Bronwen Neil / Matthew W. Dal Santo (eds.): A Companion to Gregory the Great (= Brill's Companions to the Christian Tradition; Vol. 47), Leiden / Boston: Brill 2013, XXV + 427 S., ISBN 978-90-04-25775-7, EUR 178,00
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Der vorliegende Sammelband ist in der Brill-Serie Companions to Christian Tradition erschienen. Herausgegeben wurde er von Bronwen Neil (Brisbane), einer ausgewiesenen Kennerin der Geschichte des Christentums an der Schwelle von Antike zum Mittelalter, und Matthew Dal Santo, aktuell Forscher am Dänischen Historischen Institut in Rom. In mehreren Abschnitten widmet sich der Band Gregor dem Großen, einem der wohl berühmtesten und auch besterforschten Päpste. Die Artikel stammen durchwegs von anerkannten Fachleuten auf ihrem jeweiligen Gebiet, zum Großteil allerdings aus dem englischsprachigen Raum. Konsequenterweise ist der ganze Companion in englischer Sprache verfasst, ursprünglich auf Deutsch und Italienisch verfasste Artikel wurden fachkundig übersetzt. Das Hauptinteresse des Bandes gilt offenkundig der historischen Dimension des Pontifikats Gregors I, doch auch andere Aspekte, wie etwa sein theologisches Wirken oder sein literarisches Werk, kommen nicht zu kurz. Dennoch richtet sich der Band vorrangig an historisch interessierte Leser/innen.
Der erste Abschnitt ist mit "The Life and Context of Gregory I" betitelt. Im ersten Kapitel (3-27) zeichnet Bronwen Neil ein Bild des Papsttums zur Zeit Gregors. Sehr akribisch zeigt sie, dass Gregor nicht als "erster mittelalterlicher Papst" zu sehen ist, sondern vielmehr als westlicher Patriarch spätantik-byzantinischer Prägung, der es aber schaffte, seiner Amtsführung individuelle Akzente zu verleihen, die für die Nachwelt zum Teil richtungsweisend wurden. In dem insgesamt stimmigen Bild stört es nur ein wenig, dass sie sich bei der Sonderstellung von Gregors Briefregister zu wenig Gedanken über die Überlieferung von Papstbriefen macht: Während Gregors Briefe heute einen unschätzbaren Wert haben, da Sie für Jahrhunderte in ihrer Fülle einzigartig sind, war zur Zeit Gregors die Registerführung sicher üblich. Insofern wurden die Briefe von Zeitgenossen und wenig später schreibenden Kommentatoren einfach nicht so sehr hervorgehoben.
In Kapitel 2 (29-56) widmet sich Cristina Ricci Gregors Mission zu den "Barbaren", ein Aspekt, der in der modernen Historiographie zu Gregor oft besonders betont wird. Sie zeigt, dass hinter den von Gregor geförderten Aktivitäten keine große politische Ideologie stand, vielmehr sieht sie die Tätigkeiten des Papstes auf diesem Gebiet als Ausdruck seines großen pastoralen Engagements und seines universellen Denkens. Die Darstellung von Gregors Beziehungen zu den einzelnen gentes und regna ist sehr klassisch und dem Ziel des Sammelwerkes entsprechend; an manchen Stellen hätte man sich vielleicht die Einbeziehung von etwas rezenteren Sichtweisen gewünscht. Beispielsweise wird Gregors Darstellung der Langobarden als Heiden recht direkt übernommen, die neuere Forschung ist hier meist kritischer und verweist eher auf die Verwendung literarischer Vorlagen. [1]
Matthew Dal Santo (Kapitel 3, 57-81) beschäftigt sich im Anschluss mit dem Verhältnis Gregors zu Kaisern und Kaisertum seiner Zeit und zeigt, wie wichtig diese Kontakte für das Papsttum und für Gregor selbst waren. In der jahrhundertealten Diskussion, ob Gregor des Griechischen mächtig war, bezieht er eindeutig Stellung: wenn auch nicht zweisprachig, so attestiert er dem ehemaligen Apokrisiar (päpstlichen Vertreter) der römischen Kirche in Konstantinopel sehr gute Kenntnisse der dominanten Sprache des östlichen Reichsteils.
Erst in Kapitel 5 (109-131) folgt dann aus unerfindlichen Gründen der Beitrag von Philipp Booth, der sich ebenfalls den Ost-Beziehungen Gregors widmet und gemeinsam mit Dal Santos Artikel gelesen werden müsste. Denn zusammen bilden die beiden Kapitel trotz gelegentlicher kleiner Widersprüche eine großartige Darstellung der Beziehungen Gregors des Großen zum Osten. Booth konzentriert sich dabei mehr auf Kontakte Gregors im kirchlichen Bereich, ohne den weltlichen völlig auszuklammern. Er betont zu Recht, dass man Gregor nicht als dem griechischen Kulturraum gegenübergestellt sehen kann, vielmehr waren er und Rom Teil dieser römischen Welt.
