Andreas Moring: Liberale Europapolitik 1949-1989. Die Europapolitik der FDP zwischen 1949 und 1989. Mit einem Vorwort von Hans-Dietrich Genscher (= Demokrit. Studien zur Parteienkritik und Parteienhistorie; Bd. 4), Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2014, 617 S., ISBN 978-3-631-64801-8, EUR 99,95
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Die Europa-Politik war und ist, wie allein 2015 so unterschiedliche Entwicklungen wie die Schuldenkrise in Südeuropa oder die Flüchtlingsfrage zeigen, ein wichtiges Thema für die Bundesrepublik Deutschland und damit auch für die FDP. Dabei wird allzu oft vergessen bzw. bewusst ausgeblendet, dass die Liberalen 1956/57 die wohl wichtigste europapolitische Entscheidung der Bundesrepublik Deutschland, nämlich die Gründung der EWG, abgelehnt haben. Die bisweilen dafür vorgebrachten taktischen Argumente, z.B. dass zunächst nur sechs Mitgliedsstaaten an dem Zukunftsprojekt teilnahmen, aber auch Kritik an anderen Details, verdeutlichen nur, dass die FDP die Bedeutung und die Chancen der europäischen Einigung schlicht falsch einschätzte.
Andererseits ist nicht zu bestreiten, dass die FDP, die ja mit kurzen Unterbrechungen von 1949 bis 1989 als Koalitionspartner an der Regierung beteiligt war, von 1969 an mit dem Auswärtigen Amt, wichtige Stationen der Europa-Politik mitgetragen hat. Gleichwohl wurden aus den Reihen der Liberalen immer wieder kritische Stimmen laut, die vor der mangelnden demokratischen Legitimierung, zu protektionistischen Tendenzen und einer Gesamteuropa spaltenden Wirkung der EWG/EG warnten und insbesondere die supranationalen Elemente ablehnten, die es ja auch nach dem Scheitern der EVG 1954 weiterhin gab. Hier zeigten sich wiederholt die nationalliberalen Tendenzen, die in der FDP nicht nur bis 1969 einen Platz hatten.
Den Hauptteil des anzuzeigenden Bandes leitet eine Zeittafel ein, in der die wichtigsten Daten der internationalen Entwicklungen sowie der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland und der FDP zusammengestellt werden. Warum dabei die Wechsel an der Parteispitze aus der chronologischen Abfolge herausgelöst wurden, bleibt offen. Es folgt ein Überblick über die Europavorstellungen im politischen Liberalismus zwischen 1800 und 1945. In sieben einheitlich gegliederten Kapiteln, deren Begrenzungen weder den Bundestagswahlen noch den Amtszeiten der FDP-Parteivorsitzenden oder programmatischen Aussagen der Liberalen zur Europapolitik folgen und insgesamt eher schematisch wirken, versucht Moring dann, vor dem Hintergrund der jeweils zu Beginn erläuterten "wichtigen Ereignisse und Entwicklungen" und der "Entwicklung der europäischen Integration [...] die Entwicklung der FDP als Partei und vor allem die europapolitischen Ziele und Initiativen" der FDP zu erläutern; dies bildet den "Schwerpunkt der Untersuchung" (49). Den Band schließt eine tabellarisch aufgebaute Übersicht über die europapolitischen Aussagen der FDP in Partei-, Bundestags- und Europawahlprogrammen ab, die einen guten Überblick über die Entwicklung der Programmatik zwischen 1949 und 1989 ermöglicht.
