Thomas Großmann: Fernsehen, Revolution und das Ende der DDR (= Medien und Gesellschaftswandel im 20. Jahrhundert; Bd. 3), Göttingen: Wallstein 2015, 296 S., 56 Abb., ISBN 978-3-8353-1596-9, EUR 34,90
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Seit dem 20. Jahrestag der Friedlichen Revolution ist eine große Anzahl wichtiger Studien erschienen, die dieses Schicksalsereignis aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln beleuchten. Hier reiht sich die überzeugende Dissertation von Thomas Großmann ein, die das Verhältnis von Revolution, Medien (besonders das Fernsehen) und dem Sturz der Diktatur analysiert.
Großmann wendet konsequent den Begriff Revolution für die von ihm beschriebenen Ereignisse an, da er die Meinung vertritt, dass dieser sich in den wissenschaftlichen Diskursen endgültig durchgesetzt habe. Dem ist bezogen auf Diskussionen unter Wissenschaftlern weitgehend zuzustimmen. Allerdings ist gerade in der Alltagskommunikation noch ein langer Weg zurückzulegen, bis der Begriff "Wende" zurückgedrängt werden kann. Der Autor jedenfalls argumentiert bezogen auf die Revolution in der DDR stringent, nur eine stärkere Differenzierung des Begriffs "Kirche" wäre wünschenswert, da es im Verhalten der evangelischen Landeskirchen und der katholischen Kirche zur SED-Diktatur erhebliche Unterschiede gab.
Argumentationssicher ist der Autor dagegen bei seinem eigentlichen Thema, der Rolle des Fernsehens als politisches und gesellschaftliches Leitmedium in einem wichtigen kommunikativen Rahmen, in dem sich Gründe, Verlauf und Ergebnisse der Revolution erklären lassen. Hier gelingt es ihm zu zeigen, dass das bundesdeutsche Fernsehen eine erhebliche Rolle dabei spielte, die Ostdeutschen über die Fluchtwelle im Sommer 1989, die sich entwickelnden Demonstrationen und die Brutalität des kommunistischen Systems zu informieren. Dies war möglich, weil es zwischen den beiden deutschen Staaten keine sprachlichen Grenzen und keinen grundlegenden kulturellen Unterschied gab. So hat Großmann Recht, wenn er von einer Parallelität zwischen realen Ereignissen und ihrer medialen Verstärkung ausgeht. Ohne das Fernsehen der Bundesrepublik hätten sich die Ereignisse im ostdeutschen Teilstaat sicher anders und nicht so schnell vollzogen. Allerdings wird auch klar, dass die Frage danach, wie sich die Ereignisse - ohne mediale Verstärkung - wirklich entwickelt hätten, letztlich nicht beantwortet werden kann. Sicher ist dagegen, dass der Einfluss des bundesdeutschen Fernsehens auf die Revolution in der DDR größer war, als gemeinhin angenommen wird.
Wichtig waren dabei die Delegitimation der Staatsgewalt durch Aufzeigen der Brutalität ihrer Polizei und die erodierende Wirkung auf die SED-Herrschaft in der Provinz, ohne die die Revolution jedenfalls nicht so schnell hätte erfolgreich sein können. Aufschlussreich sind ebenfalls die von Großmann vermittelten Einblicke in das Innenleben der DDR-Medien, die sich entsprechend kommunistischer Grundüberzeugungen zuerst als "kollektiver Organisator" verstanden, als solcher aber unfähig waren, auf Änderungen im System adäquat zu reagieren, und so letztlich zum Niedergang der Diktatur beitrugen. In dieses Umfeld gehört auch die Beschreibung des Loyalitätsverlustes jüngerer Journalisten gegenüber der SED - ein Wandel der im DDR-Fernsehen besonders bei der "Aktuellen Kamera" deutlich wird.
Großmann vermittelt wichtige Erkenntnisse über die innere Struktur und die Machtmechanismen der SED-Diktatur sowie über deren zunehmenden Realitätsverlust als wesentlichen Grund für ihren Verfall. Allerdings übersieht er hierbei, dass sich ein nicht unerheblicher Teil der Bevölkerung bis zu deren Ende loyal zur DDR verhielt und nicht wenige Menschen grundsätzlich begeisterte (wenn auch letztlich resignierende) Kommunisten blieben.
Beeindruckend ist auch die Beschreibung der Opposition und ihres Weges zu einer zeitweiligen Mobilisierung zivilgesellschaftlicher Strukturen und Aktionen, die allerdings mit dem Aufscheinen der Möglichkeit der deutschen Wiedervereinigung in keiner Weise mehrheitsfähig waren. Der dynamischen Entstehung einer neuen Öffentlichkeit stand schließlich das Scheitern der SED-"Dialog-Politik" gegenüber. Wie auch verschiedene andere Autoren betont Großmann Leipzig als Schwerpunkt der Entwicklung zur Revolution und die Bedeutung der - allerdings weit mehr als - 70.000 Demonstranten am 9. Oktober 1989. Hier ist es besonders wichtig, dass er die Rolle der Bürgerbewegung mit ihrem Aufruf zur Gewaltlosigkeit an diesem Tag hervorhebt, hinter dem die über den Stadtfunk verlesene Erklärung der "Leipziger Sechs" um den Gewandhauskapellmeister Kurt Masur in ihrer Wirkung zurücktrat.
Bei dem darauf folgenden Perspektivenwechsel des Autors nach Berlin ist sicher richtig, dass es den Fall der Mauer ohne die Medien so schnell nicht gegeben hätte. Aber ohne die Demonstranten auf den Straßen in vielen Städten und Orten der DDR in den Wochen davor wäre die Mauer nicht von zehntausenden Menschen letztlich eingedrückt worden. Denn ohne Vorgeschichte hätten sich diese trotz der Fernsehmeldungen über die Ereignisse um die Mauer vermutlich nicht auf den Weg gemacht. Richtig ist dagegen, dass auch nach Öffnung der Grenze die Revolution weiterging und sowohl die Zahl der Demonstrationen als auch die der Teilnehmer bis zum Jahresende zunahmen.
Der vergleichende Blick auf Ostmitteleuropa, den der Autor in Ansätzen wagt, wird oft gefordert aber selten realisiert. Hier gibt es weiteren Forschungsbedarf. Letztlich muss das Ziel dabei eine transnationale Perspektive sein. Auch die Feststellung, dass einer Revolution immer eine kommunikative Verdichtung vorausgeht, ist bedenkenswert und könnte der Ausgangspunkt weiterer Forschungen sein. Dagegen geht die These, dass es sich 1989/90 um eine "Fernsehrevolution" gehandelt habe, wohl zu weit. Aber besonders das bundesdeutsche Fernsehen schuf eine politische und gesellschaftliche Realität, die der Entwicklung weit voraus war. Hier hat Großmann zweifellos Recht.
Rainer Eckert