Marina Benedetti / Luciano Cinelli (a cura di): Niccolò da Prato e i frati predicatori tra Roma e Avignone (= Memorie Domenicane. Nuova Serie; Nr. 44), Firenze: Edizioni Nerbini 2014, 608 S., 60 Farbtafeln, ISBN 978-88-6434-070-8, EUR 70,00
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Seit 1244 waren die Dominikaner im innersten Beratungs- und Entscheidungsgremium der Römischen Kirche, dem Kardinalskolleg, mit zumindest einem Vertreter präsent. Ihr Einfluss war enorm - ein Einfluss, der sich vor allem auf theologisch-dogmatischem Gebiet manifestierte und 1323 in der Heiligsprechung des Thomas von Aquin durch Papst Johannes XXII. gipfelte. Niccolò da Prato (um 1250-1321) hatte zunächst eine ordensinterne Karriere durchlaufen, die ihn bis ins Amt des Generalmagisters führte und wurde 1299 zum Bischof von Spoleto ernannt. Dino Compagni nennt ihn in seiner Cronica schlicht "di piccoli parenti, ma di grande scienzia, grazioso e savio". [1] Er gehört zweifellos zu den Schlüsselfiguren der Geschichte des ausgehenden 13. und beginnenden 14. Jahrhunderts. 1303 von seinem Ordensbruder Papst Benedikt XI. zum Kardinal erhoben, amtierte er von 1304 bis zu seinem Tod 1321 in der verantwortungsvollen Position eines Dekans des Kollegs. Drei Päpsten, Benedikt XI., Clemens V. und Johannes XXII., arbeitete er zu, wurde immer wieder zu diplomatischen Missionen herangezogen und erwies sich nach der definitiven Übersiedlung des Papsttums nach Avignon als großer Mäzen. In der Forschung gilt er als cardinalis litteratus, wobei sich sein "Prähumanismus" stark in den Kanzleien mit ihren artes dictandi verwurzelt zeigt. Neben zwei veralteten monographischen Arbeiten zu seiner Person [2] liegen einige wenige Artikel vor, die aber lediglich Teilaspekte seines weitgespannten Wirkens behandeln. Es war also an der Zeit, die neuesten Forschungen zu Leben und Wirken des Kardinals zu bündeln und in einem Sammelband - gleichzeitig der 44. Band der jährlich erscheinenden Memorie Domenicane - zu veröffentlichen.
15, von einer Einführung der Herausgeberin und einer Zusammenfassung von Andrea Tilatti eingerahmte Artikel sind acht Kapiteln zugeordnet: I. Tra piccola e grande storia; II. La vita: le origini, il vescovo e il cardinale; III. L'impegno diplomatico; IV. Uno sguardo sull'ordine dei frati Predicatori; V. Donne, santità ed eresia; VI. Libri e biblioteche; VII. Nella pittura e nella musica; VIII. Cultura e trasmissione della memoria. Überblicksdarstellungen, von denen einige wenige leider nicht die Qualität der übrigen Beiträge erreichen, reihen sich an Spezialuntersuchungen, die auf minutiöser Quellenarbeit beruhen und unser Bild des Dominikanerkardinals nicht unwesentlich bereichern. Nur auf Weniges sei in der Folge eingegangen.
Federico Lorenzini fiel die undankbare Aufgabe zu, der (umstrittenen) Herkunft des Dominikaners nachzugehen (Niccolò da Prato e la sua famiglia: tra erudizione e biografia, 39-57). Quellen fließen hier nur spärlich, und es ist alles andere als einfach, vor dem Hintergrund all der Konjekturen und Beziehungen, die seit dem 14. Jahrhundert bis in die jüngste Gegenwart hinein auf schmaler Quellenbasis konstruiert wurden, den Überblick zu behalten. Niccolò da Prato, der in der schriftlichen Überlieferung auch als Niccolò degli Albertini erscheint, verdankt diese Bezeichnung der Heirat seiner Schwester mit einem Vertreter der Prateser Familie degli Albertini. Von besonderem Interesse sind die Ausführungen zu den Nepoten des Kardinals, deren bedeutendster sicherlich Jacopo Albertini, Bischof von Castello - und Coronator Ludwigs des Bayern - war.
