Steffen Unger: Der König von Asien. Alexander der Große erobert Persien, Mainz: Philipp von Zabern 2014, 192 S., ISBN 978-3-8053-4821-8, EUR 24,95
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Alexander III. (der Große; 356-323 v.Chr.), Sohn Philipps II. und von 336 bis 323 v.Chr. makedonischer König, ist, allein gemessen an der medialen Resonanz, die er seit seinem Tod bis in die Gegenwart erfährt, eine der bedeutendsten Persönlichkeiten der Weltgeschichte. Alexander als Person, seine Handlungen, seine Wirkung und sein Nachleben werden daher auch außerhalb der Fachwelt rezipiert und sind von konstantem Interesse für eine geschichtsinteressierte Öffentlichkeit.
Diese an Alexander, wie vermutlich auch an weiteren, die Weltgeschichte prägenden Persönlichkeiten interessierte Öffentlichkeit hat Steffen Unger als Zielgruppe für den hier besprochenen Band im Blick.
Sein Band umfasst sechs Hauptkapitel unterschiedlicher Länge, die jeweils in zahlreiche Unterkapitel gegliedert sind. Eingeschoben sind sieben kürzere, optisch abgesetzte Exkurse von bis zu drei Seiten Länge, die einige zentrale Aspekte der Alexanderzeit als Epoche vertiefen, die eben nicht nur von der Biografie Alexanders definiert und geprägt wurde [zu nennen sind etwa die makedonische Armee (50f.), das Achaimenidenreich (66f.), die vormoderne Alexanderimitatio (170ff.) oder die Rezeption Alexanders in der fiktionalen Literatur (180ff.)]. Zudem gibt es drei Übersichtskarten des Untersuchungsraumes, einen Plan der Schlacht von Issos sowie einen Innenstadtplan von Babylon. Abgeschlossen wird der Band von einem Anhang (185-192) mit einer Zeittafel der wichtigsten (im Band behandelten) Ereignisse (186f.) sowie einer kurzen, vorwiegend deutschsprachige monografische Literatur anführenden Bibliografie, die aber selbst im Hinblick auf die vom Autor favorisierten Überblicksdarstellungen nicht auf dem neuesten Stand ist. [1] Die Literaturauswahl zeigt letztlich auch, dass sich Unger nicht zuvorderst an ein Fachpublikum wenden will - eine nicht unerhebliche Prämisse, die es für den Rezensenten zu beachten gilt: Die reine wissenschaftliche Lehre und mit ihr verbundene Standards taugen also nicht zum Leitmotiv einer Beurteilung. So soll auch das Fehlen von Anmerkungen hier nur erwähnt, nicht aber bewertet werden.
Gemessen am eigenen Anspruch (Klappentext: "journalistische Manier"), erscheint der Band zunächst durchaus gelungen: spannend geschrieben, ein Pageturner, wird der Leser von den historischen Ereignissen schnell gepackt. Trotzdem wirken die fiktiven Dialoge störend und man fragt sich, was sie in einem dezidiert als Sachbuch und nicht als Dokudrama konzipierten Werk überhaupt verloren haben.
Der Autor liefert eine solide Nacherzählung der wichtigsten Fakten aus Alexanders Biografie, wird etwas detaillierter bei ihren auch außerhalb von Fachkreisen als kontrovers bekannten Aspekten (Herrschaftsantritt, Hephaistion, Proskynese, Tod etc.), drückt sich aber um die ambivalenten Untiefen der Persönlichkeit und aktuelle Forschungsfragen: War Alexander brutal und skrupellos; war er Stratege oder Hasardeur; war er von historischer Größe oder nur Getriebener? [2] Geschuldet ist Ungers Schweigen hier natürlich der prekären Quellen- und Überlieferungslage zur Lebenszeit des historischen Alexander; leider verzichtet Unger darauf, den Leser auf diese Problematik oder überhaupt auf die Diskrepanz zwischen Alexanders Bekanntheitsgrad und der tatsächlichen Quellenlage hinzuweisen.
Erforderlich wäre es jedoch gewesen - ohne sich dabei in Details verlieren zu müssen - und auch dem populärwissenschaftlichen Konzept dienlich, in allgemeiner Form auf die Problematik der Quellenlage der Alexanderzeit einzugehen und die Frage wenigstens aufzuwerfen (nicht zu beantworten), was gesicherte Fakten sind und was spätere Propaganda oder Folge einer konstanten Alexanderhistoriografie und warum sich die Wirkmächtigkeit Alexanders erst allmählich nach seinem Tod so nachhaltig entfaltet hat (Alexander imitatio hellenistischer Herrscher?; Wertungen bei Polybios, Arrian, Curtius Rufus?).
Obwohl Unger zurecht die Parallelität von Pragmatismus und Psychose in Alexanders politischem Agieren betont, wobei er durchaus überzeugend Entscheidungsprozesse und -motive des makedonischen Königs anhand von Plausibilitätserwägungen gerade für den Laien (Zielgruppe) nachvollziehbar macht, wäre eine in der Summe kritischere Distanz zu seinem Protagonisten empfehlenswert gewesen, um ein wissenschaftlich zeitgemäßes Alexanderbild und kein allzu heroisches zu vermitteln. [3] Dass durch Ungers Methode auch der kritische Blick auf die Quellen weitgehend vernachlässigt wird, ist ein unerfreulicher Nebeneffekt. Dass für den Laien so der Eindruck entsteht, die tatsächliche Überlieferungslage sei nebensächlich, macht Ungers weithin fehlende Beschäftigung mit der schwierigen Quellenlage seines Gegenstandes zudem problematisch.
