Johannes Bähr: Werner von Siemens 1816-1892. Eine Biografie, München: C.H.Beck 2016, 575 S., 3 Kt., 183 Abb., ISBN 978-3-406-69820-0, EUR 29,95
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Der Unternehmensgründer Werner Siemens und seine Brüder lassen sich trefflich als unternehmungslustig im eigentlichen Wortsinne beschreiben - agil, zeitweise temperamentvoll, immer aber voller Tatendang. Dabei war Werner Siemens die Gründung eines Weltunternehmens keineswegs in die Wiege gelegt wie die Biografie von Johannes Bähr zeigt. Neben einer lesenswerten Biografie über Carl von Siemens (1829-1906), die das Wirken der Siemens-Brüder in den Kontext der Globalisierung im 19. Jahrhundert stellt, liegt pünktlich zum 200. Geburtstag des 1816 geborenen Werner Siemens nun auch eine gründlich recherchierte Lebensgeschichte zur Gründergestalt des Unternehmens vor. [1] Das auf Initiative des Siemens Historical Institute entstandene Buch ist in einzelne Lebensabschnitte gegliedert. Dabei bilden das Verhältnis zu seinen Geschwistern und seine Rolle als Erfinder- und Eigentümerunternehmer in der wissensgestützten Elektroindustrie die beiden inhaltlichen Orientierungspunkte.
Werner Siemens war das vierte von insgesamt 14 Kindern. Trotz mancher finanzieller Nöte sorgten seine Eltern, die als Gutspächter tätig waren, für eine fundierte Ausbildung ihrer Kinder. Da ein Studium an der Bauakademie aus finanziellen Gründen nicht möglich war, meldete sich Werner Siemens 1834 zum Militär. Doch der Militärdienst war nur Mittel für eine technisch-naturwissenschaftliche Ausbildung an der Berliner Artillerie- und Ingenieurschule. Während seiner Rekrutenzeit schloss er eine enge Freundschaft mit William Meyer, mit dem er 1839 ein Privatquartier in Berlin bezog. Dort begann er mit ersten chemischen und physikalischen Experimenten. Für ein Vergoldungsverfahren meldete er 1842 sein erstes Patent an, das sein Bruder Wilhelm in England erfolgreich vermarktete. Daraufhin verfielen die beiden Brüder - recht erfolglos - einigen Erfindungsspekulationen. Schon während seiner Kindheit, noch stärker aber nach dem Tod seiner Eltern 1839/40, fühlte sich Werner Siemens in der Pflicht, für seine Geschwister zu sorgen, leitete daraus aber auch das Recht ab, Entscheidungen für sie zu treffen.
Im Jahr 1847 gelang ihm in der Telegrafentechnik der Durchbruch mit der Konstruktion eines Zeigertelegrafen, zu dessen Verwertung er mit Johann Georg Halske das Unternehmen "Werkstatt Halske" gründete, das 1851 in Telegraphen-Bauanstalt Siemens & Halske umbenannt wurde. Dies war der Grundstein des späteren Siemens-Konzerns. Mit dem Bau einer Fernlinie von Berlin nach Frankfurt am Main sicherte sich das Unternehmen 1848 den ersten Großauftrag. Werner Siemens fungierte hier als Telegrafenoffizier im Staatsdienst, als Mitinhaber des beauftragten Telegrafenherstellers und als Vertragspartner des Kabellieferanten zugleich. Da die Verbindung unterirdisch verlegt werden sollte und er ein System von Apparaten und isolierten Kabeln anbieten konnte, war er gegenüber seinen Wettbewerbern im Vorteil. Seit Sommer 1849 war dieses Siemens-System mit Guttapercha-isolierten Drähten und Zeigertelegrafen der Standard der preußischen Staatstelegrafie und Siemens & Halske quasi der Monopollieferant der Behörden.
