Rezension über:

Rieke Buning / Beate-Christine Fiedler / Bettina Roggmann (Hgg.): Maria Aurora von Königsmarck. Ein adeliges Frauenleben im Europa der Barockzeit, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2015, 386 S., 37 Farbabb., ISBN 978-3-412-22386-1, EUR 34,90
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen

Rezension von:
Ulrike Weiss
School of Art History, University of St Andrews
Redaktionelle Betreuung:
Julia A. Schmidt-Funke
Empfohlene Zitierweise:
Ulrike Weiss: Rezension von: Rieke Buning / Beate-Christine Fiedler / Bettina Roggmann (Hgg.): Maria Aurora von Königsmarck. Ein adeliges Frauenleben im Europa der Barockzeit, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2015, in: sehepunkte 16 (2016), Nr. 9 [15.09.2016], URL: https://www.sehepunkte.de
/2016/09/28070.html


Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Rieke Buning / Beate-Christine Fiedler / Bettina Roggmann (Hgg.): Maria Aurora von Königsmarck

Textgröße: A A A

"Wer auf den verschwenderischen Namen Maria Aurora von Königsmarck getauft ist, kann im Leben und in der Geschichte nicht in der Ecke stehen", meint der Rezensent einer der neueren Biografien der Gräfin. [1] Schön war sie, begabt, gebildet, mutig. Aus rasch aufgestiegenem, ebenso rasch verarmtem Adel stammend, war sie an vielen Höfen zu Hause. Zunächst Mätresse Augusts des Starken, wurde sie anschließend Pröpstin des Stiftes Quedlinburg. Dazu kam der Skandal um ihren Bruder Philipp Christoph. Der Geliebte der Gemahlin des hannoverschen Kurprinzen, Sophie Dorothea, verschwand 1694 spurlos, kurz bevor das Liebespaar seine Fluchtpläne in die Tat umsetzen konnte. Es bedarf kaum zusätzlicher Ausschmückung, um das Leben der Maria Aurora von Königsmarck (1662-1728) regenbogenbunt zu schildern, und die Mythenbildung begann spätestens mit Karl Ludwig von Pöllnitz' "La Saxe galante" im Jahr 1734.

Umso mehr bedarf es darum dieses Aufsatzbandes. Er ist das Ergebnis einer Tagung, die 2012 aus Anlass des 350. Geburtstags der Gräfin Königsmarck auf dem Familiensitz, Schloss Agathenburg bei Stade, stattfand. Erklärtes Ziel: Ihre Biografie von Legenden zu befreien und interdisziplinär im Kontext der neuesten Forschung zum adeligen Frauenleben der Frühen Neuzeit zu bearbeiten.

Zwei einleitende Aufsätze liefern mit dem nötigen familiengeschichtlichen und biografischen Überblick weitgehend Bekanntes; die Kontextualisierung folgt in zwei Sektionen mit je sieben Untersuchungen. Die erste ist Aspekten der Kulturproduktion adeliger Frauen gewidmet, die zweite der höfischen Gesellschaft.

Besonders gründliche Würdigung erfährt das literarische Werk der Gräfin Königsmarck. Das ist vor allem das Verdienst Stephan Krafts, der hier die Ergebnisse jahrzehntelanger Forschung zusammenfasst und zudem eine umfassende Werkliste vorlegt. Er beschreibt überzeugend, dass die Publikationsformen, die Maria Aurora wählte, den komplex verschlüsselten Inhalten ihrer Texte adäquat entsprachen. Ihre Prosa erschien anonym, versteckt z.B. im Werk des befreundeten Herzogs Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel, ihre Gedichte zirkulierten oft handschriftlich.

Kraft analysiert ihr Œuvre als herausragendes Beispiel dieses zeitgenössischen Kommunikationsmodells und zeigt, wie Maria Aurora sich selbst bewusst "als eine Art Gesamtkunstwerk" (74) inszenierte. Auch Madeleine Brook untersucht zwei der Schlüsseltexte Maria Auroras im Hinblick auf ihre Funktion als subtile "Propaganda in eigener Sache" (205). Zwei weitere Aufsätze runden das Bild ihres literarischen Schaffens ab: Valborg Lindgärde bietet einen gründlichen Überblick über den schwedischen Kontext, während Bo Andersson die religiöse Lyrik der Gräfin vorstellt, wobei das Versprechen der Kontextualisierung allerdings nicht völlig eingelöst wird.

Zwei weitere Untersuchungen (von Martin Loeser und Dorothea Schröder) analysieren dicht und erhellend die Rolle der Gräfin als 'Kulturproduzentin' in Sachen Musik - als Ausführende sowie als Mäzenin. Das Thema der höfischen Festkultur als Bühne der Selbstinszenierung Maria Auroras wird hier sowie in weiteren Aufsätzen eingekreist, bedarf aber, wie Schröder betont (142), noch weiterer, quellenbasierter Analyse.

Neben Literatur und Musik kommt die Bildwissenschaft ein wenig kurz. Das Verdienst des Textes von Stefan Hammenbeck-Eichberger ist es, dem deutschen Publikum erstmals im Detail eine Serie von sechs Wandteppichen vorzustellen, die Szenen aus dem Leben der Familie von Königsmarck thematisieren. Sie bleiben undatiert, wurden aber vermutlich im letzten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts für Schloss Vinäs in Südschweden geschaffen, das sich im Besitz von Maria Auroras Schwager, Carl Gustav Lewenhaupt, befand. Die Rolle der beiden Schwestern Königsmarck bei diesem Auftrag oder gar bei Entwurf und Ausführung der Tapisserien bleibt jedoch offen.

