Rezension über:

Doreen von Oertzen Becker: Kurfürst Johann der Beständige und die Reformation (1513-1532). Kirchenpolitik zwischen Friedrich dem Weisen und Johann Friedrich dem Großmütigen (= Quellen und Forschungen zu Thüringen im Zeitalter der Reformation; Bd. 7), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2017, 541 S., ISBN 978-3-412-50808-1, EUR 70,00
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Rezension von:
Christoph Volkmar
Stadtarchiv Magdeburg / Universität Leipzig
Redaktionelle Betreuung:
Bettina Braun
Empfohlene Zitierweise:
Christoph Volkmar: Rezension von: Doreen von Oertzen Becker: Kurfürst Johann der Beständige und die Reformation (1513-1532). Kirchenpolitik zwischen Friedrich dem Weisen und Johann Friedrich dem Großmütigen, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2017, in: sehepunkte 18 (2018), Nr. 11 [15.11.2018], URL: https://www.sehepunkte.de
/2018/11/31204.html


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Forum:
Diese Rezension ist Teil des Forums "500 Jahre Reformation - II" in Ausgabe 18 (2018), Nr. 11

Doreen von Oertzen Becker: Kurfürst Johann der Beständige und die Reformation (1513-1532)

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Ohne Wettiner keine Reformation. Diese These steht implizit hinter allen editorischen Bemühungen um die sächsischen Fürsten des frühen 16. Jahrhunderts. Nach den Ausgaben für Herzog Georg und Kurfürst Moritz werden nun die Korrespondenzen der Herzogin Elisabeth sowie der Kurfürsten Friedrich und Johann erarbeitet, zu denen 2017 ein erster Band vorgelegt wurde. [1] Für keine andere Fürstendynastie des Reiches ist ein vergleichbarer Editionsstand erreicht.

Auf dieser Grundlage haben Generationen von Historikern das Paradigma der Fürstenreformation untersucht. Der Ansatz gehört zweifelsohne zu den Klassikern der Reformationsforschung, die nach einem kräftezehrenden und zuweilen ermüdenden Jubiläumsmarathon derzeit aufgefordert ist, sich neu aufzustellen. Der Territorialstaat dürfte auch für künftige Untersuchungen interessant bleiben, wenngleich parallel andere Akteure wie etwa der landsässige Adel in den Blick kommen.

Doreen von Oertzen Becker bewegt sich also in einem zentralen Forschungskontext, wenn sie in ihrer von Uwe Schirmer in Jena betreuten Dissertation die Kirchenpolitik des ernestinischen Kurfürsten Johann von Sachsen (1468-1532) vorstellt, wobei sie jedoch noch nicht auf eine Edition zurückgreifen kann. Ihre Arbeit ist im Zuge des großen Jubiläums von 2017 entstanden, und zwar im Jenenser Projekt "Thüringen im Jahrhundert der Reformation", dessen beachtlicher Ertrag derzeit in zwei Publikationsreihen vorgelegt wird.

Johann von Sachsen, dem die Tradition den Beinamen "der Beständige" verlieh, stand als Mitregent lange Jahre im Schatten seines großen Bruders, des "weisen" Friedrich. Erst im fortgeschrittenen Lebensalter von 57 Jahren wurde Johann 1525 selbst Kurfürst und regierte bis 1532. Doch gilt seine siebenjährige Alleinherrschaft als Zäsur, da nun im "Mutterland der Reformation" die Fürstenreformation Einzug hielt, mit dem neuen Instrument der landesherrlichen Visitation das evangelische Kirchenwesen geordnet wurde und Kursachsen zur Führungsmacht der evangelischen Reichsstände aufstieg.

Am Beginn ihrer Studie konstatiert Oertzen Becker eine Diskrepanz zwischen der beeindruckenden Leistungsbilanz jener sieben Jahre und dem blassen Bild, das vom Mittelmaß eines "Beständigen" gezeichnet wurde. War Johann tatsächlich nur der Lückenbüßer zwischen "den hell leuchtenden Sternen Friedrich und Johann Friedrich", oder nicht doch ein Reformationsfürst von eigener "Strahlkraft" (23f.), der etwa auf dem Höhepunkt des Bauernkrieges "das Heft des Handelns in die Hand" (25) zu nehmen verstand?

