Friedrich von Bose: Das Humboldt-Forum. Eine Ethnografie seiner Planung, Berlin: Kadmos 2016, 320 S., ISBN 978-3-86599-309-0, EUR 29,80
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Eine relativ junge, noch im Experimentierstadium steckende Forschungsrichtung ist die Feldforschung in ethnologischen Museen. Das Feld wird von fernen, fremden Kulturen übertragen auf die eigene Kultur, Diskurse und Prozesse der Bedeutungsproduktion werden Gegenstand kritischer Beobachtung und Interpretation.
In der größten Kulturbaustelle Deutschlands, dem Humboldt Forum, laufen derzeit mehrere anthropologisch-soziologische Feldforschungen (innerhalb von Sharon Macdonalds Centre for Anthropological Research on Museums an der Humboldt Universität). [1] Bereits 2009 erschien Beate Binders ethnografische Studie über den "Streitfall Stadtmitte". [2] Jetzt hat der Kulturanthropologe Friedrich von Bose, der wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Europäische Ethnologie der Humboldt Universität war, ein 300-Seiten starkes Buch mit dem Titel "Das Humboldt Forum. Eine Ethnografie seiner Planung" veröffentlicht. [3] Es enthält die Ergebnisse einer aufwendigen Langzeit-Feldforschung in den Planungsstellen des Humboldt Forums und an Orten kontroverser Auseinandersetzungen um die Präsentation nicht-westlicher Sammlungen im rekonstruierten Schloss.
Diese Feldstudie verbindet sich mit einer Analyse ausgreifender, als weitgehend eigendynamisch postulierter Diskurse rund um das Großprojekt. Von Bose schreibt zu seinem Ansatz: "Es geht mir [...] nicht so sehr um die Urheberschaft von Ideen im Sinne der Frage, wer darüber 'bestimmt', wie über das Humboldt-Forum gedacht wird. Vielmehr bin ich daran interessiert, nachzuverfolgen, unter welchen Gesichtspunkten [...] das Gesagte [...] so plausibel erscheint, dass es von anderen Akteur_innen aufgegriffen wird und sich so ein Diskurs darüber formiert, um was es mit dem Projekt gehen soll." (65)
Nach einem Methodenteil (Abschnitt I) widmet sich der Abschnitt II Paradoxien kulturpolitischer Framings. Der Abschnitt III ist eine Erkundung der vielschichtigen und teilweise widersprüchlichen Planungsgenese von ersten Konzeptpapieren aus dem Jahr 2000 bis zum Masterplan sowie institutionsinterner Spannungsgefüge. Der abschließende Teil ist dem Humboldt Lab Dahlem gewidmet, das mit künstlerischen Interventionen ethnologische Zeigekonventionen aufbrechen wollte.
Fünf Jahre lang besuchte der Kulturanthropologe Veranstaltungen, führte Interviews, notierte Flurgespräche in Museen und nahm sich Zeit für Sektempfänge. Gerade bei informellen Zusammenkünften an exponierten Orten wie Botschaften oder dem Auswärtigen Amt überkam den Anthropologen "nicht selten das Gefühl, dass die Tatsache, dass sich hier eine gesellschaftliche Elite zusammenfand, um über die Zukunft dieses Kulturprojekts zu diskutieren, viel über den Charakter ebendieses Projekts aussagt." (26)
Was das Feld eigentlich war, stand für von Bose am Forschungsbeginn nicht fest, sondern wurde von ihm zum Teil der Forschungsfrage erklärt. Er orientierte sich hier an George Marcus konstruktivistische "multi-sited ethnography", die er auf das "Berliner Konfliktfeld" übertrug (37-38). Zentral ist für den Autor der aus der transkulturellen Diplomatie stammende Begriff der "Aushandlungsprozesse". "Die Analyse des Planungsprozesses ermöglicht es, Aussagen zu treffen über grundlegende Dynamiken und Aushandlungsvorgänge, die die Möglichkeitsräume dessen konstituieren, was einmal im Humboldt-Forum passieren wird." (215)
Ein Hauptkritikpunkt betrifft die Ebene dessen, was von Bose "Bewerbungsrhetorik" für das Humboldt Forum nennt. Hier beobachtet er als "konstitutives Spannungsverhältnis", dass "einerseits [...] Weltoffenheit, [...] der 'Dialog' zentraler Topos in den Begründungen" der Initiatoren und Befürworter des Humboldt Forums sei. "Gleichzeitig aber offenbart sich in genau diesen Definitionen und Visionen von Dialog und Weltoffenheit die Problematik einer Suche nach Identität, die auf der Trennung in 'wir' und die 'Anderen' basiert." (73, 69)
Derselbe Binarismus zeigt sich nach seiner Einschätzung in einer "Europäisierung" der Museumsinsel. Diese werde zunehmend zum europäischen Pendant der außereuropäischen Sammlungen im Humboldt Forum stilisiert, obwohl die Ägypterin Nofretete oder das Vorhandensein des Museums Islamischer Kunst im Pergamonmuseum diesem Narrativ (performativ) widersprechen (78). Die Beibehaltung der Kontinentalaufteilung im Humboldt Forum betrachtet der Autor als fragwürdige Prolongierung einer "Vermessung der Welt" und Ausdruck eines "territorialen Kulturverständnisses" (77).
