Barbara Schneider: Erich Maschke. Im Beziehungsgeflecht von Politik und Geschichtswissenschaft (= Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften; Bd. 90), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2015, 391 S., ISBN 978-3-525-36080-4, EUR 70,00
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Als am Ende der neunziger Jahre die nationalsozialistische Vergangenheit einflussreicher Historiker zum Gegenstand einer heftigen Kontroverse wurde, in der die wissenschaftliche, politische und moralische Integrität der deutschen Geschichtswissenschaft im 20. Jahrhundert insgesamt auf den Prüfstand kam, fiel der Blick auch auf Erich Maschke. Wenngleich kein Fachvertreter allerersten Ranges, schienen sich in seiner Mitwirkung an der revisionistischen Königsberger "Ostforschung", dem Karriereschub unter dem NS-Regime und seinem späteren, weithin respektierten Wirken als Sozialhistoriker in der frühen Bundesrepublik doch jene Entwicklungslinien zu bündeln, an denen sich das Verhältnis von politischer Belastung und disziplinärer Regenerationsfähigkeit messen lassen musste. Mit der Druckfassung ihrer Jenaer Dissertation hat nunmehr Barbara Schneider eine ausführliche Untersuchung Maschkes vorgelegt. Ihr Buch fügt sich in eine bemerkenswerte zweite Welle biographischer Studien zu deutschen Historikern des 20. Jahrhunderts ein, die viele Fragestellungen des ersten biographischen Schubs von der Mitte der 2000er Jahre weiterverfolgt - ohne jedoch im Fach auch nur annähernd so starke diskursive Energien zu wecken. [1]
Das mag damit zusammenhängen, dass die jüngsten Werke ungeachtet ihrer Qualität empirisch wie auch interpretatorisch kaum grundlegend neues Licht auf die politischen Dispositionen und intellektuellen Anpassungsleistungen der Historiker, auf Karrieremuster wie auch auf die Inklusions- und Ausschlussmechanismen des Faches geworfen haben. Auch Barbara Schneider wartet nicht mit einer überraschenden Neudeutung persönlicher oder historiographischer Zusammenhänge auf. Ihrem Buch kommt gleichwohl das Verdienst zu, den akademischen Lebensweg Erich Maschkes mit penibler Sorgfalt rekonstruiert, seine historiographische Arbeit mit klarem und differenziertem Blick analysiert und sein Wirken in breiteren fachgeschichtlichen Kontexten situiert zu haben.
Chronologisch an der Folge von Maschkes akademischen Stationen orientiert, fördert das Buch manche aufschlussreiche Erkenntnisse zutage. Wichtige Teile von Maschkes Geschichtsverständnis leitet die Verfasserin plausibel aus dessen emphatischer Betätigung in der bündischen Jugendbewegung her. Wie eine Reihe seiner prominenten Kollegen, zog auch Maschke die eigentümliche Atmosphäre politischer "Grenzland"-Arbeit und akademischer "Vorposten"-Stellung, mit der sich die Universität Königsberg umgab, in ihren Bann. In den dreißiger Jahren radikalisierte sich das Denken des jungen Historikers, der in seiner Geschichtsschreibung zum "Ostraum" wie auch zur Stauferzeit völkische und rassistische Denkfiguren aufnahm. Seine Loyalität zum nationalsozialistischen Regime galt den Behörden anfänglich dennoch nicht als gesichert, was Schneider auch darauf zurückführt, dass sich der Privatdozent mit dem Königsberger Neuzeit-Ordinarius Hans Rothfels solidarisiert hatte, als dieser wegen seiner jüdischen Herkunft entlassen worden war. Ein dauerhaftes Hindernis ergab sich daraus allerdings nicht. Im Gegenteil verfügte Maschke seit der ersehnten Berufung 1937 zunächst an der Universität Jena und später in Leipzig über eine gesicherte akademische Position und begann dem nationalsozialistischen Regime mit fester ideologischer Überzeugung in vielfältiger Weise zuzuarbeiten. Nicht in alle Aspekte seiner politischen Betätigung lässt sich Klarheit bringen. Sicher ist jedoch, dass Maschke, seit 1933 SA- und seit 1937 Parteimitglied, als Vertrauensperson für den Sicherheitsdienst arbeitete, den deutschen Expansionskrieg historisch rechtfertigte und die rassistische Umsiedlungspolitik in Polen guthieß.
