Alojzy Twardecki: Die Schule der Janitscharen. Aus dem Polnischen übersetzt von Christoph Koch, Bruxelles [u.a.]: Peter Lang 2013, LIII + 245 S., ISBN 978-3-631-63992-4, EUR 24,90
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Ryszarda Sznejer: Matki Moje. Droga poszukiwana rodziny, Dąbrówno : Oficyna Wydawnicza Retman 2014, 211 S., ISBN 978-83-62552-05-4
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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.
Mateusz Hartwich: Das Schlesische Riesengebirge. Die Polonisierung einer Landschaft nach 1945, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2012
Berenika Szymanski: Theatraler Protest und der Weg Polens zu 1989. Zum Aushandeln von Öffentlichkeit im Jahrzehnt der Solidarność, Bielefeld: transcript 2012
Corinna Felsch: Reisen in die Vergangenheit? Westdeutsche Fahrten nach Polen 1970-1990, Berlin / Boston: De Gruyter Oldenbourg 2015
Agnieszka Zagańczyk-Neufeld: Die geglückte Revolution. Das Politische und der Umbruch in Polen 1976-1997, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2014
Jochen Böhler / Stephan Lehnstaedt (Hgg.): Gewalt und Alltag im besetzten Polen 1939-1945, Osnabrück: fibre Verlag 2012
Heike Amos: Vertriebenenverbände im Fadenkreuz. Aktivitäten der DDR-Staatssicherheit 1949 bis 1989, München: Oldenbourg 2011
Joanna Hytrek-Hryciuk: "Rosjanie nadchodzą!". Ludność niemiecka a żołnierze Armii Radzieckiej (Czerwonej) na Dolnym Śląsku w latach 1945-1948, Wrocław: Oddział Instytutu Pamięci Narodowej - Komisji Ścigania Zbrodni przeciwko Narodowi Polskiemu 2010
Nicole Kramer: Volksgenossinnen an der Heimatfront. Mobilisierung, Verhalten, Erinnerung, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2011
Eine persönliche Bemerkung zum Zustandekommen dieser Doppelbesprechung soll am Anfang stehen: Kurz nachdem ich die Rezensionsanfrage für die 2013 erschienenen Erinnerungen von Alojzy Twardecki, einem von den Nationalsozialisten zwangsgermanisierten polnischen Kind, angenommen hatte, die im Original auf Polnisch bereits im Jahr 1969 publiziert wurden, überreichte mir Ryszarda Sznejer ihr 2014 erschienenes Buch "Moje Matki". Thema ist die Suche der Autorin nach ihrer Herkunft [1], in deren Verlauf sie - eine polnische Patriotin - im Rentenalter erfuhr, dass sie gebürtige Deutsche ist. Aus Reintraud Schmeier, die sich zu Kriegsende in Kinderheimen in Lidzbark und Olsztyn befand, machten die polnischen Behörden in der Nachkriegszeit kurzerhand Ryszarda Sznejer, bevor die kleine Reintraud / Ryszarda nach ihrer Adoption ein weiteres Mal umbenannt wurde - bis die Spuren ihrer Herkunft fast vollständig verwischt waren. Das 20. Jahrhundert mit seinen extremen Verwerfungen - rassistischen Ideologien und weitreichenden Grenzverschiebungen - spiegelt sich exemplarisch in diesen beiden Schicksalen. Bei beiden wurde im Kindesalter die Identität überschrieben, was zu Spätfolgen bis ins hohe Erwachsenenalter führte: Sowohl Twardecki als auch Sznejer - ich bleibe bei ihrem gewählten Autorennamen - berichten von Zerrissenheitsgefühlen. Twardecki wurde im nationalsozialistischen Deutschland mit antislawischen Stereotypen erzogen und nach seiner Rückkehr nach Polen - erst kurz nach dem Ende der brutalen Besatzungspolitik der Deutschen - mit massiven antideutschen Einstellungen konfrontiert. Sznejer hingegen zweifelte ihre polnische Herkunft lange nicht an, sondern glaubte der Deckerzählung ihrer Adoptivmutter, dass sie zu den zwangsgermanisierten polnischen Kindern gehört habe. Eine besondere Verbindung der beiden Bücher besteht deshalb auch darin, dass Sznejer schildert, wie sie Twardeckis Buch nach dem Erscheinen auf Polnisch las, immer nach Hinweisen beziehungsweise Ansatzpunkten für ihre eigene Suche Ausschau haltend.
