Rezension über:

Monika Leisch-Kiesl: ZeichenSetzung / BildWahrnehmung. Toba Khedoori: Gezeichnete Malerei, Nürnberg: Verl. für Moderne Kunst 2016, 348 S., ISBN 978-3-903131-29-3, EUR 48,00
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Rezension von:
Johanna Di Blasi
Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Susanne Leeb
Empfohlene Zitierweise:
Johanna Di Blasi: Rezension von: Monika Leisch-Kiesl: ZeichenSetzung / BildWahrnehmung. Toba Khedoori: Gezeichnete Malerei, Nürnberg: Verl. für Moderne Kunst 2016, in: sehepunkte 17 (2017), Nr. 6 [15.06.2017], URL: https://www.sehepunkte.de
/2017/06/30408.html


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Monika Leisch-Kiesl: ZeichenSetzung / BildWahrnehmung

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Wie wird ein Bild ein Zeichen und wie ein Zeichen ein Bild? Diese doppelte Fragestellung, semiotisch und phänomenologisch, bildet den Ausgangspunkt des kunstwissenschaftlich-philosophischen Buches "ZeichenSetzung / BildWahrnehmung" von Monika Leisch-Kiesl. Es handelt sich um den Versuch, die neuere Theoriebildung im Bereich der Zeichnung, einem Forschungsschwerpunkt der in Linz lehrenden Kunstwissenschaftlerin und Philosophin, mit weitverzweigten zeichen- und bildtheoretischen sowie philosophischen Positionen (Wittgenstein, Lacan, Deleuze, Derrida) der zurückliegenden Jahrzehnte zusammenzudenken und dabei das Spezifische des Bildlichen herauszuarbeiten, die "Logizität der Bilder" (Gottfried Boehm).

Ihr umfassendes theoretisches Repertoire erprobt die Forscherin an einem konkreten künstlerischen Œuvre, das als Fallbeispiel dient: die extrem großformatigen, zwischen Zeichnung und Malerei angesiedelten Werke Toba Khedooris, einer in Los Angeles lebenden australischen Künstlerin mit irakischen Wurzeln. Khedoori platziert auf wandfüllenden Formaten lapidar erscheinende Motive wie Fenster, Treppen oder Holzklötze zumeist mittig in perspektivlosen Räumen, was die Gegenstände in einer Schwebe zwischen Realismus und Virtualität, Bewegung und Statik hält und filmische Anmutungen des Gleitens oder Zoomens evoziert.

Leisch-Kiesl erblickt in den widersprüchlich konstruierten Bildräumen der seit den 1990er-Jahren in internationalen Museumsausstellungen vertretenen Zeichnerin / Malerin, die virtuos Stilmittel des Fragmentierens und der visuellen Brüche einsetzt, eine konzeptuelle Auslotung von Zwischenräumen an der Schwelle zur Signifikation, strukturell vergleichbar den Überlegungen poststrukturalistischer und dekonstruktivistischer Denker bezogen auf Linguistik.

Als historische Bezugspunkte zieht die Autorin Zeichnungen von Sophie Taeuber-Arp ("Mouvements des lignes", 1936) sowie Marcel Duchamps Fadenverspannungen in "Sixteen Miles of String" (1942) heran. Auch Duchamps Readymades liest Leisch-Kiesl, entgegen dadaistischer Deutungen, als Formen konzeptueller Zeichnung. Von hier aus zieht sie eine Linie zu zeichnerischen Positionen der 1960er- und 1970er-Jahre und führt mit Blick auf narrative Ansätze der 1990er-Jahre, zu denen Khedoori zählt, den Begriff "narrative Konzeptkunst" ein (302). Den Begriff der "ZeichenSetzung" erprobt sie als "neues Theorem" der Bedeutungsgenerierung zwischen Bild und Zeichen (85, 178).

In ihrer Auffassung des Zeichnerischen als einer hypothetischen Form sieht sich die Autorin durch Überlegungen der Künstlerin und Theoretikerin Emma Cocker bestätigt, die schreibt: "The hypothesis is often considered as a preliminary or preparatory phase within a given enquiry; it creates the premise for something to follow where it is perceived as being always antecedent to something else." [1] Ein weiterer wichtiger theoretischer Bezugspunkt ist Charles Sanders Pierce' dynamisches Zeichenmodell und die Vorstellung einer "unabschließbaren Semiose" (305) sowie, vor allem, Jacques Derrida.

