Christopher Dillon: Dachau and the SS. A Schooling in Violence, Oxford: Oxford University Press 2015, XIII + 282 S., 12 s/w-Abb., ISBN 978-0-19-965652-3, GBP 65,00
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Christopher Dillon hat mit seiner bei Nikolaus Wachsmann entstandenen Dissertation die erste breit angelegte Studie zum Thema der Täter im Konzentrationslager Dachau vorgelegt. Er verfolgt in seiner Untersuchung das Ziel, sowohl dem individuellen als auch dem kollektiven Verhalten des SS-Personals nachzuspüren (1). Er geht davon aus, dass das Verhalten der KZ-Täter von vielen Faktoren beeinflusst wurde, und berücksichtigt in seiner Studie alle gängigen Erklärungsansätze der Täterforschung. Der Autor untersucht sowohl die Vorprägung der SS-Männer als auch ihre Sozialisation und Ausbildung bei der SS. Er arbeitet mit (kurz-)biografischen Ansätzen und führt kleinere statistische Erhebungen zur Generationenzugehörigkeit und zum Eintrittsdatum der Männer in die SS durch. Ein Kapitel ist der Analyse des Männlichkeitsbildes in der Schutzstaffel gewidmet, welches nach Christopher Dillon dazu beitrug, die Gewaltbereitschaft und den Anpassungsdruck zu erhöhen. Ergänzend zieht er einzelne Beobachtungen aus behavioristischen Ansätzen heran, wie dem sogenannte Milgram-Experiment (1961) sowie dem Stanforder Gefängnis-Experiment (1971) und analogen Experimenten. Seine Untersuchung beschränkt er auf den Zeitraum 1933 bis 1939.
Zunächst geht Christopher Dillon auf die "frühe SS" in Dachau ein. Damit meint er das SS-Personal, das bereits zum Zeitpunkt der vollständigen Übergabe der Bewachung des Konzentrationslagers von der bayerischen Landespolizei an die Schutzstaffel Ende Mai 1933 im Dienst der SS stand. Er stellt fest, dass sich unter diesen Männern bereits drei spätere KZ-Kommandanten und sechs zukünftige Lagerführer befanden. Christopher Dillon hebt die Bedeutung der sogenannten Dachauer Schule für die Entwicklung des gesamten Konzentrationslagersystems hervor. Die "Dachauer Schule" gewöhnte die SS-Männer systematisch an die alltägliche Ausübung von Gewalt, machte sie unempfindlich gegenüber den eigenen Gefühlen sowie gegenüber den Qualen der gefolterten Häftlinge. Die verschiedenen Methoden der "Häftlingsbehandlung" fanden durch die Ernennung des KZ-Kommandanten Theodor Eicke zum Chef der Inspektion der Konzentrationslager 1934 weitere Verbreitung.
Geprägt war die "frühe SS" durch die spezifischen Entwicklungen in Bayern nach Ende des Ersten Weltkrieges. Dazu gehört die Bildung der Münchner Räterepublik im Frühjahr 1919, die bürgerkriegsähnliche Zustände in Bayern zur Folge hatte. Die Stärke der radikalen Linken führte dazu, dass die rechten Parteien einen relativ großen Zulauf erhielten. Der Autor zeigt, dass die "frühe SS" nicht aus "ganz normalen Männern" bestand, sondern vielmehr aus überzeugten Nationalsozialisten. Sie hatten in Freikorps die Räterepublik bekämpft und waren später der SA oder der SS beigetreten. Einige waren auch am Hitler-Putsch im November 1923 beteiligt gewesen. Christopher Dillon stellt fest, dass ihr Verhalten gegenüber den Häftlingen im KZ Dachau anfangs noch stark vom Geiste der Gegenrevolution geprägt war.
Die "Dachauer Schule" hatte zweifelsohne eine große Bedeutung in der Entwicklung der SS-Herrschaft und des Konzentrationslagersystems. Dies wird besonders an der großen Zahl von SS-Männern deutlich, die in Dachau ausgebildet und in den ab 1936 neu errichteten Konzentrationslagern als Kommandanten oder Abteilungsleiter eingesetzt wurden. Ein Vergleich mit anderen frühen Haftstätten würde aber die Bedeutung der "Dachauer Schule" etwas relativieren. Denn viele der SA-geführten Lager unterschieden sich nicht vollkommen von dem SS-geführten KZ Dachau. Nicht nur waren diese Lager ähnlich organisiert [1], sondern das Personal zum Teil ebenso gewalttätig. So starben beispielsweise im SA-Gefängnis Papestraße in Berlin, das von März 1933 bis Dezember 1933 existierte, eine ähnlich große Zahl an Häftlingen wie im gleichen Zeitraum in Dachau. [2]
Christopher Dillon analysiert die Zusammensetzung, das Selbstverständnis, die Befehlskultur sowie die Ausbildung der Wachtruppe. Er bestätigt bisherige Ergebnisse der KZ-Täterforschung, dass die weltanschauliche Prägung und die Aussicht auf sozialen Aufstieg die entscheidenden Faktoren dafür waren, dass die Männer sich für einen Dienst bei der Wachtruppe entschieden. Der Autor betont dabei den Aspekt der Freiwilligkeit, welcher dazu beigetragen habe, dass die Männer sich mit den Taten identifiziert hätten.