Im vierten Kapitel (83-108) beschäftigt sich Barbara Müller mit einem weiteren zentralen Aspekt Gregors des Großen, nämlich seinem Verhältnis zum Mönchtum, welches weit komplexer war als eine simple Verklärung des zönobitischen Ideals.
Der zweite Abschnitt des Bandes bietet einen sehr guten Überblick über Gregors theologisches Denken. Zunächst fasst Bernard Green (Kapitel 6, 135-156) die zentralen Themen Christologie, Erlösung und Ekklesiologie an und zeigt, dass Gregor in seinen Schriften immer eine gut ausbalancierte Position suchte. Jane Baun (Kapitel 7, 157-176) beschäftigt sich mit der eschatologischen Dimension in Gregors Schriften. Besonders hervorzuheben ist der reichhaltige Beitrag von Carol Straw (Kapitel 8, 177-204) zur Moraltheologie Gregors, einem der wesentlichsten Punkte seines Schaffens und am besten in Verbindung mit Scott De Gregorios in Kapitel 12 zu betrachten. Beiträge von George Demacopoulos zur Regula Pastoralis und Stephen Lake zu Gregors Hagiographie und den Dialogi runden den Abschnitt ab (Kapitel 9, 205-224 und 10, 225-246).
Der dritte Abschnitt beschäftigt sich mit der literarischen Dimension in Gregors Werk. John Moorhead (Kapitel 11, 249-267) demonstriert zunächst eindrucksvoll, wie sehr Gregor in der spätantiken literarischen Tradition eingebettet war. Scott DeGregorio (Kapitel 12, 269-290) analysiert im Anschluss Gregors erhaltene exegetische Texte, nicht zuletzt die Moralia in Iob waren ja entscheidend für Gregors späteren bleibenden Ruhm. Richard Pollard (Kapitel 13, 291-312) beschäftigt sich schließlich untern dem Titel "A cooperative correspondance" mit dem Briefkorpus Gregors. Er kann zeigen, dass die Briefe des Registers von professionellen Schreibern verfasst wurden, die auch noch den Cursus (Reimprosa) der antiken Kanzleien beherrschten. Das zeigt auch, dass Gregor nicht für den gesamten Inhalt letztverantwortlich gewesen sein muss; Mitarbeiter des berühmten Papstes gilt es immer in die Analyse seiner Texte miteinzubeziehen, ganz besonders bei der diplomatischen Korrespondenz.
Der vierte und letzte Abschnitt ist schließlich dem Nachleben und der Rezeptionsgeschichte Gregors des Großen gewidmet. Zunächst geben Constant J. Mews und Claire Renkin (Kapitel 14, 314-342) einen sehr guten Überblick über das Bild Gregors im "Lateinischen Westen" vom 7. bis zum 15. Jahrhundert. Danach widmet sich Andrew Louth (Kapitel 15, 343-358) dem Niederschlag von Gregors Dialogi in der griechischen Übersetzung, die im achten Jahrhundert von Papst Zacharias (741-52) angefertigt wurde. Er zeigt die ganz Komplexität der Rezeption im Griechischen, die Gregor den Beinamen ho dialogos (etwa: "Autor der Dialoge") einbrachte. Der Beitrag von Ann Kuzdale (Kapitel 16, 359-386) zur Rezeption Gregors in Renaissance und Reformation bildet dann den Schlusspunkt. Kuzdale zeigt, dass es in der Reformation durchaus Stimmen gab, die das Werk des großen Papstes kritisch sahen. Bezeichnenderweise schließt sie mit dem Verweis, dass auch nach dem 16. Jahrhundert die Konstruktion und Rekonstruktion des Gregor-Bildes nicht vorbei war - und tatsächlich wäre ein Beitrag über die neuere Zeit (etwa in der Aufklärung) sicher noch wünschenswert gewesen, hätte aber den Rahmen dieses Überblicksbandes vielleicht auch gesprengt.
Zusammenfassend muss man festhalten, dass der vorliegende Band seinem umfassenden Anspruch eines Companions zu Gregor dem Großen vollständig gerecht wird. Das bedeutet nicht, dass man in Zukunft nur noch dieses Werk zur Hand nehmen muss, wenn man sich mit Gregor beschäftigt. Auf Englisch etwa werden die Werke Robert Markus', dem der Band passenderweise gewidmet ist, weiterhin die Standardwerke zum Thema bleiben. Gleichzeitig wird man aber auch immer den vorliegenden Band einbeziehen müssen, der er in vielen Bereichen nicht nur den Stand der Forschung resümiert, sondern auch viele neue Erkenntnisse liefert. Zugleich eignet sich der Companion aber auch für einen Neueinstieg in das Thema, da alle Beiträge nicht überfordern, sondern behutsam in die Materie einführen. Insofern ist die Benützung mit einem Preis von etwa 220 Euro zugegebenermaßen nicht sehr kostengünstigen Buches allen, die sich mit Gregor dem Großen beschäftigen möchten, sehr ans Herz zu legen.
Anmerkung:
[1] Francesco Mores: Streghe. Appunti per una storia del "paganesimo" longobardo, in: Rivista di storia della chiesa in Italia 64, 2 (2010), 329-346.
Clemens Gantner