Andreas Weiß: Asiaten in Europa. Begegnungen zwischen Asiaten und Europäern 1880-1914, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2016, 314 S., ISBN 978-3-506-78395-0, EUR 44,90
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"Chinesen, Inder und Japaner in Europa. Ihre Begegnungen mit Briten und Deutschen 1880-1914 unter globalhistorischer Perspektive", so könnte man das Buch vielleicht eingehender betiteln. Denn weitestgehend ausgeklammert bleiben alle anderen Asiaten und alle anderen Europäer. Ist der gewählte Titel ein paar Nummern zu groß?
Ja und Nein. Der Verfasser ist sich der Schwierigkeiten bewusst und führt viele Argumente für seinen Titel an. Einige könnte man als problematisch ansehen: So bleibt fast der gesamte muslimische Kulturkreis unberücksichtigt. Er stehe in der Wahrnehmung der Europäer "im Ansehen der Zeit", "auf einer niedrigeren 'Stufe'" "als die Hochkulturen Süd- und Ostasiens". Aussagen von Asiaten dieses Kulturkreises würden daher ganz einfach eher "wahr- und angenommen" (19). Der Verfasser übernimmt allenfalls eine in England vorherrschende zeitgenössische Bewertung einer vermeintlich höheren Entwicklungsstufe des Fernen Ostens, aber Belege dafür werden zu diesem sensiblen Punkt nicht angeführt. Angesichts der Orientpolitik Wilhelms II. und der Orientbegeisterung im Kaiserreich kommen Zweifel auf, ob das zumindest für das Deutsche Reich so gilt.
Eine andere problematische Aussage: "Als unabhängige Staaten, die nicht direkt oder indirekt auf europäische Gründungen zurückgingen, blieben nur noch Äthiopien, Siam, China und Japan" (45). Nur in der dazugehörigen kurzen Anmerkung und ohne weitere Nachweise steht die Begründung, warum das Osmanische Reich fehlt: "Dies gilt zwar eigentlich auch für das Osmanische Reich. Doch stellten sich die osmanischen Sultane seit Mehmet II. als Kayser-i-Rum (Kaiser von Rom) ganz bewusst in eine römische Traditionslinie und damit in einen "europäischen" Kontext." (45) Das Osmanische Reich eine direkte oder indirekte Gründung Europas? Nicht jeder in Europa und auch nicht jeder im muslimischen Kulturkreis wird dem folgen wollen.
Aber vielleicht ging es dem Verfasser nur darum, seinen anspruchsvollen, sehr weiten Titel aufrecht zu erhalten, um dann mit solchen Begründungen den Untersuchungsgegenstand einzugrenzen. Doch das Bedürfnis einzugrenzen ist legitim, bedeutet auch eine Einschränkung "nur" auf Chinesen, Inder und Japaner schon ein ungemeines Arbeitspensum.
Auch mit einer anderen problematischen Ausklammerung aus dem Untersuchungsgegenstand, nämlich Frankreichs, wird es sich ähnlich verhalten haben. Hier gesteht der Verfasser offen ein, dass "Der Ausschluss Frankreichs [...] schwerer zu begründen" ist (23). So viel zu den problematischen Einschränkungen und Begründungen, von denen sich weitere finden lassen, vor allem in der "Einleitung" (Kapitel I).
Dem Verfasser geht es indes nicht nur um die Wechselwirkungen zwischen wie auch immer gefassten "Asiaten und Europäern", sondern - darüber hinaus und zentral - vor allem um den Vergleich zwischen England und Deutschland: Wie beide Nationalkulturen die fernöstlichen Einflüsse verarbeiteten, macht einen besonderen Reiz des Buches aus und vorab: Dieser Vergleich ist voll geglückt.
Die vom Verfasser getroffene zeitliche Eingrenzung von den 1880er-Jahren bis 1914 ist nicht allzu eng zu sehen (16). Auch einzelne zentrale Vorgänge vor 1880 werden berücksichtigt ebenso wie Vorgänge der Zwischenkriegszeit.
