Felix Reuße (Hg.): Greiffenegg und Ramberg. Eine Freundschaft in Zeichnungen, Petersberg: Michael Imhof Verlag 2017, 128 S., 124 Farbabb., ISBN 978-3-7319-0449-6, EUR 14,95
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.
Gitta Ho: George Grosz und Frankreich, Berlin: Dietrich Reimer Verlag 2016
Philipp Heßeler: Grundlose Gestaltung: Kunstphilosophische Überlegungen zu Schelling und Mondrian, München: Wilhelm Fink 2017
Michael Baumgartner / Andreas Michel / Reto Sorg (Hgg.): Historiografie der Moderne. Carl Einstein, Paul Klee, Robert Walser und die wechselseitige Erhellung der Künste, München: Wilhelm Fink 2016
Selten findet sich ein romanwürdigeres Leben als das des jungen Freiherrn und Hasardeurs Hermann Gottlob von Greiffenegg-Wolffurt (1773-1847), der als Soldat, Spion und Diplomat in geheimer Mission unentwegt für sein Habsburg kämpfte. Auch in privaten Fragen blieb er ein Freigeist, verfocht er doch Zeit seines Lebens die ménage à trois als Ehemodell. Einen gleichgesinnten Libertin und Glücksjäger fand er in Johann Heinrich Ramberg, als er 1816 nach Hannover versetzt wurde und den dortigen Hofmaler kennenlernte. Die Freundschaft mündete in eine umfangreiche Bildproduktion. Die meisten der 215 Zeichnungen, 47 Radierungen und 4 Lithografien sind auf die Jahre zwischen 1821 und 1824 datiert und über verschiedene Stationen in den Besitz des Augustinermuseums in Freiburg gelangt. Die dritte Ausstellung im neuen Haus der Graphischen Sammlung des Freiburger Museums zeigte das Konvolut dieser Freundschaftsbilder, die teils in Klebebändern aufbewahrt und nun erstmals umfassend bearbeitet wurden.
Der begleitende Katalog gliedert sich im Wesentlichen in einen Text- und Objektteil: Zunächst verorten biografische Abschnitte zu Greiffenegg und Ramberg die Protagonisten auch historisch, bevor die bildlichen Zeugnisse ihrer Freundschaft näher beschrieben werden. Kürzere kulturgeschichtliche Abschnitte, die über historische Prozesse während und nach den Napoleonischen Kriegen informieren oder Orden und andere Memorabilien Greiffeneggs vorstellen, flankieren diese Blöcke. Auch das Umfeld und die Umgebung rings um Freiburg werden beschrieben. Im eigentlichen Objektkatalog finden sich die Stücke des Konvoluts genauestens aufgeführt. Insgesamt wird der Leser ausgehend von den historischen Bedingungen der Zeit um die Befreiungskriege und den Biografien der Protagonisten zu den späteren Freundschaftsbildern geführt.
Antigone Kiefner macht in ihren Beiträgen deutlich: Greiffenegg entstammt einer vergessenen Welt der Napoleonischen Kriege, als sich moderne Kleinstaaten wie Baden konstituierten, ohne dass jedoch die überkommenen Eliten ihre Bindungen an das alte Reich aufgaben. Sein Vater gehörte genau diesem Habsburger Beamtentum an, in Freiburg als oberste Verwaltungsinstanz missbilligt und später nach der Besatzung durch Napoleon doch hochgeschätzt, repräsentierte er den langen Arm Wiens in den badischen Landen. Sein Sohn nutzte indes als wandelnder Anachronismus jede Chance auf ein Abenteuer, kämpfte hinter feindlichen Linien, spionierte Festungen aus und erstellte in der Folge vor allem unablässig Depeschen, Berichte und Einschätzungen der politischen Lage. So sprang er im wörtlichen Sinne von Stellung zu Stellung, von Kompanie zu Kompanie, immer in der Hoffnung, seine eigene Lage zu verbessern. Nach einem mysteriösen "Nervenfieber" (einer mutmaßlichen Typhus-Erkrankung) 1799/1800 und schweren Verwundungen im Jahr 1809 musste er zusehends kürzertreten und verdingte sich häufig als Diplomat, Kompanieführer oder Festungsherr.
