Carolyn Higbie: Collectors, Scholars, and Forgers in the Ancient World. Object Lessons, Oxford: Oxford University Press 2017, XIX + 276 S., 8 Farb-, 33 s/w-Abb., ISBN 978-0-19-875930-0, GBP 65,00
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John Marincola / Lloyd Llewellyn-Jones / Calum Maciver (eds.): Greek Notions of the Past in the Archaic and Classical Eras. History without Historians, Edinburgh: Edinburgh University Press 2012
Die Erforschung objektbezogener Erinnerungspraktiken hat in den zurückliegenden Dekaden eine starke Blüte erlebt. [1] Carolyn Higbie gebührt dabei das Verdienst, sehr früh mit maßgeblichen Beiträgen hervorgetreten zu sein und mit ihrer Monographie zur Tempelchronik von Lindos die maßgebliche Behandlung einer Schlüsselquelle vorgelegt zu haben. [2] Darauf aufbauend wandte sie ihr Interesse in jüngerer Zeit den wechselseitig verflochtenen Phänomenen des Sammelns und des Fälschens zu. [3] Das hier zu besprechende Buch stellt demnach einen Überblick über die Ergebnisse einer langjährigen Forschungstätigkeit dar.
Der Band enthält neben Einleitung und Schluss vier Kapitel, die den Sammlern und Sammlungen (21-78), den Fälschungen von Bildwerken (79-131), den Fälschungen von Texten (132-185) sowie den "Fälschungen" der Vergangenheit (186-229) gewidmet sind. In jedem dieser Kapitel ist die Diskussion der antiken Befunde eingebettet in die Vorstellung analoger Phänomene aus neuerer Zeit, vornehmlich dem England des 18. und 19. Jahrhunderts. Dieses Herangehen ist grundsätzlich zu begrüßen und könnte weiterführende Perspektiven eröffnen: Zum einen bieten die Analogien aus besser dokumentierten Zeiten Modelle, die unter Umständen unser Verständnis der nur allzu fragmentarischen antiken Überlieferung verbessern können. Zum anderen ermöglicht erst der explizite historische Vergleich die angemessene Würdigung von Kontinuitäten und zeitspezifischen Besonderheiten. Ein solcher systematischer Vergleich wird freilich von Higbie selbst nur in Ansätzen unternommen, eher bleibt es bei einem Nebeneinander der Zeitebenen. Bei der Diskussion von auf den ersten Blick eher disparaten Villenausstattungen (116-118) hätte sich beispielsweise ein ausführlicherer Vergleich mit neuzeitlichen Palästen und Herrenhäusern angeboten.
Ohne Zweifel handelt es sich bei Higbies Monographie um ein gut geschriebenes und sehr lesbares Buch, das eine Vielzahl interessanter Themen berührt. Da jedoch fast alles gesammelt (und gefälscht) werden kann, da der Begriff der "Sammlung" noch unbestimmter ist als der des Sammlers (muss eine Sammlung Ergebnis einer bewussten Sammlungstätigkeit sein?), da im Hinblick auf den Erinnerungswert Sammlungsobjekte kaum von sonstigen materiellen Überresten und Gräbern zu trennen sind, erweist sich eine scharfe Abgrenzung des Themas als außerordentlich schwierig. Entsprechend werden auf 244 Seiten Text neben vielem anderen Künstlersignaturen und die Entwicklung einer Kunstgeschichte in der Antike, philologische Textkritik und Konzepte von Autorschaft, aber auch Testaments- und Münzfälschungen abgehandelt. Dies ist grundsätzlich gewiss nachvollziehbar und relevant, nur scheint der Umfang des Buches im Verhältnis dazu doch zu knapp bemessen. Im Detail gerät die Darstellung daher immer wieder eher oberflächlich.
