Bethlehem zog, um es sich persönlich unter den Nagel zu reißen" (126), "Zypern hatte sich zu einem skrupellosen Schurkenstaat entwickelt" (303) oder die Gleichsetzung der Mamelucken mit einer "Militärjunta" (346).
Dazu gesellen sich wiederholt inhaltliche Ungenauigkeiten, vor allem wenn es um die westlichen Kreuzfahrer geht. In diesen Fällen nimmt Cobb die relevante mediävistische Literatur - ebenfalls als Teil der Überwindung des bestehenden Forschungsdiskurses? - nicht oder nur ungenügend zur Kenntnis. So kann der Tod der Jerusalemer Königin Sibylle im Jahr 1190 kaum als Grund dafür gelten, dass ihr Mann, Guido von Lusignan, die Rückeroberung Akkons initiierte (246) - die Belagerung dieser Stadt hatte er schon Jahre zuvor in die Wege geleitet. Auch bei der Darstellung der Ereignisse der 1120er-Jahre ignoriert Cobb bestehende Forschungen und orientiert sich ausschließlich an den muslimischen Quellen (164) - dagegen ist zwar grundsätzlich nichts einzuwenden, doch müsste dieses Vorgehen kenntlich gemacht und relativiert werden. [3] Diese Beispiele mögen genügen - es ließen sich weitere anführen (z. B. 115, 136, 137, 264).
Cobb gelingt es, einen umfassenden Überblick über das Kreuzzugsgeschehen zu bieten. Der Autor bemüht vor allem muslimische Quellen, um seinem Anspruch gerecht zu werden, eine Kreuzzugsgeschichte aus muslimischer Perspektive zu verfassen. Auch wenn sich das Ergebnis über weite Strecken wie bereits bekannte Überblicksdarstellungen liest und manchmal inhaltliche Unsicherheiten offenbart, gelingt ihm dieses Vorhaben durchaus und ermöglicht zumindest eine Erweiterung des Zugriffs auf die Kreuzzüge. Problematisch ist indes der Umgang mit dem Quellenmaterial. Auch wenn sich das Werk von bestehenden "traditionellen" Kreuzzugsdiskursen abgrenzen und die Sicht der zeitgenössischen Muslime aufzeigen möchte, erfolgt dieser zu wenig reflektiert. Das ist im vorliegenden Fall besonders heikel, weil sich das Buch nicht ausschließlich an ein Fachpublikum, sondern auch an eine breite Leserschaft wendet.
Anmerkungen:
[1] Vgl. hierzu nur die inhaltliche Ausrichtung neuerer Einführungsliteratur zu den Kreuzzügen, wie: Nikolas Jaspert: Die Kreuzzüge ( = Geschichte kompakt), 6. Aufl., Darmstadt 2013.
[2] Vgl. Bruce W. Holsinger: Neomedievalism, Neoconservatism, and the War on Terror (= Paradigm; 29), Chicago 2007.
[3] Zum Forschungsstand zu den 1120er-Jahren vgl. Philippe Goridis: Gefangen im Heiligen Land. Verarbeitung und Bewältigung christlicher Gefangenschaft zur Zeit der Kreuzzüge (= VuF; Sonderband 57), Ostfildern 2015, 229-244, 306-312, 360-363.
Philippe Goridis