Rafał Kosiński: Holiness and Power. Constantinopolitan Holy Men and Authority in the 5th Century (= Millennium-Studien zu Kultur und Geschichte des ersten Jahrtausends n. Chr.; Vol. 57), Berlin: De Gruyter 2016, XIV + 270 S., 2 s/w-Ktn., ISBN 978-3-11-041707-4, EUR 99,95
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Anders als der Titel nahelegen könnte, beschränkt dieses Buch sein Thema auf die Untersuchung von vier frühen Heiligenviten. Der Autor diskutiert das hagiographische Ideal der Beziehung zwischen konstantinopolitanischen Heiligen einerseits und staatlichen sowie kirchlichen Autoritäten andererseits. Zu diesem Zweck unterzieht er nacheinander die Viten des Hypatios von Rouphinianai (23-83), des Alexander Akoimetos (87-115), des Daniel Stylites (119-207) und des Markellos Akoimetos (211-232) einer sorgfältigen textimmanenten Analyse. Die Auswahl verdankt sich der Tatsache, dass diese Viten relativ kurze Zeit nach dem Tod ihrer Protagonisten im 5. und frühen 6. Jahrhundert verfasst wurden und viele Informationen enthalten, die Realitäten der zeitgenössischen hauptstädtischen Welt reflektieren. Diese Begründung lässt die thematische Begrenzung auf das hagiographische Ideal umso bedauerlicher erscheinen, weil sie den Autor über weite Strecken von der Notwendigkeit entbindet, das Verhältnis von Hagiographie und Geschichte zu klären.
Allgemeine historische Rahmenbedingungen und Grundlagen werden zwar in der kurzen Einleitung (6-19) und in dem noch kürzeren Schlussteil (235-244) angesprochen, aber Aussagen der Viten zu politischen und sozialen Vorgängen werden nicht in den konkreten historischen Kontext eingebettet und mit anderen Zeugnissen (wie Konzilsbeschlüssen, kaiserlichen Gesetzen, Geschichtsschreibung, andere Hagiographien) konfrontiert. Relevante, in den behandelten Viten wiederkehrende Probleme wie die Priesterweihe von Asketen oder das Asyl in den monastischen Gemeinschaften von Konstantinopel werden mehr oder weniger in Fußnoten abgehandelt. [1] Kritische Methode verrät der Autor, indem er plausibel argumentiert, dass und wie Kallinikos die ursprüngliche Gegnerschaft des Hypatios zu Johannes Chrysostomos vergessen machen will (70-72). Das Problem konkurrierender Heiligkeit hätte sich auch an dem Verhältnis des Styliten Daniel zum Patriarchen Gennadios aufweisen lassen, aber dafür hätte Kosiński eben aus der Perspektive "seines" Hagiographen heraustreten müssen. [2] Je bedeutender ein historisches Ereignis, desto unbefriedigender erscheint der textimmanente Ansatz. In der Erzählung von Daniels Sternstunde, als der Stylit, von Erzbischof Akakios und mehreren Äbten gerufen, von seiner Säule stieg und sich in die Hagia Sophia begab, um als Vorkämpfer der Orthodoxie den Protest gegen die Kirchenpolitik des Kaisers Basiliskos anzuführen, findet Kosiński eine "inconsistency on the author's part" (160); mehr Inkonsistenzen hätte er entdecken können, wenn er die Parallelüberlieferung und die Forschungsliteratur genauer studiert hätte. Die Frage, welche Gründe Kaiser, Bischöfe und kaiserliche oder kirchliche Würdenträger tatsächlich bestimmt haben könnten, den Kontakt zu heiligen Männern zu suchen, stellt sich für Kosiński im Einzelfall nicht, auch wenn er dazu im Schlussteil einige allgemeine Überlegungen äußert. Dementsprechend hat er wichtige Forschungsliteratur zur Geschichte von Konstantinopel im 5. Jahrhundert und insbesondere zu solchen Episoden, die in den Viten vorkommen, nicht zur Kenntnis genommen. [3]
Auch dem Problem der intertextuellen Bezüge widmet der Autor zu wenig Aufmerksamkeit. Zwar erfährt der Leser, dass Kallinikos, der Verfasser der Hypatios-Vita, eine genaue Kenntnis der Vita Antonii des Athanasios besaß und dass in den anderen Viten Antonios-Motive identifizierbar sind, aber Kosiński läßt offen, ob es sich dabei um literarische Übernahmen handelt oder ob bereits das Handeln der Akteure durch das Modell des Antonios geprägt ist. Außerdem: Hat der Autor der Vita Danielis Stylitae Viten von Daniels Vorbild Symeon gekannt und rezipiert? Gibt es Bezüge zwischen den vier von Kosiński behandelten Viten? Wie ist es etwa zu erklären, dass sowohl die Vita Daniels als auch diejenige des Markellos ihren Protagonisten zuschreiben, das Feuer von 465, das große Teile von Konstantinopel in Schutt und Asche legte, prophezeit zu haben? Da die Hypatios-, die Alexander- und die Markellos-Vita aus einer monastischen Tradition stammen, wäre auch aus diesem Grund eine Kenntnis der jeweils früheren Texte und eine entsprechende Bezugnahme nicht abwegig.