In den westdeutschen Wissenschaftsbetrieb der Nachkriegsjahre passte sich Maschke geräuschlos ein. Sein Engagement für den Nationalsozialismus überschritt nicht die freilich weit gesteckten Grenzen dessen, was im Fach als tolerabel galt. Seit 1956 lehrte er Wirtschafts- und Sozialgeschichte in Heidelberg, wo er sich mit dem sozialhistorischen Neuansatz Conzescher Prägung im Einklang fand, ohne diesen allerdings entscheidend mit zu prägen. Von seinen Arbeitsfeldern der dreißiger und vierziger Jahre bewegte er sich weg, beteiligte sich eher am Rande an der westdeutschen "Ostforschung" und erschloss sich neue Themenbereiche, wie vor allem die mittelalterliche Stadtgeschichte. Die völkisch-chauvinistischen und antislawischen Denkhorizonte seiner früheren Historiographie ließ er stillschweigend hinter sich.
Man hätte sich gewünscht, dass die Verfasserin auf die reichen Forschungen zu deutschen Historikern und Geisteswissenschaftlern zurückgegriffen hätte, um typische und untypische Züge von Maschkes intellektueller Biographie schärfer herauszuarbeiten. Dass der Historiker vor seiner Ankunft in der Bundesrepublik acht Jahre lang in sowjetischer Kriegsgefangenschaft festgehalten worden war, wo er unter Entbehrungen litt und zu schwerer Arbeit gezwungen wurde, unterschied seine Laufbahn jedenfalls markant von den Karrieremustern seiner Kollegen. Als sich der Heidelberger Ordinarius 1959 bereit erklärte, das von der Forschung bislang wenig beachtete Großprojekt zur Geschichte der deutschen Kriegsgefangenen zu leiten, das Schneider in einem der interessantesten Kapitel des Buches beschreibt, verwoben sich in seiner Tätigkeit persönliches Erleben und historische Reflexion auf eine Weise, die die westdeutsche Zeitgeschichtsschreibung auch in anderen Themenbereichen so stark prägte. Dabei wollte Maschke das Unternehmen - im Konflikt mit dem Auswärtigen Amt - dezidiert nicht als ein politisch-revisionistisches Instrument verstanden wissen, sondern strebte eine ausgewogene Darstellung einer massenhaften Erfahrung an.
Ob sich darin eine läuternde Wirkung seiner Kriegsgefangenschaft erwies, lässt sich nicht fassen, wie überhaupt die Motive von Maschkes Handeln, der Gehalt seiner Erfahrungen und seine Selbstsicht an vielen Stellen im Dunkeln bleiben. Das ist den großen Lücken in der Quellenüberlieferung geschuldet, ebenso aber dem für jene Generation nicht ungewöhnlichen Umstand, dass Maschke nur sehr sparsam (halb-)öffentlich über sich Auskunft gab. Dass Maschke 1982 im Alter von 81 Jahren, nur wenige Tage nach dem Tod seiner Frau, Suizid verübte, vermerkt Schneider lakonisch, ja fast beiläufig. Ein gar nicht einmal kleiner Rest an Rätsel bleibt im Leben dieses Gelehrten, dem man historiographisch nicht allzu nahe kommt.
Anmerkung:
[1] Vgl. etwa Jan Eike Dunkhase: Werner Conze. Ein deutscher Historiker im 20. Jahrhundert, Göttingen 2010; Christoph Nonn: Theodor Schieder. Ein bürgerlicher Historiker im 20. Jahrhundert, Düsseldorf 2013; Matthias Berg: Karl Alexander von Müller. Historiker für den Nationalsozialismus, Göttingen 2014; Joseph Lemberg: Der Historiker ohne Eigenschaften. Eine Problemgeschichte des Mediävisten Friedrich Baethgen, Frankfurt 2015.
Jan Eckel