Die Autorin hinterfragt damit eine zentrale Prämisse der Fürstenreformation, das persönliche Regiment und damit den Anteil des Fürsten an der Politik, die in seinem Namen betrieben wurde. Konnte es ein durchsetzungsfähiges landesherrliches Kirchenregiment mit einem schwachen Fürsten an der Spitze geben? Welchen Einfluss übten gelehrte Juristen an den Schaltstellen des Fürstenstaates aus, welche Rolle kam dem Ratschlag der Theologen zu, allen voran Martin Luther selbst, der Johanns Gestaltungskraft übrigens als gering veranschlagte?

Darüber hinaus kann Oertzen Becker mit ihrer Arbeit auf eine empfindliche Lücke aufmerksam machen. Denn eine moderne Monografie zu Johann, gar eine politische Biografie, fehlte bislang, auch wenn der Kurfürst vielleicht nicht ganz so tief in der Nische versteckt war, wie die Autorin suggeriert.

Die Arbeit ist klar und überzeugend strukturiert. Der Hauptteil gliedert sich in sechs Kapitel. Zunächst werden als "Persönliche Voraussetzungen" (31) Johanns Bildungsweg, die gemeinsame Herrschaft mit Kurfürst Friedrich, die sogenannte Mutschierung von 1513 sowie das personelle Umfeld des Fürsten vorgestellt. Es folgen ein Kapitel über Johanns Hinwendung zur frühen Reformation, ein Abschnitt zu den Auseinandersetzungen mit den albertinischen Vettern sowie zwei umfangreiche Kapitel zur innerterritorialen Kirchenpolitik und zur evangelischen Bündnispolitik im Reich, die das Herzstück der Untersuchung darstellen. Das letzte Kapitel fragt nach dem Einfluss der Wittenberger Theologen auf den Kurfürsten. Ergänzend hätte sich der Rezensent einen rezeptionsgeschichtlichen Exkurs gewünscht, der die Entstehung des Epithetons "der Beständige" nachzeichnen und seine diskursiven Implikationen hätte diskutieren können.

Die Autorin formuliert flüssig und besitzt den Mut zum eigenen Standpunkt. Dies zeigt sich bereits in Kapitel 2, das die Frühzeit behandelt und zu den stärksten Passagen der Arbeit gehört. Oertzen Becker skizziert die bislang wenig bekannte formative Phase des künftigen Kurfürsten. Ausgehend vom aktuellen Forschungsstand zum vorreformatorischen Kirchenregiment schildert sie wettinische Erfahrungsstände und kann damit aufzeigen, an welche politischen Handlungsmuster Johann nach 1525 anzuknüpfen vermochte. Als besonders ertragreich erscheint ein umfangreiches Unterkapitel mit biografischen Skizzen der wichtigsten Ratgeber des Herzogs wie Friedrich von Thun, Johann Riedesel, Hans von Dolzig oder Gregor Brück.

Gerade hier fällt freilich ins Auge, dass Oertzen Becker die Rückbindung ihrer Ergebnisse an die breitere Forschung vernachlässigt. So bleibt die intensive Diskussion zu gelehrten Räten und landesherrlichen Funktionseliten unerwähnt, die zuletzt etwa in den Arbeiten von Rainer-Christoph Schwinges, Christian Hesse, Thomas Klingebiel, Robert Gramsch oder Marek Wejwoda geführt wurde. [2] Damit kann der Ertrag der Beobachtungen zu Johanns Beraterkreis auch nicht vergleichend eingeordnet werden.

Dies ist symptomatisch für den weiteren Gang der Untersuchung. Herausgegriffen sei die Auseinandersetzung zwischen Ernestinern und Albertinern um Martin Luther, gerade weil es sich dabei um einen der am besten erforschten Aspekte der frühen Reformationsgeschichte überhaupt handelt. Er wird von Oertzen Becker auf 24 Seiten kenntnisreich dargestellt. Wie jedoch die Forschung die Vorgänge einordnet, erschließt sich kaum, da lediglich drei Angaben zur aktuellen Literatur geboten werden.

