Wolfgang Benz (Hg.): Handbuch des Antisemitismus. Judenfeindschaft in Geschichte und Gegenwart. Bd. 7: Literatur, Film, Theater und Kunst, Berlin / Boston: De Gruyter Oldenbourg 2015, XXII + 598 S., ISBN 978-3-11-025873-8, EUR 199,95
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Der siebte Band des "Handbuchs des Antisemitismus" behandelt in 269 Lemmata Formen des Antisemitismus in "Literatur, Film, Theater und Kunst". Dabei handelt es sich um den vorletzten Band einer viel beachteten Reihe, die Wolfgang Benz seit 2008 herausgibt. Die bisherigen Bände widmeten sich den Bereichen "Länder und Regionen", "Personen", "Begriffe, Theorien, Ideologie", "Ereignisse, Dekrete, Kontroversen", "Organisationen, Institutionen, Bewegungen" und "Publikationen". Die Reihe hat - so der Verlag - das Ziel, "ein enzyklopädisches Kompendium zu sämtlichen Aspekten der Judenfeindschaft ohne zeitliche oder räumliche Grenzen von der Antike bis zur Gegenwart in allen relevanten Nationen und Regionen" zu bieten. Mit Blick auf den Bereich von "Literatur, Film, Theater und Kunst" bedeutet dies aufzuzeigen, wie kulturelle Zeugnisse entweder gezielt zur antisemitischen Propaganda geschaffen wurden oder inwiefern sie auch ohne klare Stoßrichtung antisemitische Figurationen enthalten und auf judenfeindlichen Motiven aufbauen. Auch gehören Werke, die den Holocaust behandeln und den Antisemitismus kritisch reflektieren, zu den Lemmata. Es ist kein leichtes Unterfangen, sich auf 569 Seiten (exklusive Register) dem weiten Feld von Judenfeindschaft in Literatur, Film, Theater und Kunst zu nähern - umso beachtlicher ist es, wie breit gefächert, konzise und vielschichtig die Einträge sind.
Der Band besteht sowohl aus zusammenfassenden Darstellungen, etwa zur nationalsozialistischen Film-, Kunst-, Musik- und Literaturpolitik oder zu "Jud Süß in der Literatur", als auch aus thematisch eng geführten Lemmata, die sich einzelnen Werken widmen. Der Schwerpunkt liegt auf europäischen Themen, wenngleich auch amerikanische Filme oder etwa syrische und ägyptische Fernsehserien berücksichtigt werden.
Zu den ältesten Beispielen, die im Handbuch ausgeführt werden, gehört das "Ecclesia und Synagoga"-Motiv. Anhand des um 1230 entstandenen Südportals des Straßburger Münsters beschreibt Bernward Dörner, wie die christliche Kunst schon in der Spätantike zur "Verfestigung und Popularisierung von antijüdischen Vorstellungen" beigetragen hat (85) und der Antagonismus zwischen "Ecclesia und Synagoga" zu einem wirkmächtigen Motiv der Kunstgeschichte wurde. Der mächtigen und triumphierenden Allegorie der "Ecclesia" steht jene der "Synagoga" gegenüber, die "bei aller Vornehmheit mit den Attributen der Niederlage ausgestattet" sei - "barhäuptig, mit gesenktem Kopf, blind gebeugt, in ihrer Rechten die Fahnenlanze (Vexilium) mehrfach gebrochen" (85). Markus Thuraus Artikel ergänzt, wie nach 1945 mit der "Ecclesia und Synagoga"-Tradition mitnichten gebrochen wurde - allerdings sei unklar, "ob es sich hierbei um eine bewusst antijüdische Haltung der Künstler bzw. ihrer kirchlichen Auftraggeber oder um eine unreflektierte Übernahme des Bildprogramms aus dem reichen Fundus sakraler Kunst handelt" (87); als Desiderat wird eine kritische Aufarbeitung der nach 1945 entstandenen Werke genannt.
