Rezension über:

Christoph Strohm (Hg.): Reformation und Recht. Ein Beitrag zur Kontroverse um die Kulturwirkungen der Reformation, Tübingen: Mohr Siebeck 2017, X + 219 S., ISBN 978-3-16-154803-1, EUR 14,00
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Rezension von:
Robert von Friedeburg
Bishop Grosseteste University, Lincoln
Redaktionelle Betreuung:
Bettina Braun
Empfohlene Zitierweise:
Robert von Friedeburg: Rezension von: Christoph Strohm (Hg.): Reformation und Recht. Ein Beitrag zur Kontroverse um die Kulturwirkungen der Reformation, Tübingen: Mohr Siebeck 2017, in: sehepunkte 18 (2018), Nr. 11 [15.11.2018], URL: https://www.sehepunkte.de
/2018/11/31171.html


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Forum:
Diese Rezension ist Teil des Forums "500 Jahre Reformation - II" in Ausgabe 18 (2018), Nr. 11

Christoph Strohm (Hg.): Reformation und Recht

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Der Band eröffnet durch seinen Titel mit einem Problem: 'Recht' und 'Reformation' sind keine Kategorien vergleichbarer Ordnung. 'Recht' und 'Religion' definierten und formten bindend das Leben aller Menschen im lateinischen Westen, von der Taufe bis zur Beerdigung. 'Reformation' hingegen ist ein bestimmtes, wenn auch von den Historikern teils unterschiedlich gefasstes und periodisiertes Epochenereignis. Man kann als Wissenschaftler 'Reformationsspezialist' sein, aber nicht 'Rechtsspezialist'.

In der Allgemeingeschichte des 19. und weiter Teile des 20. Jahrhunderts bildeten sich die Historiker ein, mit Kategorien wie 'Volk', 'Nation', 'Staat', 'Klasse', 'Gesellschaft' oder neuerdings 'Kultur' der 'inneren' Dynamik der Dinge, denen 'Recht' und Reformation nurmehr Ausdruck gäben, auf den Grund zu kommen. Das wird im Ernst kaum noch jemand so halten wollen. Indem aber der Geschichtswissenschaft viele ihrer implizit oder explizit leitenden Annahmen verloren gegangen sind, fällt der Disziplin auch die Herstellung von Überblicken schwerer.

Die Kirchen- und die Rechtshistoriker haben es hier etwas einfacher. Bei allen Kontroversen - Recht und Kirche lassen sich nach den Kategorien und Kriterien der Fächer Rechts- und Kirchengeschichte historisch beschreiben und erforschen. Es sind dann auch die Rechts- und Kirchenhistoriker Michael Stolleis, Heiner Lück, Heinrich de Wall, Christoph Strohm und Axel Campenhausen, die dem Leser dieses Sammelbandes durch wohlgeordnete Überblicke die beste Handhabe bieten.

Stolleis verweist zunächst einmal darauf, dass es nicht von vorneherein eindeutig ist, was mit Recht jeweils gemeint ist - göttliches Recht, Naturrecht, 'Römisches Recht', kanonisches Recht, usf.? Entsprechend verweist Heiner Lück gleich zu Beginn auf die vielen verschiedenen Felder, auf denen Juristen tätig waren: die Rechtswissenschaft, die Rechtssetzung, die Rechtspraxis, die juristische Lehre. Diese für die Rechtshistoriker selbstverständlichen, aber durch andere Historiker nicht immer mitbedachten Selbstverständlichkeiten gilt es im Auge zu behalten: Recht und Juristen waren nicht vergleichsweise homogene Kategorien im europäischen Universum anderer Entwicklungen - der Reformation, der Staatsbildung -, sondern bildeten selbst im Hinblick auf Texte, Ausbildung, Rekrutierung, Binnenkommunikation usf. vielfach ein eigenes Universum mit hoher eigener Legitimität. Wir wissen von den Sozialhistorikern, dass in England und Frankreich, nicht wesentlich anders als in vielen Teilen des Alten Reiches, in der frühen Neuzeit auf jeweils ca. 500 Einwohner ein formeller Gerichtshof kam, in dem teils Laien als Schöffen und Zeugen und Beisitzer die Arbeit der professionellen Juristen unterstützten. Nur die Kirche besaß eine ähnlich fest verwurzelte Organisationsstruktur bis in die Dörfer hinein, aber ihre Handlungsfähigkeit wurde nicht zuletzt durch die Reformation stark beeinträchtigt. Nicht allein Herrschaft, sondern jedwede Form sozialer Interaktion im weitesten Sinne, von der Akzeptanz als Nachbar zur agrarischen Wertschöpfung, konnte überhaupt nur mit Recht und Kirche gedacht und durchgeführt werden, absolut gar nicht gegen oder ohne sie, im normativen Sinne wie auch im praktisch organisatorischen. Recht und Religion waren insofern nicht einfach Teile einer wie auch immer übergeordneten Ordnung, sie waren diese Ordnung.