Bezogen auf erinnerungspolitische Fragen stellt von Bose fest, dass in der Rückbesinnung auf ein idealisiertes Preußen (verkörpert durch die namensgebenden Humboldt-Brüder) im neuen Kulturschloss die komplexe Geschichte des 20. Jahrhunderts verkürzt und rückwärts "übersprungen" werde (73/74). Die sozial- und kulturwissenschaftliche Theoriebildung und insbesondere Museumsdebatten der vergangenen drei Jahrzehnte sind nach von Boses Einschätzung an den Humboldt-Forums-Planern weitgehend vorübergegangen. Das Projekt stelle in Teilen einen Rückfall hinter die "Writing Culture Critique" dar (74).
Der empirische Teil wurde 2014 abgeschlossen, also bevor die Planung mit Neil MacGregor und dem Aufbau eines größeren Teams in die heiße Phase eintrat. Bezüglich der Feststellung einer "konstitutiven Grundspannung" zwischen der narrativen Festschreibung der Differenzkategorien "wir" und die "Anderen" bei gleichzeitiger Behauptung eines gleichberechtigten "Dialogs der Kulturen" lässt sich einwenden, dass es sich hier um keine Spannung handelt, da Dialog Differenz nicht aus-, sondern einschließt.
Das Buch verbindet im Grunde zwei Studien: Diskursanalyse (nach Foucault) und Feldforschung. Die ethnografische Feldforschung hatte ihre beste Zeit von den 1930er-Jahren bis in die 1950er-Jahre, bevor sie im Zuge der Postmoderne gründlich in Frage gestellt wurde. Bei der Feldforschung in Museen handelt es sich letztendlich um eine kritische und ironische Übertragung des Feldes auf die eigene Zunft.
In der Feldforschung zu Hause kann sich zeigen, ob die gegenüber "Anderen" eingeübte Sensibilität und Wertungs-Zurückhaltung auch für das eigene Feld gilt, oder ob diese Tugenden im eigenen kulturelle Rahmen außer Kraft gesetzt sind - und der Forscher sich in seiner Lieblingsrolle wiederfindet: der erhobenen Position, von der aus er Urteile fällt.
Während sich in klassischen Feldstudien der vom Feld kaum zu trennende Forscher stets selbst thematisiert, scheint von Bose als Feldforscher, der in der eigenen Kultur unterwegs ist, nur in wenigen Passagen des Buches auf: wenn er Auszüge aus seinem "Feldtagebuch" zitiert oder "Widerstände des Feldes" und "die neue Angst des Forschers" vor dem Feld andeutet.
Gerade Museumsethnologen, die ihrerseits einen fortgeschritten-postkolonialen Standpunkt für sich beanspruchen, reagierten empfindlich darauf, "beforscht" zu werden. Von Bose versucht in seinem Buch den Spagat zwischen Sensibilität dem "Feld" gegenüber und diskursanalytischem Urteilen aus einer Metaposition heraus, doch Feldforschung und Diskursanalyse beißen sich.
Den positiven Gesamteindruck kann das aber nicht schmälern. Friedrich von Bose hat mit Insistenz auf Herausgabe von Planungsunterlagen gedrängt. Er hat eine profunde, materialreiche und dennoch gut lesbare Studie zum Making-of des Humboldt Forums geliefert und eine solide Grundlage für weitere Forschungen gelegt.
Anmerkungen:
[2] Beate Binder: Streitfall Stadtmitte. Der Berliner Schlossplatz, Köln / Weimar / Wien 2009.
[3] Als Vorbild für seine Ethnografie eines "Making-of" nennt der Autor Sharon Macdonalds Studie "Behind the Scenes of the Science Museum", Oxford / New York 2002.
Johanna Di Blasi