Ein konkretes Beispiel mag dies illustrieren: Im Zusammenhang mit Testamentsfälschungen kommt Higbie auf Suet. Nero 17 zu sprechen, wo es heißt: adversus falsarios tunc primum repertum, ne tabulae nisi pertusae ac ter lino per foramina traiecto obsignarentur. Higbie erklärt dazu, ihr sei unklar, "[h]ow the tablets bound with a cord were to prevent forgery" (178). Eine weiterführende Recherche zeigt schnell, dass die von Sueton berichtete Neuerung eine ausführliche Erläuterung in den pseudo-paulinischen sententiae receptae (5,25,6) findet: amplissimus ordo decrevit eas tabulas, quae publici vel privati contractus scripturam continent, adhibitis testibus ita signari, ut in summa marginis ad mediam partem perforatae triplici lino constringantur atque impositae supra linum cerae signa imprimantur, ut exteriori scripturae fidem interior servet. Das Beglaubigungsprinzip war demnach grundsätzlich dasselbe wie bei den Militärdiplomen: Die tabulae enthielten den Text als Doppelurkunde zweifach auf Innen- und Außenseite, so dass die Authentizität des äußeren Textes bei Bedarf durch Eröffnung des versigelten Innentextes überprüft werden konnte. Die Sicherheit der Versiegelung wurde dadurch erhöht, dass die Tafeln nicht mehr nur umwickelt wurden, sondern die Fäden durch Bohrungen geführt wurden. Damit war es ohne Erbrechen des Siegels nicht möglich, dem Konvolut Tafeln zu entnehmen und wieder hinzuzufügen. Diese Zusammenhänge wären bei einer vertieften Auseinandersetzung mit Heranziehung einschlägiger Forschungsliteratur leicht zu ermitteln gewesen. [4]
Der geschilderten Beschränkung des Umfangs ist es wohl auch geschuldet, dass der umfassende Bezug auf die "ancient world" im Titel nur eingeschränkt eingelöst wird: Die Spätantike bleibt (übrigens ohne explizite Begründung) konsequent ausgeblendet, obwohl die Musealisierung von Tempeln und Götterbildern infolge der Christianisierung hier ihren Höhepunkt erlebte und mit Lausos ein prominenter Sammler greifbar ist. [5]
Diese Kritikpunkte wären verzeihlich, wenn die Gegenstände des Buches wirklich neu wären. Dies ist aber nicht der Fall: Vielmehr ist es so, dass Higbie sich in einem intensiv bearbeiteten Feld bewegt. Literaturverzeichnis und Fußnoten offenbaren allerdings, dass die nicht-englischsprachige Forschung kaum zur Kenntnis genommen und jedenfalls nicht verarbeitet wurde. [6] Man wird demnach konstatieren müssen, dass Higbies Buch schon vom Umfang her weder den Versuch einer erschöpfenden Behandlung des Gegenstands darstellt, noch mit Blick auf die herangezogene Literatur einen adäquaten Überblick über den Stand der internationalen Forschung verschafft. Wertvoll ist es demnach vor allem als kompakter Aufriss des Problemfeldes für diejenigen, die sich neu in die Thematik einarbeiten wollen. Ferner liefert es interessante Anregungen für epochenbergreifende Vergleiche, die durch das Buch selbst noch keineswegs ausgeschöpft sind.
Anmerkungen:
[1] Ich beschränke mich auf die Nennung einiger monographischer Beiträge: Susan E. Alcock: Archaeologies of the Greek past. Landscape, monuments, and memories (The W. B. Stanford memorial lectures), Cambridge 2002; John Boardman: The archaeology of nostalgia. How the Greeks re-created their mythical past, London 2002; Alexandria Bounia: The nature of classical collecting. Collectors and collections, 100 BCE-100 CE (Perspectives on collecting), Aldershot, Burlington 2004; Andreas Hartmann: Zwischen Relikt und Reliquie. Objektbezogene Erinnerungspraktiken in antiken Gesellschaften (Studien zur Alten Geschichte; 11), Berlin 2010; Nicola Zwingmann: Antiker Tourismus in Kleinasien und auf den vorgelagerten Inseln (Antiquitas: Reihe 1, Abhandlungen zur alten Geschichte; 59), Bonn 2012. Ferner wäre auf die zahlreichen Arbeiten zu Autoren wie Plinius d. Ä. und Pausanias zu verweisen, die deren Beschreibungen von Monumenten und Kunstwerken thematisieren.