Alberto Cadili widmet sich den diplomatischen Aktivitäten des Kardinals (La diplomazia e le missioni legatizie, 85-139), wobei es hier insbesondere die Korrespondenz der aragonesischen Gesandten und die Quellen über den Romzug Heinrichs VII. sind, die Einblick in das weitgespannte legatorische Wirken ermöglichen. Bereits 1301 war er noch als Bischof von Spoleto von Bonifaz VIII. nach Frankreich zu Friedensvermittlungen zwischen Philipp dem Schönen und Edward I. geschickt worden. Keine Legation freilich war wichtiger als diejenige, mit der ihn Benedikt XI. 1304 betraute: Niccolò scheiterte daran, in der Toscana eine stabile Friedensordnung zu implementieren. Cadili zeichnet nicht nur die einzelnen Demarchen des Legaten nach, sondern geht auch Fragen der praktischen Gestaltung einer solchen Legation nach: wer begleitete ihn, wo predigte er, welche Sanktionsinstrumente standen ihm zur Verfügung? Leider äußert sich Cadili nicht zu der Frage, weshalb das Scheitern dieser Friedenspolitik den weiteren Aufstieg des Kardinals nicht bremste.
Anne Reltgen-Tallon behandelt das dominikanische Milieu in Avignon, in dem sich Niccolò da Prato über ein Jahrzehnt lang bewegte (Nicolas de Prato et le milieu dominicain en Avignon au XIVe siècle, 155-167). Seit 1226 waren die Dominikaner in der Stadt an der Rhône präsent. Ende des 13. Jahrhunderts lebten bereits 80 Brüder im Konvent. Ab 1310 wurde er für 30 Jahre zur riesigen Baustelle: Ergebnis war der größte architektonische Komplex in der Stadt neben dem Papstpalast. Drei Dominikanerprälaten waren an dem Bauvorhaben maßgeblich beteiligt: Niccolò ließ auf eigene Kosten den Schlafsaal der Brüder errichten; die Rekonstruktion der Kirche wurde vom Ordenskardinal Guillaume de Pierre Godin, der Bau des Kreuzgangs vom Dominikanerbischof Guillaume de Laudun (seit 1327 Erzbischof von Toulouse) finanziert. Der Autorin ist zuzustimmen: Wäre der Komplex nicht im 19. Jahrhundert zerstört worden, "il serait sans doute aujourd'hui la principale source témoignant du séjour avignonnais de Nicolas de Prato." (160) Völlig zu Recht wird außerdem darauf hingewiesen, dass es die überragende Gestalt des Guillaume de Pierre Godin war, die Niccolò da Prato in die zweite Reihe zurücktreten und ihn schließlich dem fast vollständigen Vergessen anheimfallen lassen sollte.
Luciano Cinelli richtet den Blick auf die vom Kardinal in seinem nur wenige Monate vor seinem Tod errichteten Testament verfügte Errichtung eines Dominikanerinnenklosters in Prato (Il monastero di San Niccolò a Prato e i primordi della vita religiosa femminile, 171-219). Der Quellenbestand ist exzeptionell und gibt Einblick nicht nur in die Entscheidungsprozesse der Prateser Stadtväter, sondern auch in die konkreten Bauabläufe. Wieder einmal ist es die Rechnungslegung, die sich für Aspekte der Sozialgeschichte als ausgesprochen ergiebig erweist. 1328 konnte der Komplex bereits von einer ersten Kommunität bezogen werden. Cinelli fügt seinem Beitrag einen umfangreichen Quellenanhang bei: sieben Auszüge aus den Konventsregistern lassen seine Schlussfolgerungen leichter nachvollziehbar werden.