Zu den jüngsten Themen gehört "L'AntisÉmite". Unter diesem Lemma stellt Fabrice Teicher einen Film des französischen Komikers Dieudonné vor, der immer wieder mit antisemitischer Hetze von sich reden macht - so auch mit "L'AntisÉmite". Der Film von 2012 mache sich "sämtliche Vorurteile über Juden zunutze und ergänzt sie um ein paar neue: Geld, Sex, Macht, Manipulation, Lüge, Homosexualität, Pädophilie, Verbindungen zur Freimaurerei, Unterjochung der Palästinenser. Ganz wie die biologistischen Antisemiten am Anfang des 20. Jahrhunderts ist Dieudonné von Krebsgeschwüren besessen" (19). Mit diesem und weiteren Beiträgen - etwa über den "Holocaust-Karikaturen-Wettbewerb" von 2006, den eine iranische Zeitung als Antwort auf die dänischen Mohammed-Karikaturen ausschrieb - wird das Handbuch seinem Anliegen gerecht, nicht nur die Geschichte, sondern auch die Gegenwart in den Blick zu nehmen.
Besonders gelungen erscheint mit Blick auf die Reflexion des Holocaust, dass nicht nur kanonische Werke wie Paul Celans "Todesfuge", das Tagebuch der Anne Frank oder Thomas Bernhards "Heldenplatz" in das Handbuch aufgenommen wurden, sondern auch weniger bekannte Autoren wie der rumänische Arzt Emil Dorian (1891-1956). Seine Tagebücher beschreiben, wie Mariana Hausleitner ausführt, "alle Stufen der Ausgliederung der Juden aus der rumänischen Gesellschaft" (81) - vom Entzug der Staatsbürgerschaft 1938 über Plünderungen und Morde während des Bukarester Pogroms 1941 bis hin zu Massenmorden und Deportationen.
Manchmal macht der Zufall der alphabetischen Reihenfolge die Lektüre unverhofft besonders fruchtbar: Auf Wolfgang Benz' Lemma zur amerikanischen TV-Serie "Holocaust", die 1979 zu einem Medienereignis in der Bundesrepublik wurde und neue Impulse für die Aufarbeitung des Nationalsozialismus in den 1980er Jahren setzte, folgt Lisa Schoß' Eintrag zu "Hotel Polan und seine Gäste". Dabei handelt es sich um einen Fernseh-Dreiteiler, der als Antwort des DDR-Fernsehens auf die amerikanische TV-Serie "Holocaust" gilt und von einer jüdischen Hoteliersfamilie im böhmischen Grenzland zu Beginn des 20. Jahrhunderts handelt. Ziel war es für das DDR-Fernsehen unter anderem, den Kommunismus "im Kampf gegen Faschismus und Krieg plausibel zu machen und zugleich den gefährlichen Irrweg zu zeigen, den der Zionismus und seine Anhänger beschreiten" (172). Schoß wertet die Serie daher als Teil einer "Reihe von israelkritischen, ja antizionistischen Büchern und Dokumentarfilmen, die besonders in den 1980er Jahren in beträchtlicher Zahl in der DDR erschienen" (173).
107 Autorinnen und Autoren haben an dem Band mitgewirkt. Dass die einzelnen Beiträge unterschiedlich ausfallen, versteht sich von selbst - ebenso, dass hier und da andere Akzentuierungen möglich gewesen wären. Im Artikel zu Shylock werden etwa die Inszenierung des "Kaufmanns von Venedig" der Freien Volksbühne Berlin (1963) und Michael Radfords Verfilmung von 2004 erwähnt, nicht aber die viel beachtete WDR/ORF-Produktion mit Fritz Kortner in der Rolle des Shylock (1969). Die Feuilletons diskutierten damals die Frage, ob die Darstellung eines bösen Juden nicht an "Stürmer"-Karikaturen anknüpfe und sich Shylock nach Auschwitz nicht verbiete. Dass der jüdische Schauspieler Fritz Kortner, der den Shylock bereits 1927 in Berlin gespielt hatte, diese Rolle erneut übernahm, entkräftete solche Bedenken. Das Stück wurde im Fernsehen aufgeführt und half, mit philosemitischen Konventionen der Bundesrepublik zu brechen. Kortner starb 1970, der Shylock im Fernsehen wurde somit seine letzte Rolle.
Insgesamt überzeugt die Vielfalt der Artikel ebenso wie deren Prägnanz. So verschafft der siebte Band des "Handbuchs des Antisemitismus" einen breiten Überblick und ist eine enorme Hilfeleistung für alle, die sich für unterschiedliche Formen der Judenfeindschaft in "Literatur, Film, Kunst und Theater" interessieren. Dem Handbuch sind viele Leserinnen und Leser zu wünschen.
Raphael Rauch