Beide Publikationen bieten einen Einblick in schwierige Identitätssuchen und -konstellationen, worin ihr größter Quellenwert liegt. Twardecki erzählt in fiktiven Briefen an einen Freund eine Geschichte der Zerrissenheit zwischen zwei Familien und zwei Ländern. Das Buch bietet zudem wertvolle Einblicke in den Alltag der Zwangsgermanisierung aus dem Blickwinkel eines Betroffenen. Und hier ist Twardeckis Buch tatsächlich einmalig, da von den weiteren rund 20.000 zwangsgermanisierten polnischen Kindern (das sind neuere Schätzungen nach Isabel Heinemann und Ines Hopfer) sonst keine schriftlichen Memoiren bekannt sind. Twardeckis Buch erlebte auf Polnisch mehrere Wiederauflagen und Übersetzungen in andere Sprachen. Nur die Übersetzung ins Deutsche ließ auf sich warten, was der Übersetzer Christoph Koch in seiner längeren Einleitung mit mangelndem öffentlichen Interesse am Thema der zwangsgermanisierten polnischen Kinder in Deutschland erklärt. Sicher ist richtig, dass andere Aspekte der Besatzungs- und Rassenpolitik im medialen Fokus standen und stehen, doch die wissenschaftliche Aufarbeitung ist nach den Pionierstudien von Roman Hrabar unter anderem mit den jüngeren Publikationen von Heinemann und vor allem Hopfer gut vorangekommen. [2]
Hopfer, die auch mit Interviews arbeitete, bietet ebenfalls direkte Einblicke in die verworrenen Lebenswege der germanisierten polnischen Kinder, denen die leiblichen Eltern nach Kriegsende oft fremd waren und deren Rückkehr nach Polen in identitärer Hinsicht schwierig war. Sznejer hingegen erzählt die Geschichte ihrer Suche, was sich spannend liest, obwohl es manchmal ein wenig kleinteilig geraten ist und man für eine eventuelle Übertragung ins Deutsche über Kürzungen nachdenken sollte. Der Fall von Sznejer interessiert zum einen mikrohistorisch. Ihre Warschauer Adoptivfamilie hatte während der Besatzung bereits eine erste Adoptivtochter, die sie nach dem Krieg aber nach einer verlorenen Gerichtsverhandlung abgeben musste: Das Mädchen war jüdischer Herkunft und emigrierte mit den überlebenden Familienmitgliedern nach Israel. Bis heute stehen die Frauen in engem Kontakt, und es ist wohl nicht übertrieben zu sagen, dass sich die polnische Geschichte im und nach dem Zweiten Weltkrieg in dieser Familie wie in einem Brennglas zeigt. Zum anderen inspiriert die Geschichte von Sznejer auf jeden Fall zum weiteren Nachdenken über Kinderpolitiken im 20. Jahrhundert. Denn der vorliegenden Doppelrezension könnte man den Titel "Von germanisierten und polonisierten Kindern" verleihen, da sich einige strukturelle Ähnlichkeiten der Politiken finden lassen. Kinder sollten die jeweils eigene Bevölkerung stärken, sie galten als formbar und somit zu richtig eingestellten Staatsbürgern erziehbar. Die Begründungen, Anlässe und Umsetzung von Germanisierung und Polonisierung unterschieden sich jedoch deutlich. Während die nationalsozialistischen Rassenplaner die polnischen Kinder regelrecht raubten und nach rassenpolitischen Kriterien begutachteten, hat der polnische Staat nach 1945 eher von der Gelegenheit Gebrauch gemacht, dass in den Wirren des Krieges und "Flucht und Vertreibung" zahlreiche deutsche Kinder in den nun polnischen Gebieten zurückgeblieben waren. Sie sollten wenigstens in Ansätzen den Bevölkerungsverlust ausgleichen, den die brutale deutsche Besatzung im Zweiten Weltkrieg gefordert hatte. Wie viele Kinder von der Polonisierung betroffen waren, ist unklar - hier sind weitere Forschungen wünschenswert, die die polnischen Politiken in die Kinderpolitiken unterschiedlicher europäischer Staaten in der Nachkriegszeit - ein Feld, in dem Tara Zahra Pionierarbeit leistete - einordnen sollten.
Anmerkungen:
[1] Bei dieser Suche half ich ihr einige wenige Male, was ich hier erwähnen möchte.
[2] Roman Zbigniew Hrabar: Hitlerowski rabunek dzieci polskich. Uprowadzenie i germanizowanie dzieci polskich w latach 1939-1945 [Der hitlerische Raub polnischer Kinder. Die Entführung und Germanisierung polnischer Kinder in den Jahren 1939-1945], Katowice 1960; Isabel Heinemann: Rasse, Siedlung, deutsches Blut. Das Rasse- und Siedlungshauptamt der SS und die rassenpolitische Neuordnung Europas, Göttingen 2003; Ines Hopfer: Geraubte Identität. Die gewaltsame "Eindeutschung" von polnischen Kindern in der NS-Zeit, Wien u.a. 2010.
Maren Röger