Andreas Kamp: Vom Paläolithikum zur Postmoderne - Die Genese unseres Epochen-Systems. Bd. II: Das 18. und 19. Jahrhundert (= Bochumer Studien zur Philosophie; Bd. 56), Amsterdam: John Benjamins 2015, IX + 326 S., ISBN 978-90-272-1466-9, EUR 110,00
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János Kalmár / János J. Varga (Hgg.): Einrichtungswerk des Königreichs Hungarn (1688-1690), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2010
Sophus A. Reinert: Translating Empire. Emulation and the Origins of Political Economy, Cambridge, MA / London: Harvard University Press 2011
Volker Caspari (Hg.): Kameralismus und Merkantilismus. Studien zur Entwicklung der ökonomischen Theorie XXXIX, Berlin: Duncker & Humblot 2022
Bei dem anzuzeigenden Buch handelt es sich um den zweiten einer inzwischen auf drei Bände hin konzipierten Begriffsgeschichte von 'Epoche' von der Antike bis in Gegenwart. Diese Information ist wichtig, da der Band ohne größere Erläuterungen direkt in medias res geht. Die zweieinhalbseitige Einleitung referiert den im vorherigen Band erreichten Stand der begriffsgeschichtlichen Untersuchung um 1700 und stellt das weitere Forschungsprogramm näher vor. Dies ist geographisch-linguistisch breit, untersucht Kamp doch die Entwicklung des Begriffs im Englischen, Französischen, Deutschen, Italienischen, Spanischen und Portugiesischen, im ersten und den letzten beiden Fällen jeweils mit Blick auf eventuell divergierende Entwicklungen in den jeweiligen nicht-europäischen Sprachgebieten. Angesichts dieser Aufgabe liegt eine Begrenzung nahe, die der Autor vor allem für das 19. Jahrhundert anwendet. Untersucht er zuvor noch sowohl die lexikographische Ebene als auch die Begriffsverwendung bei ausgewählten Autoren, fällt letzteres danach mit Ausnahme der Fallbeispiele Brasilien und Mexiko weg. Dies hat jedoch nicht nur arbeitsökonomische, sondern auch systematisch Gründe: Sobald die verschiedenen Bedeutungen und dabei insbesondere die moderne zeiträumliche Bedeutung von Epoche lexikalisch greifbar werden, erscheint dem Autor der Nachweis dieser Verwendungen im nicht-lexikalen Bereich redundant.
Im 18. Jahrhundert, das der erste Teil des Buches behandelt, besteht jedoch noch eine offenkundige Spannung zwischen textlicher Begriffsverwendung und den lexikalischen Definitionen. Inwieweit es sich hierbei lediglich um eine verzögerte Übernahme neuer Bedeutungsebenen in die Lexikographie oder um eine explizite Abwehrhaltung insbesondere linguistischer Lexika gegen eine falsche Begriffsverwendung handelt, thematisiert Kamp leider nicht. Für beide Lesarten findet sich Material, nicht zuletzt Johann Christoph Gatterers zitierte Warnung: "Die Wörter, Epoche und Aere, oder auch Epoche und Periode für gleichbedeutend zu gebrauchen, ist zwar nicht ungewöhnlich, aber doch wider den richtigen Sprachgebrauch in der Zeitkunde." (69) Gatterer fasst damit konzise eine der Entwicklungen seines Jahrhunderts zusammen, wie sie Kamp herausgearbeitet hat: Gegenüber zuvor wichtigen Bedeutungsebenen (etwa in der skeptischen Philosophie oder der Astronomie) setzte sich das historisch-chronologische Konzept nun endgültig und vollständig durch. Dabei galt Epoche als Zeitpunkt, bei dem eine Zeitrechnung ansetze. Vor allem englische und französische Lexika - nicht zuletzt die Cyclopedia und die Encyclopédie - verwendeten den Begriff jedoch implizit bereits für Zeiträume, was in Deutschland und Südeuropa seltener vorkam. Gebildete Autoren der zweiten Jahrhunderthälfte, von Voltaire und Rousseau bis zu Herder und Schiller, hielten sich aber nicht an Gatterers Warnung, sondern verwendeten den Begriff kommentarlos zeiträumlich, wie es in England schon in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts üblich geworden war.
Daneben untersucht Kamp das Wesen und die Rechtfertigung der Epochen, seien es Zeitpunkte oder -räume. Klassisch sind religiöse (Christi Geburt, Hidschra) oder politische, seit Voltaire dann auch kultur- oder literaturhistorische Epochen. Nur wenige Autoren entwerfen kontinuierliche Epochenfolgen zur Ordnung der Gesamt- bzw. Nationalgeschichte. Reflexion über Epochen fand v.a. in Lexika statt, sie werden insbesondere als national definiert angesehen, d.h. sie sind für jede Nation unterschiedlich; es gibt eine Vielfalt an Epochen, die willkürlich gesetzt werden, wie Kritiker von Portugal bis Deutschland bemängeln. Trotz der Verweise auf die christliche Zeitrechnung ist Epoche im Verständnis des 18. Jahrhunderts somit etwas Trennendes; unsere spätestens seit Cellarius (im 1. Bd. behandelt) benannten Großepochen erscheinen zeitgenössisch nicht unter dem Begriff Epoche.
