Hannes Ziegler: Trauen und Glauben. Vertrauen in der politischen Kultur des Alten Reiches im Konfessionellen Zeitalter (= Kulturgeschichten. Studien zur Frühen Neuzeit; Bd. 3), Affalterbach: Didymos-Verlag 2017, 398 S., ISBN 978-3-939020-44-8, EUR 54,00
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Wer sich in die Vorgeschichte des Dreißigjährigen Krieges einliest, wird in neueren Überblickswerken darüber informiert, dass seit den 1580er Jahren das Misstrauen zwischen den Konfessionsparteien im Reich zunahm: "Das politische Grundvertrauen schwindet dahin," formulierte Axel Gotthard vor kurzem. [1] Dieser Vertrauensverlust dürfte in der Forschung unstrittig sein: Er machte die befriedende Wirkung des Augsburger Religionsfriedens nach und nach zunichte, trug erheblich zur Lähmung des Reiches als politisches System und endlich zur Eskalation der Konflikte 1618/19 bei. Phänomene wie Vertrauen und Misstrauen sind allerdings naturgemäß nicht leicht fassbar oder gar messbar (oder in einer Lehrveranstaltung darstellbar). Die vorliegende Münchner Dissertation stellt sich der Herausforderung, das 1555 etablierte Vertrauen und dessen spätere Erosion vertieft zu verstehen; und es sei vorweg bemerkt, dass der Autor Hannes Ziegler diese Herausforderung auf vorbildliche Weise gemeistert hat.
In der informativen Einleitung (7-32) führt Ziegler in das Thema und die methodischen Probleme ein. Ausgangspunkt ist der Quellenbefund, dass "Vertrawen" seit den 1540/50er Jahren oft erscheint, wenn es um die konfessionspolitischen Probleme im Reich ging. Ziegler konstatiert, dass das "Schlagwort 'Vertrawen' häufig den Klang eines überkonfessionellen Ideals politischer Einigkeit" (8) gehabt habe. Dieser argumentativen Verwendung des Vertrauensbegriffs geht er nach - vornehmlich in Reichstagsakten, in der Korrespondenz zu reichspolitischen Problemen ca. 1555-1618 und in der Publizistik jener Zeit. "Wer von Vertrauen sprach, der konnte es aktiv erzeugen und er konnte es gezielt zerstören," formuliert er programmatisch und zutreffend gleich am Anfang (8). Ziegler ist sich aber darüber im Klaren, dass es um Vertrauen nicht nur dort ging, wo ausdrücklich dieser Begriff und eng verwandte Begriffe ("gute Correspondenz", "Trauen und Glauben") erscheinen (13). Und so ergänzt er den begriffsgeschichtlichen Ansatz um die gezielte Frage nach der "performativen Funktion von Vertrauen in Korrespondenzen oder Verhandlungen" (18). Anders formuliert: Wie sah in Briefwechsel und Verhandlungen das aus, was wir heute als vertrauensbildende Maßnahmen bezeichnen würden? Das potentielle Quellenmaterial ist so umfangreich, dass eine Konzentration unbedingt notwendig war; Ziegler hat sich dafür entschieden, vor allem mit kursächsischen Quellen zu arbeiten - eine gute Wahl. Denn dem albertinischen Kursachsen fiel nach 1555 eine Schlüsselrolle im konfessionell gespaltenen Reich zu, gerade im Beziehungsgeflecht zwischen Kaiser, Kurfürsten und weiteren wichtigen Fürsten. Kurfürst August, der schon beim Augsburger Religionsfrieden eine wesentliche Rolle gespielt hatte, war bis zu seinem Tod 1586 derjenige, der in permanentem Kontakt mit dem Kaiser und anderen Fürsten eine "Sprache des Vertrauens" (69) pflegte, um die durch den Religionsfrieden geordnete "politische Koexistenz unter den Bedingungen religiöser Differenz" (70) zu erhalten. Diese Bedeutung Augusts wird gerade in Teilen von Kap. 2 und Kap. 6 erkennbar.
