Christian Domnitz: Kooperation und Kontrolle. Die Arbeit der Stasi-Operativgruppen im sozialistischen Ausland (= Analysen und Dokumente; Bd. 46), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2016, 261 S., ISBN 978-3-525-35123-9, EUR 20,00
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Das Dilemma, in dem sich die Operativgruppen des Ministeriums für Staatssicherheit befanden, steckt bereits im Titel der Arbeit von Christian Domnitz: Eine auf umfassende Kontrolle geeichte Institution konnte Kooperation nur als Kontrollverlust auffassen, zumal Gleiches für jeweilige Partner im sozialistischen Ausland galt. Demnach waren die Auslandseinsätze von Operativgruppen für das Ministerium eine heikle Angelegenheit und unterlagen vielen unterschiedlichen Schwierigkeiten.
Domnitz stellt die jeweiligen Operativgruppen nach Einsatzländern sortiert vor. Er verfolgt dabei das gleiche Set von Problemen und Fragen, stellt aber jeweils die Besonderheiten in den Mittelpunkt seiner gelungenen Analysen. Die Kooperation mit der Sowjetunion begann bereits in den 1950er-Jahren und hatte die Überwachung der in der UdSSR lebenden DDR-Bürger zum Ziel. Deutlich dem KGB nachgeordnet, fungierte die Operativgruppe nicht als Mittler zwischen den Geheimdiensten.
In Bulgarien, Ungarn und der Tschechoslowakei war die Aufgabenstellung neben der Überwachung von DDR-Bürgern eindeutig auf die Verfolgung und Verhinderung von Fluchtversuchen nach Westeuropa bestimmt. Zuerst entstand die Operativgruppe in Bulgarien. Die Staatssicherheit beanspruchte hier eine Vorbildrolle, und offenbar brüskierte dies den bereitwillig kooperierenden bulgarischen Partner nicht. Die Überwachung des massenhaften Individualtourismus in Ungarn und damit einhergehende schlicht unüberschaubaren Westkontakte der DDR-Urlauber waren für die Operativgruppe ein nicht zu kontrollierendes Problem. Die ungarischen Dienste kritisierten zudem die überproportional häufigen Anfragen nach operativer Unterstützung - laut ungarischem Innenministerium stellte die Staatssicherheit beispielsweise 1985 85 Prozent und 1986 nur bis zum Sommer 95 Prozent aller Anfragen von Partnerdiensten aus dem Ausland. Die liberalere Ausrichtung ungarischer Politik schürte permanente Unstimmigkeit zwischen den Diensten.
Die Situation in der Tschechoslowakei war wegen des "Prager Frühlings" etwas anders. Neben der Überwachung von DDR-Bürgern und Fluchtwegen verstand sich die Staatssicherheit auch als Garant der "Normalisierung". Eine gewisse Nähe zum tschechoslowakischen Innenministerium gewährleistete, dass wichtige Informationen nach Ost-Berlin gelangten. Da sich die Staatssicherheit eine Führungsrolle anmaßte, reagierte das Prager Innenministerium empfindlich, und um den Einsatz der Mittel beim Informationsaustausch schwelten Konflikte.
Um solche Situationen zu verhindern, erlaubte Polen der DDR erst in der Staatskrise 1980 die Installation einer Operativgruppe. Für das MfS hatte die Lage im Nachbarland hohe Bedeutung, die Informationen aus dem polnischen Innenministerium und operativ erarbeitete Erkenntnisse waren umfangreich und ihnen wurde hohe Bedeutung beigemessen. Die Überwachung von DDR-Bürgern hatte ein vergleichsweise geringes Gewicht.
Eine Bilanz der Tätigkeit der Operativgruppen fällt schwer. In der Hierarchie der Geheimdienste waren sie nie so hoch angesiedelt, dass sie in bilateralen Kontakten die entscheidende Rolle spielten. Ihre Rolle variierte von Land zu Land, in verschiedenen Jahrzehnten und angesichts verschiedener politischer Anforderungen. Auch die Kernkompetenz der Operativgruppen, die Verhinderung von Fluchten, ist schwer zu bewerten. Domnitz interpretiert hierzu aufschlussreiche Tabellen. Da die Statistiken des MfS nicht dokumentieren, inwieweit die Operativgruppen beim Aufdecken und Verhindern von Fluchten tatsächlich beteiligt waren oder auf die Arbeit der Partnerdienste vertrauen mussten, bleibt die Bewertung der Effektivität der Operativgruppen trotzdem ein Quellenproblem. Greifbar wird in allen Fallbeispielen die tschekistische Hybris der Staatssicherheit. In Ostmitteleuropa manifestierte sie sich in einem Führungsanspruch, der zumeist Probleme in der Zusammenarbeit generierte; gegenüber dem KGB schlug sie in einen Minderwertigkeitskomplex um.