[2] Carolyn Higbie: The bones of a hero, the ashes of a politician: Athens, Salamis, and the usable past, in: Classical Antiquity 16 (1997), 278-307; Carolyn Higbie: Craterus and the use of inscriptions in ancient scholarship, in: Transactions of the American Philological Association 129 (1999), 43-83; Carolyn Higbie: The Lindian chronicle and the Greek creation of their past, Oxford 2003.
[3] Carolyn Higbie: Greeks and the forging of Homeric pasts, in: Brita Alroth / Charlotte Scheffer (eds.): Attitudes towards the past in Antiquity. Creating identities. Proceedings of an International Conference held at Stockholm University 15-17 May 2009 (Stockholm Studies in Classical Archaeology; 14), Stockholm 2014, 9-19.
[4] Die nächstliegende Anlaufstelle wäre Leopold Wenger: Art. signum, in: RE II A.2 (1923), Sp. 2408-2430 gewesen. Aus neuerer Zeit vgl. Elizabeth A. Meyer: Legitimacy and law in the Roman world. Tabulae in Roman belief and practice, Cambridge 2004, 163-168.
[5] Vgl. Helen Saradi-Mendelovici: Christian attitudes toward pagan monuments in late antiquity and their legacy in later Byzantine centuries, in: Dumbarton Oaks Papers 44 (1990), 47-61; Cyril Mango / Michael Vickers / Eric D. Francis: The palace of Lausus at Constantinople and its collection of ancient statues, in: Journal of the History of Collections 4 (1992), 89-98; S. Bassett: "Excellent offerings": the Lausos collection in Constantinople, in: Art Bulletin 82 (2000), 6-25.
[6] Bezeichnend ist, dass die für das Problem der Fälschungen grundlegende Arbeit von Wolfgang Speyer: Die literarische Fälschung im heidnischen und christlichen Altertum. Ein Versuch ihrer Deutung (Handbuch der Altertumswissenschaft; 1,2), München 1971 nur an zwei Stellen summarisch genannt wird (3 und 17 Anm. 54). Grundlegende ältere Arbeiten wie Friedländers Sittengeschichte oder Friedrich Pfister: Der Reliquienkult im Altertum. 2 Bände (Religionsgeschichtliche Versuche und Vorarbeiten; 5), Gießen 1909-1912 sucht man im Literaturverzeichnis vergeblich. Dasselbe gilt für den wichtigen Aufsatz Tanja Susanne Scheer: Ein Museum griechischer "Frühgeschichte" im Apollontempel von Sikyon, in: Klio 78 (1996), 353-373 und meine eigene Monographie (s. Anm. [1]). Auch im Einzelnen macht sich diese Ausblendung wesentlicher Forschungsbeiträge bemerkbar: Die Diskussion des Umgangs mit Götterbildern (68) hätte etwa von einer Kenntnis der deutschsprachigen Arbeiten zum Thema stark profitiert: Tanja Susanne Scheer: Die Gottheit und ihr Bild. Untersuchungen zur Funktion griechischer Kultbilder in Religion und Politik (Zetemata; 105), München 2000; Peter Eich: Gottesbild und Wahrnehmung. Studien zu Ambivalenzen früher griechischer Götterdarstellungen (ca. 800 v.Chr.-ca. 400 v.Chr.) (Potsdamer altertumswissenschaftliche Beiträge; 34), Stuttgart 2011. Für die Konzeptionalisierung der "Fälschung" der Vergangenheit hätte Gehrkes Konzept der "intentionalen Geschichte" hilfreich sein können: dazu zusammenfassend Hans-Joachim Gehrke: Geschichte als Element antiker Kultur. Die Griechen und ihre Geschichte(n) (Münchner Vorlesungen zu antiken Welten; 2), Berlin 2014.
Andreas Hartmann