In ihrem kurzen, äußerst lesenswerten Beitrag zur Bibliothek des Kardinals (La biblioteca di Niccolò da Prato, 241-256) geht Letizia Pellegrini dem nach, was sie als "DNA del profilo culturale e bibliografico del cardinale domenicano" (241) bezeichnet. Großer methodischer Aufwand war vonnöten, um zumindest einen Codex des Prateser Konvents ausfindig zu machen, der ohne jeden Zweifel Niccolò da Prato zugewiesen werden kann: dabei handelt es sich um eine Handschrift mit Werken Dantes. Der seit 1282 bestehende Männerkonvent war Erbe der Bibliothek: im Testament selbst wurden leider aber nur diejenigen elf Codices aufgeführt, die nicht nach Prato, sondern an andere Institutionen bzw. Personen gehen sollten. Die Ergebnisse Pellegrinis sind ernüchternd. Die Handschriften aus dem Prateser Konvent finden sich nicht dort, wo sie sein sollten: im Fondo Conventi soppressi der Biblioteca Nazionale zu Florenz oder in der Biblioteca civica di Prato. Und so fällt es der Autorin schwer, in den Gesang all derer einzustimmen, die die Aura des bibliophilen Kardinals preisen. Ihr ist sie wenig mehr als "inafferrabile" (255). Dass Niccolò da Prato an Büchern interessiert war, zeigt aber nicht zuletzt sein Auftrag an den englischen Dominikaner Nicolas Trevet, einen Kommentar zu den Tragödien Senecas zu verfassen (Giuseppina Brunetti: Nicolas Trevet, Niccolò da Prato: per le tragedie di Seneca e i libri dei classici, 345-371).
Im 17. und 18. Jahrhundert war den Dominikanern sehr an einer Form historischer Selbstvergewisserung gelegen, die auch darin bestand, den Blick auf die homines illustri des Ordens zu richten und ihren Beitrag für Kirche und Orden zu beschreiben. Wie Historiographen dieser Aufgabe gerecht wurden, beschreibt Giovanna Paolin mit Blick auf Schriftsteller wie Jacques Quetif und Jacques Échard (deren Werk Scriptores ordinis praedicatorum von 1719 noch heute mit Gewinn zu benutzen ist), Alfonso Chacón, Giacomo Giacino Serry, Antoine Touron oder Giuseppe Agostino Orsi (Niccolò da Prato nella tradizione erudita domenicana del Sei et Settecento, 373-391). Interessant dabei ist, wie mit den als wenig glanzvoll empfundenen Seiten bzw. Taten des Ordenskardinals verfahren wurde, etwa seiner Rolle beim Templerprozess oder seiner Beteiligung an der Verlegung des Papstsitzes nach Avignon. Das Spektrum reicht hier vom bloßen Verschweigen über halbherzige Relativierungen bis hin zur einfachen, quellengestützten Faktenschilderung. All dies zeigt, wie schwierig eine Bewertung des Kardinals tatsächlich war - und noch immer ist.
Der Band bildet die aktuelle Forschung zu Leben und Werk des Dominikanerkardinals Niccolò da Prato überzeugend ab. Deutlich wird, wie groß der Forschungsbedarf auf vielen Gebieten tatsächlich noch ist. Auf eine Fülle von Forschungsdesideraten wird hingewiesen - viele wichtige Texte, die für das Verständnis des kulturellen Milieus in Avignon zentral sind, liegen noch überhaupt nicht (geschweige denn in einer kritischen Edition) vor. Hier gilt es weiterzuarbeiten. Die vorliegende Aufsatzsammlung bietet dazu Anregung genug.
Anmerkungen:
[1] Dino Compagni: Cronica (Fonti per la Storia dell'Italia medievale. Rerum Italicarum Scriptores; 1), ed. D. Cappi, Rom 2000, III, I [2], 87.
[2] F. Theile: Nikolaus von Prato. Kardinalbischof von Ostia, Marburg 1913; H. Ströbele: Nikolaus von Prato. Kardinalbischof von Ostia und Velletri, Freiburg 1914.
Ralf Lützelschwab