Auch wenn Kapitel 5.1.2 mit der Einführung des Visitationswesens eine zentrale Weichenstellung Johanns diskutiert, werden neben den Editionen des 19. Jahrhunderts lediglich drei Forschungsbeiträge aus den letzten 40 (!) Jahren herangezogen. Stattdessen dominieren Quellenparaphrasen. Selbst die einschlägigen, zumal im Umfeld der Universität Jena entstandenen Studien von Joachim Bauer und Dagmar Blaha bleiben unerwähnt.

So verpasst Oertzen Becker wiederholt die Chance, mit der Forschung in ein Gespräch einzutreten. Dass das Quellen- und Literaturverzeichnis der gut 500 Seiten starken Arbeit mit gerade einmal 20 Seiten auskommt, ist mehr als nur eine formale Beobachtung. Denn der heutige Stand der reformationsgeschichtlichen Forschung verlangt oft genug, ganze Stapel relevanter Literatur zu sichten, um die Forschungsdebatten verschiedener Zeitschichten mit eigenen Beobachtungen zu verknüpfen.

Im Ergebnis ihrer Studie betont die Autorin den persönlichen Anteil Johanns am Kurswechsel der ernestinischen Politik seit 1525. Die Durchsetzung der Fürstenreformation mit den Mitteln eines starken landesherrlichen Kirchenregiments sei Johanns unmittelbare Leistung gewesen. Dabei habe er sich mehr auf die Kompetenz des kursächsischen Regierungsapparats und seiner erfahrenen Räte als auf die Ratschläge der Theologen gestützt. Zugleich sei die Autorität Martin Luthers von Johann aber geschickt instrumentalisiert worden, um die Führungsrolle Kursachsens unter den evangelischen Reichsständen zu legitimieren.

Doreen von Oertzen Becker hat eine Studie vorgelegt, die die Beschäftigung mit Johann dem Beständigen wesentlich erleichtert. Wenn sich die Forschung in einigen Jahren auf der breiteren Quellenbasis einer Johann-Friedrich-Edition erneut den ernestinischen Reformationsfürsten zuwendet, sollte diese Arbeit als Einstiegslektüre bei der Hand sein.


Anmerkungen:

[1] Briefe und Akten zur Kirchenpolitik Friedrichs des Weisen und Johanns des Beständigen 1513 bis 1532. Reformation im Kontext frühneuzeitlicher Staatswerdung, Bd. 1: 1513-1517, hgg. von Armin Kohnle / Manfred Rudersdorf, bearb. von Stefan Michel / Beate Kusche / Ulrike Ludwig, Leipzig 2017.

[2] Vgl. Rainer Christoph Schwinges (Hg.): Gelehrte im Reich. Zur Sozial- und Wirkungsgeschichte akademischer Eliten des 14. bis 16. Jahrhunderts (= ZHF, Beiheft; 18), Berlin 1996; Christian Hesse: Amtsträger der Fürsten im spätmittelalterlichen Reich. Die Funktionseliten der lokalen Verwaltung in Bayern-Landshut, Hessen, Sachsen und Württemberg 1350-1515 (= Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften; 70), Göttingen 2005; Thomas Klingebiel: Ein Stand für sich? Lokale Amtsträger in der Frühen Neuzeit. Untersuchungen zur Staatsbildung und Gesellschaftsentwicklung im Hochstift Hildesheim und im älteren Fürstentum Wolfenbüttel (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen; 207), Hannover 2002; Robert Gramsch: Erfurter Juristen im Spätmittelalter. Die Karrieremuster und Tätigkeitsfelder einer gelehrten Elite des 14. und 15. Jahrhunderts (= Education and Society in the Middle Ages and Renaissance; 17), Leiden / Boston 2003; Marek Wejwoda: Spätmittelalterliche Jurisprudenz zwischen Rechtspraxis, Universität und kirchlicher Karriere. Der Leipziger Jurist und Naumburger Bischof Dietrich von Bocksdorf (ca. 1410-1466) (= Education and Society in the Middle Ages and Renaissance; 42), Leiden / Boston 2012.

Christoph Volkmar