Luise Schorn-Schütte: Gottes Wort und Menschenherrschaft. Politisch-Theologische Sprachen im Europa der Frühen Neuzeit, München: C.H.Beck 2015, 304 S., 7 Abb, 1 Karte, ISBN 978-3-406-68235-3, EUR 29,95
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Luise Schorn-Schütte legt in diesem Buch die Ergebnisse ihrer langjährigen Forschungen zur politischen Kommunikation in der Frühen Neuzeit vor. Mit einem Schwerpunkt im 16. Jahrhundert untersucht sie die Entwicklung der politisch-theologischen Sprachen, mit denen im nachreformatorischen Europa das Verhältnis von politischer Macht und dem in Gewissen und Bibel begründeten Wahrheitsanspruch von Religion ausgetragen wurde.
Eine ausführliche Einleitung setzt den methodischen und inhaltlichen Rahmen für diese Untersuchungen. Schorn-Schütte hält das Vorgehen der deutschen Begriffsgeschichte für defizient, weil dort die jeweiligen Traditionen, in die Konzepte eingelagert sind, nicht ausreichend berücksichtigt werden. Sie orientiert sich an der History of Ideas der Cambridge-School, weil diese die Argumentationskontexte von Sprechakten erschließt und daher einem prozesshaften Verständnis von Politik angemessener sei. Im weiteren Verlauf wird dann aber auch immer wieder methodische und inhaltliche Kritik an diesen Positionen geübt. Zwei weitere Anliegen werden in der Einleitung ebenfalls deutlich. Das Buch soll einen Beitrag zur Destruktion der Meistererzählung von der linearen Entwicklung vormoderner Staatlichkeit und der zugehörigen Vorstellung von Souveränität leisten und zeigen, dass die entsprechende politische Kommunikation von einer Verflechtung politisch-juristischer Behauptungen mit religiösen gekennzeichnet war - ohne dadurch in klar unterscheidbare konfessionelle Lager zu zerfallen.
Das letzte Argument ist ersichtlich schon gegen die These von der Obrigkeitsgläubigkeit des lutherischen Protestantismus gerichtet und wird mit viel Material im ersten Teil der Untersuchung unterfüttert, der sich mit der politischen Kommunikation im Alten Reich beschäftigt. Vom Schmalkaldischen Bund angefangen über Interim, Magdeburger Bekenntnis und an den territorialen und innerstädtischen Konflikten nach 1555 entlang arbeitet Schorn-Schütte die von Juristen, Theologen und Politikern genutzten Argumentationsfiguren heraus, mit denen einerseits die Stände ihren Widerstand gegen die Religionspolitik des Kaisers begründeten und andererseits das Verhältnis von weltlicher Obrigkeit und Theologen / Geistlichen diskutiert wurde. Dabei zeigt sich, dass zunächst vorhandene Traditionen wie Landrechte, römisches Recht und auch das Lehensrecht aktiviert wurden, die dann aber spätestens seit dem Interim insbesondere von den Theologen in eine Dreiständelehre zusammengeschmolzen wurden, mit der sich das im Gewissen begründete Widerstandshandeln der niederen Magistrate begründen ließ. Ein ausgeprägter Biblizismus kam erst nach 1555 hinzu, als Theologen sich in Städten und Territorien mit dem Anspruch der weltlichen Obrigkeit konfrontiert sahen, in Glaubensfragen autoritativ zu entscheiden. Jetzt entwarfen sich Theologen als Propheten, die das Recht und die Pflicht haben, Entscheidungen der weltlichen Obrigkeit in Religionsfragen zu beurteilen, diese Obrigkeit aber wenigstens zu beraten. Für Juristen wird unter diesen Umständen ein vernunftbegründetes Naturrecht attraktiv, das eine nicht religiöse Legitimation von weltlicher Macht liefern kann.
Sehr viel knapper werden in einem weiteren Kapitel jeweils die Diskussionslagen in England, Frankreich, den nördlichen Niederlanden sowie dem Erzherzogtum Österreich und Polen abgehandelt. Grundsätzlich neue Argumentationsfiguren im politischen Diskurs werden dabei nicht sichtbar. Die nicht wahrnehmbare Differenz von lutherischen und reformierten Positionen wird auch in diesen Abschnitten stets hervorgehoben. Polen wird als eine europäische Ausnahme charakterisiert, weil dort verfassungsrechtliche und biblizistische Argumente nicht vermischt wurden.
Die Untersuchungen von Schorn-Schütte überzeugen in der Rückbindung von Ideen und Argumentationsfiguren an die soziale Verortung der (Sprech-)Akteure. Daher überrascht es den Rezensenten etwas, dass die historische Semantik als drittes Konzept neben Begriffsgeschichte und New Intellectual History keine Berücksichtigung findet. Denn für die für Schorn-Schütte wichtige europaweite Homogenität von Argumentationslagen, die sich, wie mehrfach betont wird, großenteils ohne unmittelbare Rezeptionsvorgänge einstellt, kann man nur dann mit Kommunikationskonstellationen "vor Ort" argumentieren, wenn diese durch europaweite strukturelle Homogenität im Bau von weltlichen Machtfigurationen und im Verhältnis von Religion und Obrigkeit gekennzeichnet waren. Entsprechend scheint das Verhältnis von Strukturen und Semantik zwar an vielen Stellen des Buches durch, wird aber nicht systematisch im europäischen Horizont expliziert. Vielleicht wäre die Bedeutung struktureller Bezüge deutlicher geworden, wenn die Studien zur politischen Kommunikation sich öfter und ausführlicher ins 17. Jahrhundert bewegt hätten, als es im Buch tatsächlich der Fall ist. Aber auch so besteht der wichtige und überaus lesenswerte Ertrag dieser Studien darin, die enge Verzahnung von politischen und religiös-biblizistischen Argumentationsfiguren in der politischen Sprache im Europa des 16. Jahrhunderts detailreich herausgearbeitet zu haben. Auch von der Obrigkeitshörigkeit des lutherischen Protestantismus wird man nach diesem Buch nicht mehr reden können.
Rudolf Schlögl