Thomas A. Fudge: Jan Hus between Time and Eternity. Reconsidering a Medieval Heretic, Lanham, MD: Lexington Books 2016, XX + 277 S., ISBN 978-1-4985-2750-7, USD 95,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Thomas A. Fudge: The Kidnapped Bishop. Coerced Ordinations in the Late Medieval Bohemian Province, Lanham: Rowman & Littlefield 2023
Thomas A. Fudge: Jerome of Prague and the Foundations of the Hussite Movement, Oxford: Oxford University Press 2016
Thomas A. Fudge: The Trial of Jan Hus. Medieval Heresy and Criminal Procedure, Oxford: Oxford University Press 2013
Der seit 2003 an der australischen University of New England/Armidale lehrende Verfasser des hier vorzustellenden Buches, Thomas A. Fudge, ist bekannt für seine dezidiert vorgetragenen Positionen und Antworten zu umstrittenen Forschungsfragen, die er seinerseits durch akribische Quellenstudien abgesichert hat. Zuletzt verteidigte er u.a. den Prozess gegen Jan Hus als ein legales Vorgehen, ein Urteil, mit dem er die Ergebnisse einer älteren Studie des tschechische Historikers Jiří Kejř [1] bestätigen konnte. Mit dieser Direktheit hat sich der Australier nicht nur Freunde gemacht, wie der letzte der in diesem Band abgedruckten Beiträge deutlich macht.
Fudge, der sich bereits seit vielen Jahren intensiv mit der Person des Jan Hus, den Hussiten und dem Hussitismus befasst sowie zahlreiche Bücher und Aufsätze [2] zu diesem Themenkreis publiziert hat, ist zweifellos einer der besten und renommiertesten Hus-Forscher und Kenner seiner Schriften. Seine Bewunderung für den tschechischen Reformer, den er sogar einmal als "a great man" (Trial, 32) bezeichnet hat, kann und will Fudge gar nicht erst verhehlen. Dabei macht er jedoch nicht den Fehler, seine Sympathie bzw. Antipathie auf die Analyse und Bewertung des juristischen Verfahrens zu übertragen, das schließlich zu Hus' Verurteilung und seinen Tod durch Verbrennung führte.
Diesem Thema ist denn auch der zweite Abschnitt im vorliegenden Band gewidmet, der in insgesamt vier Themenkreisen verschiedene Aspekte aus Hus' Leben und Nachleben aufgreift, auf die alle im Folgenden jedoch nicht im Detail eingegangen werden kann. Dies allein schon deshalb, weil im vorliegenden Werk eine Reihe ziemlich disparater Abhandlungen und Aufsätze vereint wurden, die wenig innere Kohärenz besitzen und vermutlich aus eher marktökonomischen Überlegungen von Autor und / oder Verlag zwischen zwei Buchdeckel gepresst wurden. Mit seinem offenen Titel wird dem neugierigen Leser überdies wenig Konkretes zu dessen Inhalt verraten. Soviel darf aber gesagt werden: eine Resterampe ist dieser Band glücklicherweise nicht geworden.
Im ersten Abschnitt beschäftigt sich Fudge unter dem Titel "Priest and Reformer in Prague" (1-75) mit verschiedenen Aspekten seines pastoralen Wirkens, das er als Prediger und Priester an der Bethlehems-Kapelle neben seinen universitären Aufgaben wahrnahm. Vieles kann man dem Magister vorwerfen; dass er aber seine pastoralen Pflichten nicht gewissenhaft wahrgenommen hätte, unterstellten ihm nicht einmal seine schärfsten Kritiker und Gegner. Sein seelsorgerisches und zugleich zutiefst moralisch geprägtes Engagement ließen ihn zu einem vehementen Kritiker jener Zustände werden, wie er sie in der zeitgenössischen Kirche, nicht zuletzt im böhmischen Klerus vorfand. Hus' pastorales Engagement war jedenfalls Fundament für die Glaubwürdigkeit und Integrität, die er gerade bei den einfachen tschechischen Landsleuten, auch unter den Frauen, genoss und ihn schließlich zum Gesicht und Aushängeschild der Reformbewegung machte.
Neben seinen Predigten in tschechischer Sprache nahm Hus auf die Entwicklung auch literarisch Einfluss, vor allem nach 1412, als er Prag verlassen musste. Exemplarisch zeigt Fudge dies anhand seiner Schrift 'Dcerka' (Die Tochter), einem später weitgehend vergessenen Dokument, das er als "witness to the vibrancy of medieval Czech spirituality" (7) charakterisiert. Diese Schrift könnte tatsächlich erheblichen Einfluss auf die Spiritualität und die religiöse Praxis seiner Anhänger gehabt haben. Jedenfalls besaß der darin vertretene eschatologische Unterton eine soziale Dimension, der die Resistenz gegen kirchliche und weltliche Autoritäten gefördert haben dürfte. Zumindest seine theologischen Gegner - vor allem Abt Štěpán Dolany - mochten diesen Einfluss gefürchtet haben und machten ihn dem Magister entsprechend zum Vorwurf. In einer weiteren Schrift ('Výklad desatera') setzte sich Hus mit dem Thema Sexualität auseinander, wobei ihn insbesondere das Sündhafte im Kontext von Priestertum und Sexualität beschäftigte. Die Schrift lässt sich durchaus als eine Abrechnung mit der moralischen Verworfenheit des damaligen Klerus lesen. In beiden Untersuchungen werden vergleichsweise unbekannte Facetten ausgeleuchtet, die Hus' seelsorgerisches Wirken und die darin enthaltene Sprengkraft zeigen.