Insgesamt wären mehr kartografische Abbildungen wünschenswert gewesen und auch klarere Erläuterungen dazu, was geografisch in der Antike im Unterschied zur Gegenwart unter 'Asien' subsummiert wurde (der Buchtitel insinuiert dies jedenfalls). Auch wären gewiss noch weitere Aspekte für die vertiefenden Exkurskapitel sinnvoll gewesen, da Vorkenntnisse der Zielgruppe kaum vorausgesetzt werden sollten. Kritisch anzumerken ist in diesem Zusammenhang ebenfalls, dass diese Zielgruppe willkürlich mit wissenschaftlichen Konzepten (speererworbenes Land) oder Fachbegriffen (Vulgata) konfrontiert wird, die dann aber nicht erläutert werden. Hier wäre ein Glossar ebenso hilfreich gewesen wie die Zeitleiste im Anhang.
Größere sachliche Fehler sind nicht auszumachen, kleinere hier nicht der Rede wert, diente ihre Erwähnung doch nur dem Lob des Rezensenten. Dennoch soll das gute Lektorat des Bandes nicht unerwähnt bleiben, da ein solches leider keineswegs mehr selbstverständlich ist und daher sehr wohl der Rede wert.
Die Tatsache, dass Ungers Schlussbemerkung nur eine knappe Seite umfasst, belegt erneut, dass er keine Neuinterpretation der Alexandergeschichte im Sinn hatte, sondern eine faktenreiche und deskriptive Darstellung der bekannten Ereignisse. Dieses Anliegen kann als gelungen bezeichnet werden. Dass der Autor dazu nicht bis in die Verästelungen des aktuellen Alexanderdiskurses vordringen mag, ist im Angesicht des Buchkonzeptes legitim und ihm keineswegs zum Vorwurf zu machen. Eine kleinteilige Auseinandersetzung mit dem Forschungsstand zu Alexander III. zu vermissen, wäre also eitel; dennoch muss sich der Band mit anderen, ebenfalls allgemeiner gehaltenen Darstellungen über Alexander vergleichen lassen [4], wobei dann Ungers Tendenz auffällt, an neuralgischen Punkten von Alexanders Biografie eine eindeutige Positionierung zu vermeiden. Zudem wäre die Berücksichtigung mancher Hauptströmungen der Forschung der vergangenen Jahrzehnte, nicht zuletzt die tiefergehende Auseinandersetzung mit der historischen Wirkung Alexanders und einer kritischen Würdigung seiner Persönlichkeit und seiner Leistungen wünschenswert gewesen. [5] Eine sich insgesamt dadurch einstellende vorsichtigere Nähe gegenüber seinem Protagonisten Alexander hätte dem Band nicht geschadet.
Anmerkungen:
[1] Exemplarisch: Ian Worthington: By the Spear. Philip II, Alexander the Great, and the Rise and Fall of the Macedonian Empire, Oxford 2014; Ian Worthington: Alexander the Great. Man and God, London 2004; Elizabeth Donnelly Carney (Hg.): Philip II and Alexander the Great. Lives and Afterlives, Oxford 2010; Pat Wheatly: Alexander and his Successors: Essays from the Antipodes, Claremont 2009 und Waldemar Heckel: Alexander the Great. A New History, Malden 2009.
[2] Gerhard Wirth: Studien zur Alexandergeschichte, Darmstadt 1985, bes. 168-203; Gerhard Wirth: Brand von Persepolis. Folgerungen zur Geschichte Alexanders des Großen, Amsterdam 1993; Gerhard Wirth: Der Weg in die Vergessenheit. Zum Schicksal des antiken Alexanderbildes, Wien 1993; Sabine Müller: Maßnahmen der Herrschaftssicherung gegenüber der makedonischen Opposition bei Alexander dem Großen, Frankfurt aM. 2003; Sabine Müller: Rez. zu: Ian Worthington (Hg.): Alexander the Great. A Reader, London 2003, in: H-Soz-Kult 14.02.2003; John D. Grainger: Alexander the Great Failure. The Collapse of the Macedonian Empire, London 2009; Ian Worthington: How 'Great' was Alexander, in: Ancient History Bulletin 13.2 (1999), 39-55; Frank L. Holt: Alexander the Great Today. In the Interest of Historical Accuracy?, in: Ancient History Bulletin 13.3 (1999), 111-117.
[3] Wünschenswert wäre dabei eine stärkere Orientierung an den Erträgen zum Alexanderbild der oben in Anmerkung 2 genannten Forschungen gewesen.
[4] Diese werden beinahe vollständig in Ungers Bibliografie genannt; warum eine stärkere Auseinandersetzung mit hier zum Teil abweichenden oder klareren Positionierungen unterbleibt, ist unverständlich.
[5] Vgl. oben Anmerkung 2.
Thomas Brüggemann