Stolleis und Lück umreißen wichtige Aspekte dieses Universums des Rechts und inwieweit es sich, auch im Gefolge der Reformation, veränderte. Stolleis fast knapp zusammen, wie die enorme Verdichtung und Vermehrung der Rechtstexte (auch durch den Druck) und die veränderte Position der weltlichen Obrigkeit gegenüber der Kirche es für die Juristen möglich machte, ein eigenes Recht des Reiches und auch der einzelnen entstehenden Territorien zu skizzieren, an welches sich auch die Obrigkeit, zugleich eine wichtige Rechtsquelle, zu halten hatte. Heiner Lück gibt uns eine ganze Reihe praktischer Beispiele - nicht zuletzt den bedeutenden Juristen Wesenbeck. Heinrich de Wall schließt an mit seiner Schilderung der Entwicklung des Kirchenrechts - vom kanonischen Recht der Kirche von Rom zur landesherrlichen Kirchenordnung. In der Tat, der weltlichen Obrigkeit gelang es - auch im katholischen Bereich, wenn auch dort anders - als Sachwalterin von Recht und Religion erheblichen Bodengewinn gegenüber der Kirche von Rom zu erzielen, daran besteht wohl kein Zweifel.

Es ist gut, dass auch Entwicklungen im katholischen Bereich zur Sprache kommen. Wim Decot widmet sich Veränderungen in der spanischen Moraltheologie. Wir sind hier immer noch im Universum des Rechts, aber in einer anderen Galaxie als bei Stolleis und Lück. Und Christoph Strohm fragt nach der 'produktiven Kraft konfessioneller Konkurrenz' für die Rechtsentwicklung.

Für die Lehre bilden die Beiträge von Stolleis, Lück, de Wall, Strohm und Campenhausen eine gute Grundlage, denn die hohe Eigendynamik und zugleich ganz grundlegende Organisationskraft des Rechts für die Gesellschaft wird in diesen Beiträgen deutlich und konkret gemacht, zugleich durch Campenhausen der historische Kontext - seine Bemerkungen hätten gerne auch als Einführung an den Beginn des Bandes gestellt werden dürfen.

Zwei kleine Kritikpunkte: 1. Campenhausens Bemerkungen XII und XIII sollten für die Lehre problematisiert werden: Der Begriff 'Territorialherr' ist für das 16. Jahrhundert eine unzutreffende Rückprojektion; mit dem 'Vertrauen des deutschen Volkes' auf das Recht war es meiner Ansicht nach im 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht so weit her - der gute Fürst oder Führer als 'Erretter' nicht zuletzt vor den Winkeladvokaten kommt der Sache da schon näher. Und ist 'das deutsche Volk' weniger problematisch als handelnde Größe als 'Staat', 'Nation', 'Kultur' oder 'Gesellschaft'? Den Normalhistorikern sind ihre allgemeineren Kategorien schließlich nicht zuletzt aufgrund zuverlässiger Ergebnisse der Forschung abhandengekommen. 2. Es wäre fantastisch gewesen, von Martin Heckel ein knappes Essay für den Band zu erhalten, denn sein 'Luthers Reformation und das Recht' ist jetzt das überragende Lehrbuch zur Sache, wenigstens mit Bezug auf das Alte Reich.

Robert von Friedeburg