Leisch-Kiesl wendet Derridas Begriffe "différance" und "brisur" aus "De la grammatologie" (1967) auf das Bildliche an. Analog zu Derridas "il n'y a pas de hors-texte" formuliert die Autorin: "Ein Bild-Äußeres gibt es nicht." Es gibt "keine Bedeutung, die dem Spiel von Linien und Weißraum entkommen könnte. Und dieses Spiel ist unabschließbar." (270) Die Besonderheit des Bildlichen liegt für die Herausgeberin des ökumenischen Magazins "Kunst und Kirche" nicht in Differenzmystik, sondern in der Art, in der Bilder "Denkbewegungen" evozieren. Ein Fazit lautet: Bedeutung und Relevanz gewinnen Werke "im Raum des Bildes, der nicht zuletzt der Raum der Betrachterin ist" (181).

Im Wechsel von Bildbetrachtungen, kunsthistorischen Exkursen und der Klärung von Stichworten wie "marks/Zeichen", "das Konzeptive - das Narrative" oder "Raum und Zeit" in eigenen Unterkapiteln steuert die Studie auf eine zunehmende Engführung von Semiotik und Phänomenologie zu. Es geht gewissermaßen um eine Weiterführung des lingustic turn mit ikonologischen Mitteln. Als category boundary dient hierbei der Begriff des "Zeichens", als philosophischer Bezugspunkt Jacques Derridas Nachdenken über Übergänge von Lauten zu Bedeutungen und von Spuren zu Zeichen.

Die vielfältigen Theoriefäden, an denen die Autorin zieht, machen es nicht immer leicht, der Argumentationslinie zu folgen. Bei der Derrida-Lektüre fällt auf, dass die Autorin die mit dessen Differenzdenken verbundene politisch-polemische Dimension, seine Abendland- und Phonozentrismuskritik, die für die postkoloniale Derrida-Rezeption relevant wurde, außen vor lässt. Dazu passt auch, dass sich die Studie methodologisch explizit gegen die kontextualisierenden Visual Studies richtet und als Entkräftung insbesondere der "Einwände" von Silke Wenk / Sigrid Schade [2], die gegen autonome Bildlektüren gerichtet sind, angelegt ist (146). Leisch-Kiesl möchte belegen, dass bildzentrierte Betrachtung (die Konzentration auf "Artefakte") nicht Re-Mythisierung der Bildermacht, Rückfall hinter den linguistic turn und Kontextvergessenheit bedeutet (149).

Aufgrund dieser (methodologischen) Vorentscheidungen und Präferenzen nehmen politische und ökonomische Fragen nach Kunstproduktion, Zirkulation, Wertgenerierung, Interkulturalität etc. in der Studie nur einen geringen Stellenwert ein. Vor allem bleibt die Frage nach Einflüssen von Kunstmarktmechanismen unberücksichtigt, obwohl diese auch im Fall der Arbeiten Kehdooris nicht irrelevant erscheint, einer Künstlerin, die mit museumskompatiblen Großformaten arbeitet, politische Anklänge vermeidet, von der einflussreichen Galerie Zwirner vertreten wird und am Kunstmarktstandort Basel ihr Europadebüt hatte (2001 mit einer Einzelausstellung im dortigen Kunstmuseum).

Zur Frage nach visuellen Kodes bei Khedoori schreibt Leisch-Kiesl nur knapp: "Sie agiert in gegenwärtigen gesellschaftlichen und kulturellen Welten, doch sie fragt nicht nach den Mechanismen einer global gewordenen Kunstwelt. Ihre Zeichen jedoch - Häuser, Fenster, Türen, Treppen, Holzblöcke etc. - scheinen mit einer allgemeinen, wenn man so will 'globalen' Verständlichkeit zu operieren. Sie operiert jedoch mit einer Zeichensprache, schlagwortartig formuliert, jenseits von Coca Cola und Halbmond" (190).

Die Stärke der Studie liegt weniger darin, eine wesentlich neue Sicht auf Kehdooris Zeichnungen zu liefern, als vielmehr in interessanten Parallelisierungen von zeitgenössischer Kunst und Philosophie. Eine Besonderheit des Buches liegt in der für akademische Publikationen seltenen experimentellen Verbindung von Inhalt und Form. Der Text vollführt bis zu einem gewissen Grad zeichnerisch-hypothetische Suchbewegungen und scheint sich im Dialog mit den abgebildeten Zeichnungen gewissermaßen spazierengehend zu bewegen. Experimenteller Natur ist auch ein fingiertes Gespräch "auf Augenhöhe" zwischen Derrida und Khedoori. Die großformatigen Zeichnungen sind in dem bibliophil gestalteten Buch so wiedergegeben, dass sie über Kanten kippen und auf diese Weise interessante optische Zwischenräume öffnen.


Anmerkungen:

[1] Emma Cocker: Distancing the If and Then, in: Drawing a Hypothesis, ed. by Nikolaus Gansterer, Wien / New York 2011, 98.

[2] Sigrid Schade / Silke Wenk: Studien zur visuellen Kultur. Einführung in ein transdisziplinäres Forschungsfeld, Bielefeld 2011, 8-9.

Johanna Di Blasi