Rolf Giermann illustriert Aspekte seines Aufsatzes zur Rolle der Gräfin am Dresdener Hof anhand zweier sehr unterschiedlicher, allegorisierender Darstellungen. Beide zeigen der Überlieferung nach Maria Aurora, beide werden auf Schloss Moritzburg in Sachsen verwahrt. Diese Beschreibungen werfen ebenfalls mehr Fragen auf, als sie beantworten. Sowohl die bemalte Ledertapete, hier als Jagd-Szene interpretiert, als auch und vor allem das höchst faszinierende Gruppenporträt dreier Damen in antikisierenden Kostümen verdienten weiterer Untersuchung im Hinblick auf Kontext und Funktion.

Wie denn überhaupt zu fragen wäre, ob Maria Aurora Porträts in ähnlich strategischer Weise zur Selbstinszenierung zu nutzen wusste wie ihre Prosa und Lyrik, oder ob ihr dazu die finanziellen Mittel fehlten. Drei zumeist undatierte Halbporträts versammelt der insgesamt erfreulich üppige Abbildungsteil des Bandes, doch wie sicher ist deren Zuordnung? Bereits beim ersten, flüchtigen Blick stellt sich die Frage, ob hier tatsächlich drei Mal dieselbe Frau dargestellt ist. Offen bleibt, wer jeweils als Auftraggeber fungierte. Weitere Porträts, Miniaturen zumal, wären einzubeziehen.

Im einzigen englischsprachigen Aufsatz der Sammlung untersucht Fabian Persson, wie die Familie Königsmarck ihr "cultural capital" (179) und ihre familiären Netzwerke nutzte, um sich auch nach dem Verlust ihrer Güter am schwedischen Hof zu behaupten. Aufgrund gründlichen Quellenstudiums zeigt er überzeugend, dass die Königsmarckschen Damen sich in ihrer Rolle als Außenseiterinnen am Hofe wohl einzurichten und sich gerade über ihre kulturelle Freizügigkeit und Experimentierlust zu definieren wussten. Doch blieb ihre Position prekär und war ohne die Protektion mächtiger männlicher Verwandter auf Dauer nicht zu halten. Nach dem Tod ihrer Mutter, die als Anstandsdame fungieren konnte, verließ Maria Aurora Stockholm im Sommer 1692 und "would instead turn her gaze towards other courts and men" (182).

Man könnte ergänzen, dass Gräfin Maria Aurora von Königsmarck perfekt für die Rolle der Mätresse qualifiziert war, wie sie Sybille Oßwald-Bargende in ihrer grundlegenden Untersuchung "Die Mätresse, der Fürst und die Macht" definierte: Sie bewegte sich mit großer Sicherheit auf dem höfischen Parkett, musste sich aber, da ungebunden und finanziell nicht abgesichert, mächtiger männlicher Protektion versichern. Und sie war zwar gut vernetzt, kam jedoch neu an den Hof, an dem sie reüssierte.

Sobald ihre Rolle am Dresdener Hof ausgespielt war, setzte Maria Aurora alles daran, Äbtissin des Stiftes Quedlinburg zu werden. Dieser Schritt stand nicht im Widerspruch, sondern war vielmehr die konsequente Fortführung ihrer Laufbahn, stellte dieses Amt in der frühen Neuzeit doch die einzige Form weiblicher Herrschaft dar, die nicht "lediglich als Surrogat konzipiert" war. [2]

Dem Quedlinburger Lebensabschnitt ist lediglich ein Aufsatz gewidmet. Doch ein gewichtiger: Teresa Schröder-Stapper gelingt es, aufgrund detaillierter Quellenforschung dem Bild der Gräfin neue Farben hinzuzufügen. Sie zeigt anschaulich, welche politischen Hebel Maria Aurora betätigte, um gegen den Willen des Kapitels als Coadjutorin und Pröpstin ernannt zu werden, wie sie jedoch bei der Wahl zur Äbtissin scheiterte. Ihr Fazit: Maria Aurora hatte "als Pröpstin allenfalls ihre eigenen Interessen im Auge" (277), selbst wenn diese den Rechten und Privilegien des Stiftes entgegenstanden, welche doch "die Grundlagen ihres eigenen Handlungsspielraums" (283) bildeten.

"[...] sowohl eine vertiefte Kenntnis als auch eine Neubewertung der Person Maria Aurora von Königsmarcks" (10) möchte der Tagungsband erreichen und aufräumen mit den angesammelten Mythen, die sich um ihre Person ranken, angefangen mit dem ständig kolportierten Zitat, sie sei "die berühmteste Frau zweier Jahrhunderte", das stets Voltaire in den Mund gelegt wird und doch von ihrem ersten Biografen Friedrich Cramer und aus dem Jahr 1836 stammt. Das ist gelungen. Der Band fasst den bisherigen Forschungsstand zusammen, schließt Lücken und ermuntert zu weiterführenden Fragen. Zudem eröffnet er der deutschen Leserschaft ersten Zugang zur schwedischen Forschung und bietet mit der Werkliste der Dichterin Maria Aurora ein bleibendes Nachschlagewerk.


Anmerkungen:

[1] Hans Pleschinski: Ein Liebessommer mit August dem Starken. Das aufreibende Leben der Maria Aurora von Königsmarck, in: DIE ZEIT 51/2002 (12.12.2002), http://www.zeit.de/2002/51/LB-P-Aurora (abgerufen am 5.8.2016).

[2] Sybille Oßwald-Bargende: Die Mätresse, der Fürst und die Macht. Christina Wilhelmina von Grävenitz und die höfische Gesellschaft, Frankfurt / New York 2000, 241.

Ulrike Weiss