In dieser Rolle war Greiffenegg 1816 nach Hannover und damit in die Nähe Rambergs versetzt wurden. Wann genau die Freundschaft begann, ist mangels brieflicher Zeugnisse nicht mehr zu eruieren. Auch Ramberg war als Hallodri, Schürzenjäger und Freund derber Herrenwitze bekannt, sodass sich verwandte Geister trafen. Ramberg, berühmt für seine Illustrationen zu Werken Wielands, Schillers oder Goethes, hat unablässig kleinformatige Zeichnungen entworfen. In der Forschung häufig als Anti-Chodowiecki beschrieben [1], war der in England ausgebildete Ramberg seinerzeit durch die große Schnelligkeit und Spontanität bekannt, mit der er nahezu jedes beliebige Thema in eine ansprechende Komposition umsetzen konnte. Als durchaus modern [2] darf seine lockere Hand und seine Fähigkeit gelten, die komplizierten Plots der Literatur in greifbare Szenen zu fassen. Da er dabei häufig einen leichten, humorvollen Ton anschlug, geriet er als kitschnaher Illustrator der goethezeitlichen Literatur, der zudem wie am Fließband produzierte, schon bei den Zeitgenossen in Verruf.
In dieser spontanen Manier verbildlichte Ramberg nun Episoden aus Greiffeneggs Leben, etwa wenn er zu viel getrunken hatte oder wegen einer Affäre die Flucht ergreifen musste - mit einem beherzten Sprung über einen Zaun. [3] Ramberg stützt in einer weiteren Szene den trunkenen Freund, zeigt ihn als geharnischten Fakir oder erzählt von Greiffenegg als Skorpionjäger. Da Greiffenegg selbst vielseitig musisch begabt war, darf auch ein Rollenporträt als Apoll nicht fehlen. Ausgerechnet skatologischen Witz versprüht die Freundschaftsszene, in der Ramberg zeichnend unter dem Porträt des abwesenden Greiffenegg dargestellt wird. Teils derber Humor und der ironische Blick auf die eigene Rolle dominieren die Bilder. Gleichzeitig entstehen gezeichnete Komplimente, Allegorien und Abschiedsbilder, die wichtige Lebensstationen und Entscheidungen kommentieren. Greif und Wolf sind denn auch die Wappentiere einer höchst privaten Ikonografie, die von Aufbrüchen, Kämpfen und Selbstbehauptungen gekennzeichnet ist und insgesamt zwischen höfischen Formen und privater Satire changiert. Bei aller Abenteuerlust und Derbheit - auch das romantische Frauenlob kommt dabei nicht zu kurz.
Es ist vor allem der Beitrag von Felix Reuße, der diese private Ikonografie bewandert aufschlüsselt. Wichtig erscheint, dass Ramberg zentrale Ereignisse im Leben Greiffeneggs illustriert. Werke wie Greiffenegg prüft die Wetterlage auf Osoppo verbildlichen die komplexe politische Gemengelage, die der bisweilen in Ungnade fallende und auf entfernte Festungen abgeschobene Greiffenegg im Hinterkopf haben musste. Im Bild prüft er mit der Hand nicht den Niederschlag auf seiner Bergfeste, sondern die politische Großwetterlage Habsburgs - und hoffte auf die baldige Versetzung nach Ferrara, aufgegriffen durch ein vieldeutiges Stillleben im Vordergrund.
Es ist der Verdienst der Ausstellung und des Katalogs, diese Zusammenhänge nachvollziehbar und spannend an den Werken aufgeschlüsselt zu haben. Vielleicht ist die Figur Greiffeneggs mit einem Giacomo Casanova vergleichbar, oder mit einem Hauptmann aus der Renaissancezeit. Es geht weniger um die anakreontischen Bünde eines Gleim oder die idealisierende Freundschaft der Romantiker. [4] Zusammen mit Ramberg entsteht eine kleine private Mythologie, die mit herben Männerwitzen und ironischen Freundschaftsbildern gesättigt ist, aber auch Szenen der höfischen Welt zeigt, die dezent politisch wirken. Der Katalog ist ausgezeichnet bebildert und durch die Exponatliste auch Grundlage für zukünftige Arbeiten. Als Nischenprodukt einer privaten Ikonografie der Freundschaft verweisen die Werke tatsächlich auf eine vergessene Epoche, die eigentümlich zwischen Früher Neuzeit, Biedermeier und der beginnenden Moderne steht.
Anmerkungen:
[1] Alexander Košenina (Hg.): Literatur - Bilder. Johann Heinrich Ramberg als Buchillustrator der Goethezeit, Hannover 2013.
[2] Vgl. zur Modernität Rambergs: Peter-Henning Haischer: Zur Problematik der Bewegungsdarstellung in der Kunst. Johann Heinrich Rambergs Zeichnung "Der Eiserne Turm des Riesen Angulaffer", in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 77 (2014), Nr. 3, 385-406.
[3] Alheidis von Rohr (Hg.): Johann Heinrich Ramberg: 1763 - Hannover - 1840. Maler für König und Volk, Ausstellungskatalog Historisches Museum am Hohen Ufer, Hannover 1998, 118-122.
[4] Vgl. Klaus Lankheit: Das Freundschaftsbild der Romantik, Heidelberg 1952.
Christian Drobe