Die zweite Hälfte des Bandes befasst sich dann mit der Lexikographie des 19. Jahrhunderts. Das Ausblenden der Autorenstimmen macht diesen Teil weniger vielfältig und interessant, vor allem weil die geschilderte Entwicklung vorhersehbar erscheint. In allen untersuchten Sprachen befindet sich die zeiträumliche Verwendung auf dem Vormarsch, auch wenn sich die Zeitpunkte ihrer Lexikalisierung unterscheiden. Einen endgültigen Wendepunkt kann man um 1850 konstatieren. Die älteren Bedeutungen tauchen noch seltener auf, höchstens gegen Ende des Jahrhunderts wieder in gelehrt-historisierender Manier. Als neue - zeiträumliche, aber naturwissenschaftliche - Kategorie, hält die geologische Epoche Einzug. Die Reflexion darüber, was Epoche eigentlich (geschichts-)philosophisch überhaupt sei, nimmt gegenüber dem 18. Jahrhundert offenbar noch ab, wobei der Autor wiederum nicht thematisiert, inwieweit das auch an einer Veränderung der Lexika liegen könnte.
Mit dem Stichwort Geschichtsphilosophie sind wir an einem springenden Punkt für die Charakteristik und vielleicht auch Bewertung des vorliegenden Werkes angekommen. Historiographiehistorikern und Geschichtsphilosophen steht mit Kamps Werk eine vollständige und gut gegliederte Begriffsgeschichte von 'Epoche' zur Verfügung, die ein seltenes pan(west-)europäisches Panorama aufmacht. Allerdings wird ein Großteil jener, die ein Buch über die "Genese unseres Epochen-Systems" im 18. und 19. Jahrhundert in die Hand nehmen, bestimmte Elemente erwarten: mit Sicherheit eine Auseinandersetzung mit der Koselleckschen Verzeitlichung, vielleicht Hegelsche Geschichtsphilosophie, vielleicht romantisches Mittelalterbild oder die institutionelle Differenzierung historischer Teilfächer. Von all dem findet man hier nichts. Der Autor übt sich dagegen in einer extremen Deutungszurückhaltung; er enthält sich jeder Spekulation darüber - oder soll man sagen: Erklärung dessen -, was er präsentiert, der temporalen Entwicklung, der nationalen Unterschiede usw. Das ist - insbesondere für eine so vielsprachig angelegte - Begriffsgeschichte nicht ehrenrührig. Wissenschaft ist ein kollaboratives Geschäft, das gerade auf der mühsamen empirischen Erschließung und Zur-Verfügung-Stellung des bislang Unbekannten basiert.
Doch in einem Punkt lässt sich die Deutungszurückhaltung nicht mehr mit einer bewussten methodischen Engführung rechtfertigen, nämlich bei der Frage nach dem Verhältnis des Begriffs Epoche zur "Genese unseres Epochen-Systems", die ja laut Buchtitel erhellt werden soll. In seiner Zusammenfassung zum 18. Jahrhundert äußert der Autor: "In allen führenden Volkssprachen hatte sich definitorisch eine überwältigende Dominanz des chronologisch-historischen Konzepts etabliert. Und überall fungierte es als das Ordnungsprinzip der Geschichte. Eine fundamentale Voraussetzung für die Entwicklung unserer heutigen Systematik war somit bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts bereits flächendeckend erfüllt." (129) Im ersten Band ließ er jedoch die konventionelle Dreiteilung klassisch mit Petrarca und dann explizit mit Cellarius einsetzen, ohne hier den spezifischen Begriff 'Epoche' vorauszusetzen. Wieso ein zeiträumliches Verständnis des Begriffs Epoche notwendig sein soll, wo es mit Ära, Periode, Zeitalter, Age/Âge doch Alternativen gab, wird nicht geklärt. Zudem ist es erstaunlich, dass ein so sprachsensibles Werk die Frage nicht aufgreift, ob der Begriff in all den untersuchten Sprachen eigentlich die exakt gleiche Bedeutung oder die gleiche Relevanz für die jeweiligen Historiographien hat. Hoffentlich sind all solche Fragen in den abschließenden dritten Band ausgelagert, dem wir insofern tatsächlich "gespannt entgegensehen" (269), wie es hier im letzten Satz heißt.
Justus Nipperdey