"Alte Kämpfer", die als führungsschwach galten, sind nach Christopher Dillon von der Wachtruppe in den Kommandanturstab versetzt worden, wo "die Betonung weniger auf Führung und Soldatentum lag, sondern mehr auf der Terrorisierung der Häftlinge" (78). Ob dies jedoch wirklich systematisch der Fall war, ist zu bezweifeln, da auch von KZ-Kommandanten Führungsstärke erwartet wurde. Offenbar bestand aber zeitweise ein Mangel an "geeignetem" Personal, außerdem fühlte sich die SS-Führung den "Alten Kämpfern" verpflichtet.
Christopher Dillon stellt die Kommandanten, Abteilungsleiter und Rapportführer sowie einzelne Blockführer des KZ Dachau vor. Durch den biografischen Ansatz und die Erhebung ausgewählter Daten zur Sozialstruktur zeigt der Autor die personelle Entwicklung im KZ Dachau bis 1939 und stellt dar, welcher Typus von SS-Mann sich in dieser Phase durchsetzte. So wurde beispielsweise der KZ-Kommandant Heinrich Deubel, der von IKL-Chef Theodor Eicke für seine zu "humane Behandlung" der Häftlinge kritisiert wurde, nach anderthalbjährigen Dienst 1936 wieder abgesetzt. Sein Nachfolger, der für seine Brutalität bekannte Hans Loritz, konnte sich dagegen lange Zeit im KZ-System halten.
Ausgehend von Stanley Milgrams Beobachtung, dass "soziale Nähe" die Gehorsamsbereitschaft erhöht, hebt Christopher Dillon auf die Bedeutung von Gemeinschaft und Kameradschaft in der SS ab. In diesem Zusammenhang ist auch seine Analyse des Männlichkeitsbildes in der Schutzstaffel zu sehen (179). Diese beinhaltete die Glorifizierung von Militarismus, Härte, Treue, Kameradschaft, Jugend sowie die Ablehnung von Homosexualität. "Männlichkeit" in diesem Sinne musste der Einzelne in der Ausbildung und im KZ-Dienst beweisen, um nicht als "Schlappschwanz", "Muttersöhnchen" oder "Heulbase" zu gelten. Dies prägte auch das Verhalten der SS-Männer gegenüber den Häftlingen, denen ihre Männlichkeit abgesprochen wurde.
Christopher Dillon beschreibt außerdem die Beziehungen zwischen der SS und den KZ-Gefangenen, wobei er auf die Unterschiede in der Behandlung der einzelnen Häftlingsgruppen eingeht. Er identifiziert eine Spannung zwischen der Tendenz, die Häftlinge einerseits als das "kollektive Andere" zu homogenisieren, sie andererseits aber auch wieder in Gruppen einzuteilen. Das Personal hätte sich in ihrem Verhalten gegenüber den KZ-Gefangenen am Status der Häftlingskategorie orientiert.
Abschließend beschäftigt sich Christopher Dillon mit dem Verhältnis der Dachauer SS und der Bevölkerung. Er verweist auf die Rolle der Bystander, die durch ihr Verhalten Zustimmung, Gleichgültigkeit oder Ablehnung zum Ausdruck bringen konnten. Nach Christopher Dillon haben die lokale Bevölkerung und die öffentlichen Einrichtungen zumindest anfangs durch Entgegenkommen die SS-Männer in ihrer "Arbeit" bestätigt.
Die Stärke des Buches ist, dass es verständlich geschrieben ist und viele Erklärungsansätze berücksichtigt. Die meisten Ergebnisse sind nicht vollkommen neu, aber es ist das erste breit angelegte Buch zum Thema der KZ-Täter in Dachau. Hervorzuheben ist Christopher Dillons Analyse des Männlichkeitsbildes in der Dachauer Lager-SS. Anstelle eines Ausblicks im Epilog hätte dem Buch ein Fazit gut getan, in dem die wichtigsten Ergebnisse der Arbeit zusammengefasst und abschließend gewichtet worden wären. Außerdem fehlt eine systematische Unterscheidung zwischen Exzess-, Initiativ- oder Befehlstaten. Es stellt nämlich einen Unterschied dar, ob die SS-Männer aus eigener Initiative oder auf Befehl mordeten. In diesem Zusammenhang wäre auch eine Untersuchung der großen Massenmordaktionen wie der Tötung der sowjetischen Kriegsgefangenen ab 1941 interessant gewesen.
Anmerkungen:
[1] Vgl. Günter Morsch: Organisations- und Verwaltungsstruktur der Konzentrationslager, in: Der Ort des Terrors: Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager, Bd. 1, hg. von Wolfgang Benz / Barbara Distel, München 2005, 58-75. Günter Morsch hebt hervor, dass Theodor Eicke nach dem Sieg über die SA und seinem Aufstieg zum IKL-Chef 1934 dazu tendierte, seine eigene Leistung bei der Reorganisation der Lager zu überhöhen.
[2] Im SA-Gefängnis Papestraße starben 30 Häftlinge während oder in unmittelbarer Folge ihrer Haft. Die Zahl der Todesopfer im KZ Dachau liegt für den gleichen Zeitraum bei 25. Wie viele noch nach ihrer Entlassung starben, ist unbekannt. Zum SA-Gefängnis Papestraße siehe Irene von Götz / Petra Zwaka (Hgg.): SA-Gefängnis Papestraße. Ein frühes Konzentrationslager in Berlin, Berlin 2013.
Andrea Riedle