Mit diesen Erfolgen im Rücken nahm Werner Siemens 1849 Abschied vom Militär; sein Nachfolger bei der preußischen Staatstelegrafie wurde William Meyer, der 1855 ebenfalls ins Management von Siemens & Halske wechselte. Die Auslandsvertretung für das Vereinigte Königreich übertrug er 1850 seinem Bruder Wilhelm, doch waren die Märkte in Großbritannien, Belgien und Frankreich bereits weitgehend in der Hand anderer Hersteller. Vor allem bei der Expansion im Ausland stützte er sich fortan auf seine Brüder Carl, Wilhelm und Friedrich, denen er bedingungslos vertrauen konnte. Der "Bruder-Verbund" (156) wurde ab 1851 zum Unternehmenskonzept. Anfang der 1850er beorderte Werner Siemens seinen Bruder Carl nach St. Petersburg, der von dort das Russlandgeschäft aufbaute. Zeitweise entfielen 90 Prozent des Umsatzes auf das Russlandgeschäft, doch nach dem Krimkrieg ging die Nachfrage deutlich zurück. Wie schon im preußischen Fall zeigten sich hier die Vor- und Nachteile einer starken Abhängigkeit von staatlichen Aufträgen. Folglich galt es, neue Absatzmärkte zu erschließen. Daraufhin stieg Siemens & Halske in das prestigeträchtige, aber auch risikoreiche Seekabelgeschäft ein.
Zur gleichen Zeit wurde Werner Siemens von mehreren Schicksalsschlägen getroffen. 1865 starb seine Ehefrau Mathilde Drumann, 1867 sein Bruder Hans und 1868 sein Bruder Walter sowie sein langjähriger Freund William Meyer. Seine zweite 1869 geschlossene Ehe mit Antonie Siemens entsprach den typischen Verwandtschaftsehen der damaligen Zeit. Da Halske die mit dem Seekabelgeschäft verbundenen Risiken nicht mittragen wollte, schied er 1867 als Mitgesellschafter aus. Im Anschluss wurden Werner, Wilhelm und Carl Siemens zu geschäftsführenden Gesellschaftern von Siemens & Halske in Berlin sowie von Siemens Brothers in London. Das Londoner Unternehmen war für das gesamte Überseegeschäft zuständig und hatte sich auf das in den 1870er-Jahren stark boomende Seekabelgeschäft spezialisiert. Nachdem es 1880 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt worden war, schied Carl aus der Geschäftsleitung aus und ging wieder nach St. Petersburg, um das Russlandgeschäft neu zu beleben.
Als sich die Anwendungsgebiete der Elektrotechnik mit der Einführung des Telefons und der Starkstromtechnik ausweiteten, profitierte Siemens wie kaum ein zweites deutsches Unternehmen hiervon. Schon die Markteinführung der Dynamomaschine hatte dem Unternehmen viele Aufträge beschert. Aus der Telegraphen-Bauanstalt wurde in den 1880er-Jahren ein elektrotechnischer Universalhersteller. Elektrisches Licht und elektrische Straßenbahnen sorgten für zahlreiche neue Aufträge, mit der AEG aber auch für einen neuen, stark expandierenden Konkurrenten.
Werner Siemens, 1888 in den Adelsstand erhoben, unterschied sich von den Unternehmern seiner Zeit vor allem durch seine naturwissenschaftliche Verankerung und sein Selbstverständnis als Erfinderunternehmer. Die Anerkennung durch andere Wissenschaftler bedeutete ihm viel, die Nähe anderer Unternehmer suchte er hingegen kaum. Sein Leitbild war ein auf eigenen Erfindungen und Verbesserungsinnovationen beruhendes Familienunternehmen. Bemerkenswert war besonders die Bandbreite seiner Fähigkeiten als Unternehmer, Techniker, Erfinder, Organisator, Abgeordneter und Lobbyist. Politisch verstand sich Werner Siemens stets als Liberaler. 1861 hatte er an der Konstituierung der Deutschen Fortschrittspartei mitgewirkt, doch deckten sich seine Vorstellungen schließlich - wie bei vielen Nationalliberalen - weitgehend mit der Politik Bismarcks.
Wie alle Biografien ist auch die Lebensgeschichte von Werner Siemens eng an seine Lebensdaten und an persönliche Ereignisse gebunden, doch ist es Bähr überzeugend gelungen, den individuellen Lebensweg mit der technisch-ökonomischen und politischen Entwicklung der Zeit zu verknüpfen. Dabei wird nicht nur der sinnhafte Zusammenhang zwischen einzelnen Lebensstationen deutlich, vielmehr kann Bähr auf diese Weise auch die Bedeutung seines Protagonisten für die Entwicklung der elektrotechnischen Industrie im 19. Jahrhundert aufzeigen.
Anmerkung:
[1] Martin Lutz: Carl von Siemens, 1829-1906. Ein Leben zwischen Familie und Weltfirma, München 2013.
Christian Marx