Im zweiten Teil "Martyr at Constance" (77-163) beschäftigt sich Fudge mit Hus' Reise an den Bodensee und dem Prozess, der gegen ihn vor dem Konzil geführt wurde. Der oft einseitige Blick auf seine Person wie auch den Prozess liegt in der Quellenauswahl, die dafür zumeist herangezogen wurde. Nach Fudge sind huskritische Quellen, die ein ganz anderes Bild von dem Magister zeichneten, dagegen sehr viel seltener ausgewertet worden - ein Missstand, den er hier zu beheben trachtet. Besonders interessant ist in diesem Kontext das Urteil des Bischofs Giacomo Ballardi, der den Magister zum Erzketzer abstempelte. In diesem Zusammenhang erscheinen dem Rezensenten die Ausführungen von zentraler Bedeutung, die Hus selbst zur Häresie gemacht hat, einem Kapitalverbrechen, für das der Magister am Ende schuldig gesprochen wurde. Dass der Magister der Ansicht war, dass Häresie nicht durch die kirchliche Obrigkeit, auch nicht durch ein Konzil verurteilt werden dürfe ("The Other Sheep - Reflections on Heresy by a Suspected Heretic", 141-163), konnte ihm den eigenen Kopf jedoch nicht retten.
Im dritten Abschnitt ("Legal to the World", 165-222) beschäftigt sich Fudge mit dem merkwürdigen Phänomen, dass der Magister während der Hussitenkreuzzüge erstaunlich abwesend ist. Das ausgewertete Chronik-Material erwähnt Hus im Zeitraum zwischen 1420 und 1437 kaum einmal. Das dürfte nicht zuletzt damit zusammenhängen, dass man den Magister kaum als Apologeten dieser Kreuzzüge verwerten konnte: "The wars were waged and won for reasons other than the memory of a dead priest" (182).
In einem abschließenden Epilog "Politicizing the Legend of Jan Hus. Problems and Perspectives" (223-247) setzt sich Fudge kritisch, im Ton bisweilen polemisch, mit dem Nachleben des Prager Magisters ("an icon and a legend", 223) auseinander. Nach seinem Tod, so Fudges Beobachtung, schwindet zwar Hus' unmittelbare Bedeutung, er wird aber auch weiterhin - bis heute - instrumentalisiert. Insbesondere tschechischen Kreisen wirft Fudge in diesem Kontext vor, eine kritische Auseinandersetzung mit Hus zu bremsen. Sein Vergleich der Hus-Forschung mit einem Minenfeld (227) ist höchst aufschlussreich. Es dürfte nicht überraschen, wenn die hier Angegriffenen reagieren sollten.
Den Abschluss des Bandes bildet ein Appendix (249-251) mit einem Verzeichnis des Konstanzer Briefwechsels des Jan Chlum, außerdem folgen eine Auswahlbibliografie (253-260) sowie ein umfassendes Register zu Orten, Namen und Sachen (261-275).
Fudges hier teilweise zum ersten Mal veröffentlichte Erkenntnisse beruhen vor allem auf dem gründlichen Studium primärer Quellen, die Sekundärliteratur wird dagegen nur in Auswahl herangezogen. Die Zahl inhaltlicher Ungenauigkeiten, gar Fehler ist gering. Irreführend ist etwa der Hinweis auf die machtvollen Präsidenten der Konzilsnationen (130); während Hus' Lebzeiten kann davon aber noch gar nicht die Rede sein. Dass die Druckwerkstatt Diebold Laubers in Niedersachsen statt im Elsass verortet wird (180), ist eher ein Schönheitsfehler.
Dass der Rezensent Fudges Interpretationen nicht immer uneingeschränkt teilt, ändert nichts an der soliden Arbeit, die der Australier geleistet hat. Auch orthografisch ist kaum etwas an diesem Band auszusetzen. So stellt sich am Ende doch noch einmal die Frage, ob die so unterschiedlichen Beiträge es verdient haben, in dieser wenig überzeugenden Zusammenstellung publiziert zu werden. Beim Rezensenten bleiben da erhebliche Zweifel.
Anmerkungen:
[1] Jiří Kejř: Die Causa Johannes Hus und das Prozessrecht der Kirche, Regensburg 2005 (tschechisch: Husův proces, Praha 2000).
[2] Zuletzt: Thomas A. Fudge: Religious Reform and Social Revolution in Bohemia, London 2010; Ders.: The Trial of Jan Hus. Medieval Heresy and Criminal Procedure, Oxford 2013; Ders.: The Memory and Motivation of Jan Hus, Medieval Priest and Martyr, Turnhout 2013; Ders.: Jerome of Prague and the Foundations of the Hussite Movement, New York 2016 (angekündigt auch in einer deutschen Übersetzung).
Ansgar Frenken