Ewa Mazierska: Poland Daily. Economy, Work, Consumption and Social Class in Polish Cinema, New York / Oxford: Berghahn Books 2017, VII + 338 S., ISBN 978-1-78533-536-5, USD 130,00
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Ewa Mazierska ist eine der international produktivsten Autorinnen, die sich mit polnischer Filmgeschichte befassen. Ihre neue Monografie verspricht im Titel einen umfassenden Blick auf die Themenfelder "Wirtschaft", "Arbeit" und "Konsum" im polnischen Film von der Zwischenkriegszeit bis zur Gegenwart. Mazierska nimmt sich auf diese Weise einer wichtigen Forschungslücke an, denn die meisten internationalen Publikationen konzentrieren sich vor allem auf die Darstellung nationaler und historischer Themen. Die Fokussierung auf den Alltag hilft zudem, Populär- und Genrefilme, die ebenfalls selten thematisiert werden, in den Vordergrund zu stellen.
Die Autorin verfolgt ein klares politisches Ziel: "One of the objectives of this book is to defend the socialist dimension of state socialism" (9). In der Einführung bezieht sie sich auf Klassiker der linken und ideologiekritischen Kultur- und Gesellschaftstheorie, u.a. Raymond Williams, Stuart Hall, David Harvey. Allen voran zitiert sie ausführlich aus den Werken von Karl Marx und Friedrich Engels. Diese theoretischen Ansätze liefern zahlreiche Kategorien (z.B. Klasse, Alltag oder Alienation), die in den Filmanalysen angewandt werden könnten, was allerdings im weiteren Verlauf des Buches nur selten umgesetzt wird. Problematisch ist weiterhin Mazierskas Reflexion über Filme als historische Quelle: "My book does not concern Polish economy, class system and the everyday as they exist objectively (if this can be established at all), but their filmic representations. I will treat films as historical documents, from which we can learn how people at a specific time looked, what they ate, where and how they lived and worked, and even what they thought" (15). Ähnlich paradox wie in diesem Satz präsentieren sich ihre Analysen: Einerseits untersucht sie filmische Repräsentationen des Alltags; andererseits zieht sie daraus mehrere Schlüsse über die polnische Gesellschafts- und Wirtschaftsgeschichte, die sich auf die Realität jenseits der besprochenen Repräsentationen beziehen. Leider reflektiert die Autorin nur selten die Produktions- und Rezeptionsbedingungen der Filme. Wären diese in die Analyse miteinbezogen worden, hätte ihre kapitalismuskritische Argumentation fundierter und schlüssiger ausfallen können. Stattdessen konzentriert sie sich auf die Filmhandlungen.
Neben der Methode lässt sich die Anlage des Buches kritisch diskutieren. Die einzelnen Kapitel sind nach Jahrzehnten angeordnet. Während dieses Vorgehen für die 1920er- und 1930er-Jahre durchaus plausibel erscheint, vor allem weil auf der Schwelle der beiden Jahrzehnte der Tonfilm eingeführt wurde, ist diese Entscheidung im Falle der 1950er-Jahre auf den ersten Blick kaum nachvollziehbar. Das erste Nachkriegskapitel fängt mit Filmen aus den späten 1940er-Jahren an, verfolgt die Werke des sozialistischen Realismus, die für Mazierskas Argumentation zentral sind, und geht über zu Filmen, die bereits nach dem Tauwetter von 1956 gedreht wurden. Im weiteren Verlauf des Buches erweist sich der Aufbau jedoch plausibler als zunächst gedacht, denn die politischen und wirtschaftlichen Zäsuren, die auch die Filmproduktion prägten, erfolgten jeweils am Ende der Jahrzehnte (die Machtergreifung von Edward Gierek 1970; die Gründung der Solidarność 1980 und die Wende 1989/1990). Für die jüngste Geschichte des polnischen Films ist wiederum das Jahr 2005 (Gründung des Polnischen Instituts für Filmkunst) entscheidend. Die Gliederung des Buches nach Jahrzehnten erfolgt also anhand unterschiedlicher, nicht immer vergleichbarer Kriterien.
In jedem Kapitel wird zunächst ein Überblick über die wichtigsten politischen und wirtschaftlichen Ereignisse des jeweiligen Jahrzehnts präsentiert. In einem Buch, das sich vorrangig an nicht-polnische Leserinnen und Leser richtet, ist eine solche Kontextualisierung durchaus sinnvoll. Danach folgen Besprechungen mehrerer Kinospielfilme. In den Nachkriegskapiteln werden zudem einige Dokumentar- und Fernsehfilme erwähnt. Der Vorteil dieser Konstruktion besteht in der Möglichkeit, zahlreiche Werke heranzuziehen - in dem Buch werden ca. 70 Filme besprochen (leider wurde kein Filmregister angefertigt). Mazierska erwähnt viele Titel, die bisher außerhalb des etablierten Filmkanons verblieben sind, darunter u.a. "Sprawa do załatwienia" (Eine zu erledigende Angelegenheit, Regie: Jan Fethke, Jan Rybkowski) von 1953 oder "Dziewczyny do wzięcia" (Mädchen zum Mitnehmen, Regie: Janusz Kondratiuk) von 1972. Die Mehrheit der Analysen ist leider sehr knapp und beschränkt sich auf wenige Seiten. Für eine eingehende Untersuchung, insbesondere mit Blick auf die theoretischen Konzepte aus der Einführung, bleibt wenig Platz. Zudem fehlt dem Buch ein Fazit.
Zu den Vorzügen des Buches zählt Mazierskas sorgfältiger Umgang mit den Filmen des sozialistischen Realismus, unter anderem mit dem ersten polnischen Farbfilm "Przygoda na Mariensztacie" (Abenteuer in Marienstadt, Regie: Leonard Buczkowski) von 1953. Auch die Analysen der Werke des sogenannten "Kinos der moralischen Unruhe" (unter anderem von Agnieszka Holland oder Feliks Falk), die in den 1970er-Jahren die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse kritisierten, fallen überzeugend aus. Darüber hinaus ermöglicht der kapitalismuskritische Ansatz von Mazierska einen neuen Blick auf das Kino der 1990er-Jahre, das während der politischen und wirtschaftlichen Transformation entstand. Hier ist vor allem die Besprechung des bisher vernachlässigten Films von Filip Bajon "Lepiej być piękną i bogatą" (Es ist besser schön und reich zu sein) aus dem Jahr 1993 zu erwähnen.
Obwohl Maziersks Buch aus überwiegend oberflächlichen Analysen besteht, liest es sich gut und schnell. Die Autorin hat eine informative Monografie vorgelegt, die vor einem klaren historischen Hintergrund von zahlreichen Filmen handelt. Für die Lehre an nicht-polnischen Universitäten wird sie ein wertvoller Gewinn sein, denn es gibt nur wenige englischsprachige Arbeiten zum polnischen Kino, in denen Filme jenseits des etablierten Kanons besprochen werden. Leider hat Mazierska ihr Vorhaben nur skizzenhaft umgesetzt. Historiker des polnischen Films müssen also auch in künftigen Arbeiten soziale und wirtschaftliche Themen aufgreifen und analysieren.
Magdalena Saryusz-Wolska