Rezension über:

Erhard Eppler: Links leben. Erinnerungen eines Wertkonservativen, Berlin / München: Propyläen 2015, 335 S., 16 s/w-Abb., ISBN 978-3-549-07465-7, EUR 22,00
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Rezension von:
Heiner Möllers
Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, Potsdam
Redaktionelle Betreuung:
Empfohlene Zitierweise:
Heiner Möllers: Rezension von: Erhard Eppler: Links leben. Erinnerungen eines Wertkonservativen, Berlin / München: Propyläen 2015, in: sehepunkte 16 (2016), Nr. 5 [15.05.2016], URL: https://www.sehepunkte.de
/2016/05/28154.html


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Erhard Eppler: Links leben

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Baskenmütze, Apostelbart und pazifistische Reden gegen NATO-Raketen - so ist Erhard Eppler dem Rezensenten in Erinnerung. Er war in den frühen 1980er Jahren eine maßgebende Person der sich gegen den NATO-Doppelbeschluss etablierenden, Parteien und gesellschaftliche Gruppen übergreifenden Friedensbewegung und bei deren Großdemonstrationen mit mehreren Hunderttausenden Teilnehmern prominenter Redner. Was war er sonst? Muss man ihn kennen und hat er eine Bedeutung für die Geschichte der Bundesrepublik? Diese Fragen stellen sich angesichts seiner jüngst erschienenen "Erinnerungen eines Wertkonservativen", und diese Memoiren sind immerhin sein 26. Buch!

Eppler wurde, worüber seine Website und andere Internetressourcen informieren, 1926 in Ulm geboren, besuchte ein Gymnasium und schloss das Abitur erst nach dem Krieg 1946 ab. Zuvor hatte er von 1943 bis 1945 Kriegsdienst geleistet. Er arbeitete von 1953 bis 1961 als Gymnasiallehrer und ist promovierter Germanist. Bereits 1952 gründet er gemeinsam mit Gustav Heinemann (73ff. sowie 81-83) die Gesamtdeutsche Volkspartei und trat 1956 mit Heinemann nach dem Scheitern dieser Sammlungsbewegung in die SPD ein. Er gehörte dort zu den Außen- und Sicherheitspolitikern (119-130), was auf eine frühe Einflussnahme Fritz Erlers auf den Lebensweg Epplers zurückzuführen ist. Bereits als junger Abgeordneter entwickelte er ein Verständnis für außenpolitische Handlungsspielräume Deutschlands in der damals bipolaren Welt. Dazu gehörte für ihn auch, dass die Kontinente Afrika und Asien nicht länger nur Spielball der Supermächte sein oder als Experimentierfeld der industrieorientierten Politik der Wirtschaftsstaaten dienen sollten.

Als "Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit" versuchte er zwischen 1968 und 1974 die Entwicklungshilfe der Bundesrepublik Deutschland als Wirtschaftshilfe zur Eigenständigkeit weiterzuentwickeln. Dazu gehörte ebenfalls ein bewusster Umgang mit der Natur; Ökologie war damals noch ein Fremdwort. Bundeskanzler Willy Brandt verstand auch erst später Epplers Ansatz, dass die SPD dieses "Kernthema der Zukunft" - später fanden in der Partei Die Grünen nicht wenige frühere SPD-Mitglieder eine neue politische Heimat - als solches erkennen müsste (156f.).

Dieses banale Beispiel, mit dem Eppler sein Verhältnis zu Willy Brandt beschreibt, ist eines von vielen im Buch, in denen er Vorsitzende, Kanzler und Kanzlerkandidaten der SPD charakterisiert und einer deutlichen Kritik unterzieht. Und dies ist die Stärke des Buches: Eppler beschreibt neben seinem Verständnis von sozialdemokratischer Politik im Wandel der Zeit auch die Führung der SPD. Erstaunlicherweise kommt neben Willy Brandt (153-161) auch Gerhard Schröder (267-273) gut weg. Im Gegensatz dazu werden Helmut Schmidt, der scheinbarere "Überkanzler" der Bundesrepublik, und gerade Oskar Lafontaine, bei Eppler auf das Maß des faulen Selbstdarstellers reduziert (226f.), deutlich kritisiert. Insbesondere Schmidts pragmatische Politik ist für Eppler kaum mehr als Verwaltungsschule (168-179). Beide schätzten sich offensichtlich kaum (131!).

Epplers Scheitern als Entwicklungspolitiker an Bundeskanzler Schmidt 1974 und sein Wechsel nach Baden-Württemberg, wo er als Landesvorsitzender der SPD jede der kommenden Wahlen verlor, hinterlassen das Bild eines "immer gescheiterten". Auch wenn er in diesen Jahren als Mitglied des Parteivorstandes der SPD zur engeren Führung dieser Partei gehörte, entwickelte er zunehmend eigenständige Positionen zur Politik der Bundesregierung Schmidt/Genscher. Insbesondere seine Ablehnung des NATO-Doppelbeschlusses beförderte die Spaltung der SPD in dieser sicherheitspolitischen Frage bzw. sie sorgte für die Isolierung Helmut Schmidts in seiner eigenen Partei. Epplers Kernfrage dazu war simpel und in sich stimmig: Wieso sind die SS-20 eine solche Gefahr für den Frieden, wenn die NATO bislang ein vollkommenes Ungleichgewicht bei nuklearen Mittelstreckenwaffen hingenommen hat? Und wieso müssen nun in Westeuropa US-Mittelstreckenraketen stationiert werden, um ein Gleichgewicht, das es Jahrzehnte vorher nicht gab, nun auf einmal herzustellen? Im Übrigen haben zahlreiche neuere Forschungen deutlich genug herausgestellt, dass es nicht um eine "Nachrüstung" der NATO, sondern allenfalls eine militärtypische Modernisierung von Waffensystemen in Ost und West ging (201-212).

Eppler war nie der von Unionspolitikern so diffamierte "linke[r] Systemveränderer" (121). Vielmehr war er ein in größeren Zusammenhängen denkender Politiker, der Entwicklungshilfe kaum machtpolitisch verstand, sondern als wirtschaftspolitische Unterstützung zur Selbsthilfe verstanden wissen wollte. Nur so konnte man den "Entwicklungsländern" zur Demokratie verhelfen. Sie musste damit langfristig angelegt sein und nachhaltig wirken. Bundeskanzler Schmidt hat das, Eppler zufolge, nicht verstanden - für ihn bedeutete Entwicklungshilfe vor allem Kosten -, sein Vorgänger Brandt dagegen schon. Die Grundlagen für solch politisch-programmatisches Denken brachte Eppler in die Arbeit der SPD-Grundwertekommission ein (213ff.).

Epplers Wurzeln und die seiner Vorstellungen von Politik lagen indes in seiner Familie begründet. Und da war er niemals ein Linker, eben ein Wertkonservativer, der "was wachsen sehen" wollte (96). In der SPD stand er dabei nicht für den Gewerkschaftsflügel, und er war kein Kanalarbeiter. Er stand für sich und entwickelte ein ganz individuelles Profil. Er provozierte Widersprüche und ließ sich nie mit einfachen Phrasen abspeisen. Er erwartete Antworten, die ihm in seiner Partei manche Mächtige nicht so geben wollten, wie er sie zu hören erwartete. Es ist wohl das Schicksal solcher Querdenker, in der Partei selten die Anerkennung zu erfahren, die sie verdienen.

Heiner Möllers