Die Gliederung folgt insoweit der Chronologie, als meist ausgewählte Etappen der konfessionspolitischen Entwicklung im Reich von der zweiten Hälfte der 1550er Jahre bis an die Schwelle des Dreißigjährigen Krieges absolviert werden. In den systematisierenden Überschriften der Kapitel 2 bis 8 erscheint die chronologisch orientierte Ereignisgeschichte jedoch zurecht kaum: Denn sie ist vor allem der knapp - manchmal vielleicht zu knapp - skizzierte Hintergrund, dessen Kenntnis die gezielte Untersuchung von Vertrauen ermöglicht. Diese Untersuchung findet Schritt für Schritt in vielen Facetten und stets auf hohem Reflektionsniveau statt. Das beginnt mit der Entstehung von "Vertrauen" als Vokabel der politischen Sprache des Reiches in den 1540/50er Jahren (Kap. 2); in Kap. 3 werden vor allem Schwendis und Erstenbergers Beiträge zur Freistellungsdebatte auf die Verwendung von "Vertrauen" hin untersucht. Das vierte Kapitel steht außerhalb des insgesamt chronologischen Vorgehens. Hier werden systematisierend "Politische Praktiken des Vertrauens" bis ca. 1600 angesprochen, also z.B. das ausdrücklich eigenhändige Verfassen von Briefen durch Fürsten in einer Zeit, in der diese Eigenhändigkeit immer mehr verschwand; in enger Verbindung mit dem Begriff der "guten Correspondenz" arbeitet Ziegler heraus, wie August von Sachsen und andere durch regelmäßigen Austausch wichtiger Anliegen und Informationen an der "Vermeidung von Misstrauen" (142) arbeiteten. Wie erwähnt, wuchs dieses Misstrauen seit den 1580er Jahren. Ziegler arbeitet in Kap. 5 heraus, dass das bis dahin bewusst überkonfessionelle "Vertrauen" sich seit dieser Zeit zu konfessionalisieren begann. Konkret: Calvinistische wie katholische Hardliner bezweifelten in Druckschriften, ob der Gegenseite wirklich zu trauen sei; das zeitigte auf Dauer Wirkung in der Reichsöffentlichkeit und bei manchen (oder vielen?) Verantwortungsträgern. Insofern kam auch die in Kap. 6 thematisierte "kursächsische Vertrauenspolitik" zunehmend an engere Grenzen. Das siebte Kapitel hat seinen Ausgangspunkt im konfessionspolitischen Eklat, mit dem der Reichstag von 1608 geendet hatte, und in den konfessionellen Sonderbünden; gegen das gerade in Union und Liga sich manifestierende Misstrauen arbeiteten unter dem Begriff der "Composition" ab 1610 hohe Amtsträger des Reiches bzw. des Kaisers wie Khlesl und Geizkofler, aber auch moderate Fürsten an. Es ist bezeichnend, dass konkrete Verhandlungen aber nie zustande kamen - es fehlte das für die "Herstellung des Vertrauens" notwendige Vor-Vertrauen (276). Kursachsen schloss sich weder der Union noch - wie zeitweise erwogen - der Liga an. Man betonte die Neutralität, wie in Kap. 8 erkennbar wird, und pflegte weiter den engen, vertraulichen Kontakt zum Kaiserhof. Aber diese demonstrative Neutralität wirkte nicht mehr befriedend.
In seinem präzisen Schlusskapitel fasst Ziegler die Ergebnisse zusammen und ordnet sie in die Forschung ein. Vertrauen war "ein Grundbegriff der politischen Ordnung des Alten Reiches vor 1648" (345), aber sein Gehalt und seine Wirkung änderten sich: ursprünglich ein befriedender und ausdrücklich in einender Absicht verwendeter Begriff, den in den 1550er Jahren nach den evangelischen auch die katholischen Reichsstände übernahmen (beide Seiten verwendeten ferner "Misstrauen" als Negativbegriff), wandelte er sich ab etwa den 1580er Jahren zu einem Kampfbegriff, der unterschiedlich gefüllt wurde. Kursachsen hielt gegen diesen Trend an der ursprünglichen Verwendung fest: doch der herkömmliche Begriff und sein Gehalt hatten nach 1608/1613 die frühere Wirkkraft verloren. Zu betonen ist, dass Ziegler diese Entwicklung - wie von ihm anfangs angekündigt - eben sowohl auf begriffsgeschichtlicher Ebene wie auf der Ebene der "Praktiken des Vertrauens" (349) nachzeichnet. In der Tat liegt hier der wesentliche Ertrag dieser klugen und gut lesbaren Arbeit: Wir verstehen den Wandel ab den 1580er Jahren vertieft und zugleich die politische Kultur des Alten Reiches ein Stück besser.
Anmerkung:
[1] Axel Gotthard: Der Dreißigjährige Krieg. Eine Einführung. Köln / Weimar / Wien 2016, 28.
Volker Seresse