Woher die Quellen nehmen? Die Quellenrecherche war schwierig, aber einfallsreich. So ist sie bisweilen eklektisch, aber gelungen. Die Quellenbasis, Primär- und Sekundärliteratur, ist mit ganz wenigen Ausnahmen vor allem auf Quellen und Veröffentlichungen eingeschränkt, deren Entstehungsort England oder Deutschland ist (vermutlich mangels fehlender Kenntnis asiatischer Sprachen). Das gilt auch für Werke aus der Feder von "Asiaten". Natürlich könnte man sich jetzt wünschen, der Wechselwirkung wegen müssten auch genuin fernöstliche Quellen und Literatur berücksichtigt werden. Aber das ist dann nicht mehr in einer Monografie zu bewältigen, sondern wäre eine gewinnversprechende Aufgabe für ein sehr groß angelegtes, überdisziplinäres, globalhistorisches Forschungsprojekt.
Im Genaueren werden auf englischer und deutscher Seite beispielsweise wissenschaftliche Zeitschriften untersucht, die sich mit dem fernen Asien beschäftigen, wie die "Zeitschrift für Ethnologie", herausgegeben von der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologien und Urgeschichte, 1869 gegründet, oder die "English Historical Review" (1886). Denn erst mit solchen Zeitschriften entsteht ein profunderes Bild vom anderen, profunder als jedenfalls über die schon immer vorhandenen Berichte von Reisenden oder Missionaren, die ebenfalls in die Arbeit eingehen. Im Kapitel II "Vorstellungen vom anderen" werden solche Quellen dann ausgewertet.
Das Kapitel III "Begegnungen - sozialer Austausch und Öffentlichkeit" handelt vom gesellschaftlichen Umgang miteinander, konkret welche Aufnahme "Asiaten" (vor allem Studenten und Gesandte) in der deutschen und englischen Gesellschaft gefunden haben und wie "Asiaten in Europa" ihre Gastländer gesehen haben. Aus diesen Berichten ergibt sich ein sehr differenziertes Bild der gegenseitigen Wertschätzung mit beträchtlichen Unterschieden zwischen der englischen und deutschen Gesellschaft. Das Deutsche Reich mit seinen wenigen Kolonialbesitzungen zeigt sich offener Asiaten gegenüber und wird von ihnen auch positiver bewertet als England mit seinem Empire. Dies vielleicht nur deshalb, weil sich naturgemäß weniger Reibungspunkte historisch ergeben haben.
Das Kapitel IV "Bildungsdebatten" untersucht die Einflüsse des Fernen Ostens auf Kunst, Wissenschaft und Religion in Europa (sprich: auf England und Deutschland). Hier nur als Beispiel: Impressionismus und Jugendstil übernehmen asiatische Stilelemente. In den Geisteswissenschaften gibt es dann auch Auseinandersetzungen auf gleicher Augenhöhe mit zunehmend selbstbewusster auftretenden asiatischen Dialogpartnern.
Von den vielen erhellenden Ausführungen sei hier nur eine wiedergegeben: Begründeten die Europäer ihren Imperialismus zivilisatorisch, so setzen Asiaten ihre viel ältere Kultur dagegen und wiesen auf kolonialistische Barbareien hin, die sich mit dem europäischen zivilisatorischen Anspruch nicht vereinbaren ließen. Auch mit der Folge, dass das zivilisatorische Selbstverständnis der Europäer erschüttert wurde. Als dann auch auf dem Gebiet der Technik sich Japan modernisierte und dann noch Russland 1905 militärisch besiegte, geriet auch das technisch-wissenschaftliche Selbstverständnis Europas ins Wanken, allen anderen Kulturen gerade auf diesem Gebiet überlegen zu sein. Die Perspektive in die Gegenwart ist deutlich.
Fazit: Insgesamt ein Buch mit vermeidbaren kleineren Schwächen in der Titelgebung, jedoch mit profund recherchierten Ausführungen darüber, wie Japaner, Inder und Chinesen England und Deutschland sahen, welche "Begegnungen" sie dort hatten und wie der Ferne Osten Europa auf den Gebieten der Kunst, Wissenschaft und Religion beeinflusste und Europa zunehmend zuerst in seinem Selbstverständnis, überall überlegen zu sein, erschütterte, zuerst auf zivilisatorischem und dann auch auf dem genuin technisch-wissenschaftlichen Gebiet. Ein Buch, von dem man sich wünscht, dass es ein Anstoß sein möge für weiterführende Arbeiten zum Thema globalhistorische Kulturgeschichte Asiens und Europas im Vergleich. Der Verfasser hat dazu einen wertvollen Baustein geliefert.
Manfred Hanisch