Wer sich aber über die FDP-Europapolitik informieren will, der sollte dies besser nicht nur in diesem Band tun. Denn bei der Lektüre fallen leider reihenweise böse Schnitzer auf: Originell ist beispielsweise der Hinweis, dass die Kritiker des Parteivorsitzenden Erich Mende Ende 1967 "Gerüchte über einen möglichen Bruch mit der CDU in Nordrhein-Westfalen" und ein Bündnis SPD/FDP (314) streuten. Da regierten die Liberalen unter der Führung Willi Weyers bereits seit einem Jahr in der von Heinz Kühn (SPD) geführten Landesregierung, die bekanntlich als Vorläufer der 1969 gebildeten sozialliberalen Koalition im Bund gilt. Für jeden, der sich mit der Geschichte der FDP auch nur ansatzweise auskennt, ist der Regierungswechsel in NRW 1966 (!) ein zentrales und damit selbstverständlich bekanntes Datum. Ähnlich falsch und missverständlich ist die Formulierung, Thomas Dehler sei "von Heuss an den Liberalismus herangeführt und politisch geprägt worden" (199). Angesichts der parteipolitischen Aktivität Dehlers für die linksliberale DDP in der Weimarer Republik ist das jedenfalls kaum nachvollziehbar. Fragwürdig sind auch Einschätzungen zur Rolle von Theodor Heuss, dessen Bedeutung für die FDP in den 1950er Jahren Moring wohl überbewertet (219f.). Ebenso einseitig und daher schwer nachvollziehbar ist die These, die FDP sei bis 1969 nicht mit dem Außenministerium betraut worden, weil sie der Union in der Europapolitik als nicht besonders vertrauenswürdig galt (561). In der Hälfte dieses Zeitraums gab es kein Außenministerium bzw. war die FDP überhaupt nicht an der Regierung beteiligt, in der übrigen Zeit war die FDP entweder zu schwach, um sich in dieser Frage durchzusetzen, oder sie setzte andere inhaltliche Schwerpunkte. Die Reihe ließe sich fortsetzen.
Fast nebensächlich sind im Vergleich zu solchen inhaltlichen Ungenauigkeit systematisch falsche Schreibweisen, zum Beispiel Willi "Weier" statt "Weyer" (durchgängig im Text und im Register) oder öfters "Manfred" anstatt "Wolfgang" Döring (206). Es drängt sich angesichts der Häufung aber die Frage auf, ob der Autor sich mit zentralen Akteuren der FDP-Geschichte nicht doch besser vertraut hätte machen sollen. Denn ohne diese Kenntnis geht es nun mal nicht! Nicht weniger unglücklich erscheint - nun auf der handwerklichen Ebene - die Entscheidung, den zweiten Band der Memoiren Mendes wie gemeinhin üblich unter "Veröffentlichte Quellen" einzuordnen, den dritten hingegen unter "Literatur". [1] Generell mag die Zuordnung von Memoiren in verschiedenen Wissenschaften unterschiedlich gehandhabt werden, aber der hier gewählte Ausweg in die Beliebigkeit ist nicht zulässig. Die wohl wichtigste und vor allem einschlägigste Arbeit zum Thema aber, die Dissertation Mechthild Winkings zur Haltung der FDP gegenüber den Römischen Verträgen [2], wird zwar in der Einführung erwähnt, noch dazu recht kritisch, fehlt aber dann im Literaturverzeichnis. Honi soit qui mal y pense!
Besonders schlimm: In der Auseinandersetzung um die Regierungsbildung 1969 wird neben Josef Ertl und Erich Mende auch der bereits 1967 (!) verstorbene Thomas Dehler als "altliberaler" Gegner einer sozialliberalen Regierung verortet. Da Moring sich auch noch dazu auslässt, dass dies eine der ganz seltenen Gelegenheiten war, bei denen Mende und Dehler einer Meinung gewesen wären, handelt es sich wohl nicht um einen copy & paste-Fehler (321). Man fragt sich schon, wie und warum solche falschen und durch Quellen offenkundig nicht zu belegenden Behauptungen zustande kommen. Auf jeden Fall säen sie Zweifel, die weit über die einzelne Passage hinausgehen, da es auch bei allem guten Willen sehr schwer fällt, eine positive Erklärung zu finden.
Anmerkungen:
[1] Vgl. Erich Mende: Die neue Freiheit, 1945-1961, München 1984; Ders.: Von Wende zu Wende, 1962-1982, München 1986.
[2] Mechthild Winking: Liberale Außenpolitik zwischen Profilierung und Anpassung beispielhaft dargestellt an der Abstimmung der FDP zu den Römischen Verträgen 1957, Münster 2004.
Hans-Heinrich Jansen