Marie-Anna Chevalier / Isabelle Ortega: Élites chrétiennes et formes du pouvoir en Méditerranée centrale et orientale (XIIIe-XVe siècle) (= Rencontres; 318), Paris: Classiques Garnier 2017, 438 S., 8 Farb-, 13 s/w-Abb., 4 Tabl., ISBN 978-2-406-06457-2, EUR 39,00
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Peter Coss / Chris Dennis / Melissa Julian-Jones et al. (eds.): Episcopal Power and Local Society in Medieval Europe, 900-1400, Turnhout: Brepols 2017
Der Band ist aus der gleichnamigen Tagung von 2015 hervorgegangen. In den insgesamt 19 Beiträgen dominiert das Französische, vier Beiträge liegen auf Englisch vor. Die Aufsätze sind in fünf Abschnitten organisiert, von denen der erste Zypern und den lateinischen Orient (17 ff.), der zweite den Adel der Morea (91 ff.), der dritte die neuen und alten Eliten auf dem Balkan (139 ff.), der vierte das armenische Königreich Kilikien (207 ff.) und der fünfte die Italiener im Orient betrachtet (303 ff.). Eine launige Zusammenfassung von Michel Balard (397ff.) schließt den inhaltlichen Teil des Buches ab. Orts- und Personenindices wie auch Résumés auf Französisch und Englisch runden den Band ab.
Die programmatische Einleitung klärt die der Tagung und den Beiträgen zu Grunde liegende Definition des Elitenbegriffs und legt die geographischen Grenzen der Aufsatzsammlung fest (10-12). Damit ist weitestgehend sichergestellt, dass die Beiträge eine Diskussionsgrundlage haben. Die Autoren nehmen zwar nicht explizit auf die eingangs gegebene Definition von Eliten und den geographischen Rahmen Bezug, aber bis auf einige wenige Ausnahmen (etwa 221 ff. zur Abstammung des armenischen Regenten Adam, 251 ff. zur Herkunft von Sonne und Löwe als Symbole der armenischen Buchmalerei seit dem 13. Jahrhundert) ist vollkommen klar, was der betreffende Text beiträgt. Der Leser findet also eine Sammlung von Fallstudien von unterschiedlicher Herangehensweise zum Gegenstand der Eliten, die auf die eine oder andere Weise ineinander greifen. Darunter finden sich Studien zur weiblichen Herrschaft (57-70 zu zwei Frauen aus dem zypriotischen Adel; 109-122 zu ligisch gebundenen Frauen in der Morea), darunter findet sich eine Netzwerkstudie (91-107 zu Netzwerken im Adel der Morea) und Studien, die der modernen Politikgeschichte verpflichtet sind. Wie zu erwarten, berühren viele Beiträge die Kreuzzüge, aber nur einer verfolgt das Zusammenspiel der - neu etablierten - latein-christlichen Elite mit den Ritterorden (139-176).
Dabei kehrt die - angesichts der gegenwärtigen politischen Lage Europas und des vorderen Orients besonders interessante - Frage immer wieder, wie sich (latein-)christliche Eliten in einem konfessionell oder gar religiös anderen Umfeld konstituieren und wie sie funktionieren. Der wohl wichtigste Faktor dabei ist die Interaktion mit der andersgläubigen Bevölkerung - sei sie nun griechisch-orthodox, sei sie melkitisch, armenisch oder muslimisch. Schließlich war die (latein-) christliche Elite drastisch in der Unterzahl. Darauf galt es umständehalber zur Sicherung der eigenen Existenz zu reagieren - bis hin zur Unmöglichkeit, nur innerhalb dieses Kreises Ehen zu schließen.