Die vier Viten untersucht Kosiński nach einem sinnvollen Schema: Auf die Erörterung der Quelleneigenschaften (Verfasser, Zweck des Werkes, Datierung, Struktur, Erzählung) folgt eine Textanalyse, die auf die Beziehung der heiligen Männer zu den staatlichen und kirchlichen Funktionären (Kaiser und Kaiserinnen, Beamte und prominente Figuren, Bischöfe, Kleriker) abhebt. Dabei zeigt sich - für Kenner der Materie wenig überraschend -, dass die Hagiographen für ihre Protagonisten eine Kaiser und Kirche überragende Autorität beanspruchten. Gerade die Erzählungen von Konfliktsituationen sollen die grundsätzliche Überlegenheit einer charismatischen Autorität verdeutlichen, die auf der Heiligkeit des Asketen beruhte. Im Umgang mit der kirchlicher und staatlicher Obrigkeit ließen die Heiligen je nach Temperament und Umständen, wie Kosiński vorführt, ein unterschiedliches Ausmaß an Kompromißbereitschaft erkennen. Der hagiographische Diskurs schärft ein, dass weltliche Machthaber ebenso wie kirchliche Würdenträger stets gut daran taten, den Heiligen Respekt entgegen zu bringen, ihren Beistand zu suchen und ihnen so weit wie möglich zu dienen.
Im Schlußteil behauptet der Autor, diese hagiographische Vision der Machtverhältnisse habe weitgehend der Lebenswirklichkeit entsprochen. Die Beziehungen der Heiligen zu Autoritätsfiguren seien von den Verfassern der Viten nicht erfunden, sondern aus vielen Beispielen ausgesucht worden. Diese Annahme führt Kosiński zu der Frage, was der heilige Mann dem Kaiser, den Funktionären und anderen prominenten Figuren wirklich anbieten konnte. Seine Antwort (237 f.) bleibt im wesentlichen im hagiographischen Diskurs befangen und ignoriert die jeweiligen politischen Kalküle der Machthaber und die begrenzten Einflußmöglichkeiten der Asketen, die nur ausnahmsweise in die Konflikte der Hauptstadt eingreifen konnten und wollten. Kosiński betont zurecht das asketische Außenseitertum des "holy man" in Konstantinopel, ohne jedoch die politischen Konsequenzen ausreichend zu bedenken. Plausibel ist die Beobachtung, dass die monastische Bewegung in der Region von Konstantinopel anfangs eher von säkularen Funktionsträgern als von der Kirchenhierarchie unterstützt wurde: "The secular authority appreciated the holy man's merits to a greater degree than the church hierarchy and made efforts to take advantage of these merits" (239). Das Verhältnis der Asketen zur Kirche habe sich im Laufe des 5. Jahrhunderts langsam entspannt; die kompromißlose Konfrontation gegenüber der Kirchenhierarchie, wie sie Hypatios und besonders Alexander praktizierten, sei einer Haltung gewichen, in der heilige Männer wie Daniel und Markellos als Beschützer und Patrone der Kirche repräsentiert wurden, in der das Ideal der Partnerschaft und Zusammenarbeit zum Wohl der Kirche, besonders in Fragen der Orthodoxie, propagiert worden sei. Diese Veränderung, so weiß Kosiński überzeugend zu zeigen, spiegelte sich in der Veränderung des Hintergrunds der Hagiographen, denn anders als die Verfasser der Hypatios- und Alexander Akoimetos-Viten waren die der Vita Danielis Stylitae und der Vita Marcelli keine syrischen Fremdlinge mehr, sondern mit den Kirchenstrukturen und den soziopolitischen Bedingungen von Konstantinopel vertraut. "Charismatic Authority" ist die letzte Seite des Textes überschrieben: "This charismatic authority was not merely the hagiographers' proposition, as it was also recognized by the other powers" (243). Hier wird kein Leser widersprechen, doch die historisch interessanten Fragen, denen Kosiński leider großenteils aus dem Weg gegangen ist, beginnen erst jenseits dieser Aussage.
Anmerkungen:
[1] Hier erscheint es besonders bedauerlich, dass der Autor eine Auseinandersetzung mit wichtiger Literatur versäumt: z.B. Michael Gaddis: There Is No Crime for Those Who Have Christ. Religious Violence in the Christian Roman Empire, Berkeley 2005; Claudia Rapp: Holy Bishops in Late Antiquity. The Nature of Christian Leadership in an Age of Transition, Berkeley 2005.
[2] Vgl. Kai Trampedach: Daniel Stylites and Leo I: An Uneasy Relationship between Emperor and Saint, in: Beate Dignas / Robert Parker / Guy G. Stroumsa (eds.): Priests and Prophets among Pagans, Jews and Christians, Leuven 2013, 185-207, hier 193 f.
[3] Exempli gratias nenne ich eine Monographie, die vor kurzem sogar in der gleichen Reihe erschienen ist wie das Buch von Kosiński: Rene Pfeilschifter: Der Kaiser und Konstantinopel. Kommunikation und Konfliktaustrag in einer spätantiken Metropole, Berlin 2013.
Kai Trampedach