Eine Stärke der Publikation ist, wie Domnitz die formalen Grundlagen, die Verantwortlichkeiten der Ost-Berliner Hauptabteilungen im Ministerium für Staatssicherheit und bilateralen Absprachen und Verträge erfasst und erläutert, die die Arbeit der Operativgruppen ermöglichten. Ihm gelingt es so, die Arbeit der Staatssicherheit in einen nationalen und internationalen Kontext einzubetten, der bisher wenig bekannt war. Darüber hinaus erschließt Domnitz überzeugend die Unterwanderung des DDR-Tourismus und kann zeigen, dass kaum eine Möglichkeit der Überwachung ausgelassen wurde. Während er auf der einen Seite seinen analytischen und generalisierenden Blick nicht verliert, nutzt er auf der anderen Seite einleuchtende Aktenfunde zur Vertiefung seiner Feststellungen. So belegt Domnitz seine Thesen quellennah und arbeitet zugleich Spezifika geheimdienstlicher Überlieferung heraus.
Zu überzeugen vermögen immer wieder jene Passagen, in denen die Überwachungs- und Kontrolllogik greifbar wird und sich das System regelrecht selbst desavouierte. Die Überwachung von Touristen in Bulgarien fand so zunehmend durch permanent in Bulgarien stationierte Reisebetreuer statt. Begründet wurde dieser "umfassende Service" mit der Angleichung des Urlaubskomforts von DDR-Touristen an jenen von Bundesbürgern, die ebenfalls vor Ort betreut, aber eben nicht bespitzelt wurden (103). Plastisch wird das Innenleben des Ministeriums auch am Beispiel der Hauptamtlichen Mitarbeiter im Ausland. So war die Delegation keineswegs eine Nobilitierung, sondern unbeliebt. Führte doch die "typisch geheimpolizeiliche Isolation" dazu, dass sich die Mitarbeiter und ihre Familien im Ausland nicht wohlfühlten und etwa die Konsumgüter der DDR vermissten (48). Manifest wird die Übersteigerung geheimdienstlicher Ambitionen auch darin, wie im Rahmen eines "Zentralen Jugendobjekts" Individualtouristen auf ungarischen Campingplätzen überwacht wurden. Zu Recht bemerkt Domnitz, dass die Anreise mit eigens zur Verfügung gestellten Ladas die Überwacher enttarnt haben dürfte (129). Entlarvend und aufschlussreich nutzt der Verfasser Quellenzitate: IM in Reisegruppen könnten "im Gegensatz zu den Reiseleitern viel aktiver und unauffälliger Kontakte und Verbindungen zu allen Touristen aufnehmen, wobei interessante Frauen am unauffälligsten sind. Sie können regelmäßig bestimmte, besonders von Westdeutschen bevorzugte Lokale aufsuchen und nach operativ interessanten Personen forschen" (162).
Mit ihrer Mischung aus Information, Analyse und Anschaulichkeit leistet die Arbeit einen wichtigen Beitrag zur Erforschung der Staatssicherheit im Besonderen und der sozialistischen Gesellschaften im Allgemeinen. So sind nicht nur die Staatssicherheit und deren Operativgruppen im sozialistischen Ausland endlich zum Thema geworden. Der ganze Text liest sich auch als Analyse des Apparats und eines Geheimdienstes, der gerade wegen seines Kontrollanspruchs zum Scheitern verurteilt war. Nebenbei erfährt der Leser viel über die außenpolitischen Beziehungen der DDR, über Unterschiede zwischen den vermeintlich so einheitlichen Staaten des Warschauer Paktes oder über die Bedingungen des Urlaubs im sozialistischen Ausland. Der Text gewährt immer wieder tiefe Einblicke in die Konstitution der DDR und ihres Geheimdienstes. Das letzte Kapitel zu den Operativgruppen während der finalen Krise 1989/1990 liest sich als Abgesang des staatssozialistischen Projekts. Das Buch sei deshalb nicht nur jenen empfohlen, die die internationalen Verflechtungen der Staatssicherheit erforschen. Es stellt vielmehr einen sehr erhellenden Beitrag zur Historiografie des sogenannten Ostblocks dar.
Daniel Logemann