Es wird durch die Vielzahl der Beiträge deutlich, dass die Aufgeschlossenheit der unterschiedlichen Konfessions- oder Religionsgruppen wesentlich von zwei Faktoren abhing: der grundsätzlichen strukturellen Nähe und der vor allem machtpolitischen, aber auch kulturellen Attraktivität der jeweils anderen Gruppe. Solange das byzantinische Rumpfreich, byzantinisch gefärbte Herrschaften auf dem Balkan oder auch syrische Parteien ausreichend Strahlkraft hatten, waren viele Angehörige der lateinischen Eliten bereit, diese Unterschiede mindestens in Form von Eheschließungen zu überwinden oder sich gar zu assimilieren. Sobald die christlichen Herrschaften im östlichen Mittelmeerraum im späteren 14., vor allem aber im 15. Jahrhundert deutlich ins Hintertreffen gerieten, wurden die muslimischen Potentaten wie auch die Anbindung an die Heimat immer attraktiver. Das wird immer wieder deutlich. Vor allem Brendan Osswald in seinem Beitrag zu den italienischen Herrschern in Epirus (313 ff.) bringt dazu sehr eindrückliche Fallbeispiele - und greift dabei, ohne es ausdrücklich deutlich zu machen, Ergebnisse des Beitrages über die Eheverbindungen des zypriotischen Adels von Nicholas Courwas (17 ff.) auf.
Zwei Aufsätze fallen ein wenig aus dem Rahmen: Während die Masse der Aufsätze den Adel zum Gegenstand hat, geht Philippe Trélat auf universitär gebildete Eliten ein (31-56) und kann nicht umhin, auf präziser Detailkenntnis das allgemeine Verdikt zu bestätigen, dass die latein-christlichen Eliten des östlichen Mittelmeerraums nicht unbedingt zu den Leuchttürmen der Gelehrsamkeit zu zählen waren. Pierre-Joan Bernard bietet als einziger eine Edition: Das Testament der Marguerite de Mategrifon aus dem Jahre 1314 wird mit wenigen textkritischen Anmerkungen vorgelegt.
Sowohl angesichts des gesamten Bandes wie auch insbesondere der jüngeren Netzwerkforschung ist man angesichts des Beitrages einer der Herausgeberinnen zu Netzwerken im moreotischen Adel ein wenig melancholisch berührt, erahnt man doch mehrfach, dass das gewinnbringende Sujet im Falle einer Bearbeitung mit einem weiteren Fokus noch ertragreicher und analytisch schärfer ausgefallen wäre. [1]
Bedauerlicherweise konzentrieren sich in dem Abschnitt zu den Herausforderungen des armenischen Königreichs Kilikien all diejenigen Aufsätze, die den Lesern deutlich mehr Aufmerksamkeit abverlangen als die übrigen Beiträge, um zu erkennen, was sie zur Gesamtdiskussion beitragen (221 ff., 251 ff.). Sie fallen gleichsam mit der Tür ins Haus und thematisieren nicht, inwiefern sie sich mit Konstruktion oder Funktionsweise von Eliten befassen.
Wenn hier angemerkt wird, dass nicht alle Termini der arabischen Rechtssprache mit einer europäischen Bedeutung versehen werden (bspw. djizya, 354, 357), so ist das eine negative Rosinenpickerei: Von sehr wenigen Beispielen abgesehen ist die Anschlussfähigkeit auch für Leser mit einem weniger 'mittelmeerischen' Hintergrund gegeben.
Wenn auch das bestellte Feld sehr breit ist, ist - gerade auch die vollständige - Lektüre sehr erkenntnisreich: Wenn das Vorwort des jeweiligen Aufsatzes das auch nicht expressis verbis ankündigt, ist das Gros der Aufsätze inhaltlich recht eng verzahnt. Die absolute Mehrzahl der Aufsätze ist sehr klar strukturiert und macht eingangs deutlich, was der Leserschaft wie auf welcher Grundlage geboten wird.
Anmerkung:
[1] Für die deutsche Forschung sei nur exemplarisch verwiesen auf Robert Gramsch: Das Reich als Netzwerk der Fürsten. Politische Strukturen unter dem Doppelkönigtum Friedrichs II. und Heinrichs (VII.), 1225-1235 (= Mittelalter-Forschungen; 40), Ostfildern 2013.
Andreas Kistner