Änne Söll: Der Neue Mann? Männerporträts von Otto Dix, Christian Schad und Anton Räderscheidt 1914-1930, München: Wilhelm Fink 2016, 319 S., 108 Abb., ISBN 978-3-7705-5861-2, EUR 39,90
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Im Geschlechterkampf, zuletzt publikumswirksam im Frankfurter Städel ausgetragen, trafen um 1900 gut gebaute Vamps auf ätherische Fin-de-Siècle-Jünglinge. Körperliche wie seelische Schwächen, nicht zuletzt die Triebhaftigkeit, zogen in den männlichen Geschlechterhaushalt ein, der spätestens in den anonymen Stahlbädern des Ersten Weltkriegs gänzlich durcheinandergeriet. Was in den bewegten Weimarer Jahren folgte, ist exemplarisch auf dem Titelcover der vorliegenden Arbeit von Änne Söll abgebildet: Christian Schads Porträt von Dr. Hans Haustein, der umtriebige Sozialmediziner und praktizierende Dermatologe, zeigt den modernen Mann unter dem übermächtigen Schatten einer Frau. Dass Haustein damals Frauen bei der noch verbotenen Abtreibung beriet, überdies zusammen mit seiner Ehefrau Geschlechtskrankheiten erforschte, lässt erahnen, welchen Herausforderungen sich der Mann in den neuen und überaus heterogenen Geschlechterökonomien der Zeit zu stellen hatte. Änne Söll präsentiert mit der erweiterten Fassung ihrer Habilitationsschrift solche neu konfigurierten Männlichkeitsbilder in Zeiten allgemeiner Umwälzungen, genauer: in Porträts und Selbstporträts von Dix, Räderscheidt und Schad, die in den Jahren des Ersten Weltkriegs und der Weimarer Republik entstanden sind. Zudem schreibt sie mit dem äquivalenten Phänomen Neue Sachlichkeit / Neue Männlichkeit die Gendergeschichte in kunsthistorischen Breitengraden weiter, in denen bis zuletzt vor allem die Neue Frau ihren Platz gefunden hatte.
Die zunächst feministisch motivierte Kritik traf die männerlastige Kunstgeschichte indes relativ früh, nach wie vor sind Arbeiten zu bestimmten historischen Männlichkeitsentwürfen aber Desiderat geblieben. [1] Gretchenfrage scheint heute zu sein, ob mit den Men's Studies nicht jeweils eine Verlustgeschichte impliziert wird. Änne Söll spricht zentral von einer Resouveränisierung des Mannes in den 1920er-Jahren. Entlehnt hat sie den Begriff vom Soziologen Edgar Forster. Wie eingangs skizziert, erodierte tatsächlich zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Machtposition des Mannes. Von einem Verlust oder auch nur einem Aufbrechen traditionell patriarchaler Geschlechterhierarchien kann aber nur in Ansätzen die Rede sein. Zu Recht entwickelt Söll in der Einleitung daher, in welchem Ausmaß die beginnende Krise der Männlichkeit, die keine ist, äußerst heterogene Strategien hervorbringt. Das Konstrukt einer nötigen Resouveränisierung wirkt aber dennoch streckenweise forciert - vielleicht ein Grundproblem neuerer Männlichkeitsforschung.
Im ersten Kapitel werden dabei zwei Themenkreise behandelt und miteinander kontrastiert. Zuerst geht es um Otto Dix' Selbstporträts, die während des Ersten Weltkriegs entstanden sind. Bekanntlich hatte der MG-Richtschütze Dix, befeuert durch die Nietzsche-Lektüre, zu einem kämpferischen Umgang mit dem Kriegsalltag gefunden. Gelungen ist die Beobachtung seiner doch stets ambivalenten Haltung zum Krieg, wie sie recto und verso mit dem uniformen Selbstbildnis mit Artilleriehelm und dem authentisch-trotzigen Selbstbildnis als Soldat auf einem Blatt versammelt ist. Kontrastiert wird dieser Männlichkeitsentwurf mit Christian Schads frühem Schaffen in der Schweiz, in der er in dezidierter Absetzung vom Krieg mit Walter Serner nicht nur eine intellektuelle Haltung fand, die über die Dada-Ästhetik in die kalte persona der Neuen Sachlichkeit münden sollte. Schad präsentierte sich in seinen Reaktionen gegen den Krieg außerdem als großer Leidender, als christlicher Märtyrer. Schlüssig kann Söll so zeigen, wie sich beide Künstler ungeachtet der differierenden Zugänge produktiv mit dem Krieg auseinandersetzen und trotz der Katastrophen eine moderne männliche "Coolness" wahren.
Das zweite Kapitel fährt durch die Schichten des männlichen Körpers: von den zerstörten Gliedern über die deformierten Gesichter der Weltkriegsopfer bis unter die Haut der Tätowierten. Bekannt sind die Darstellungen von Kriegskrüppeln, die nicht nur durch Dix' Werke die Wahrnehmung der Nachkriegszeit prägten, sondern insgesamt für den geschwächten männlichen Körper standen. Plastische Chirurgie und Make-Up mochten dabei auch dem Mann helfen, der aber paradoxerweise bei aller verfügbarer künstlicher Verschönerung stets natürlich wirken musste. So wurden auch hier traditionelle Ideale bewahrt, wenn nur der Mann im Künstlerporträt individualisiert und mit einer Geschichte versehen werden konnte, sei es über seine zerfurchte Haut oder exotische Tätowierungen. Die Frau erhielt durch die Schminke allenfalls eine typisierende Maske. Anschlussfähig scheinen hier Sölls Verweise auf postkoloniale Theoreme zu sein: der weiße Mann konstruiert sich sowohl in Differenz zur Frau als auch zum Fremden, was die Autorin an Dix' An die Schönheit und Schads Agosta, der Flügelmensch und Rasha, die schwarze Taube bündig nachweisen kann.
Im dritten Abschnitt tritt die Kleidung in den Mittelpunkt. Formen und Genese des Anzugs sind das Vehikel, an dem der Mann sein Verhältnis zur Mode bestimmen kann. Söll benutzt dabei durchaus ungewöhnliche Quellen wie zeitgenössische Ratgeberliteratur oder Modezeitschriften. Deutlich wird: Virile Männlichkeit formiert sich immer in Distanz zur weiblich konnotierten Mode. Dix und andere neusachliche Künstler scheinen dem klassischen schwarzen Anzug zu entsagen. Farbe und dandyhafte Züge kommen wieder ins Spiel. Bei Schad zeigen die Anzüge Flexibilität und häufig die Unvereinbarkeit mit dem dahinterliegenden Körper, dem die Kleidung nur als Fassade vorgelagert ist. Anton Räderscheidt verklammert in seinen puppenartigen Figuren aber gerade den traditionellen schwarzen Anzug mit der kalten Optik damaliger Modezeitschriften. So kann Söll überzeugend erläutern, wie paradox männliche Mode als Zeichensystem zwischen Tradition und Avantgarde steht.
Geschickt weiß die Autorin im Schlussabschnitt das biografische Fallbeispiel von Dr. Hans Haustein mit den bis dahin gemachten Beobachtungen zu verweben. Der Nationalsozialismus, der Hausteins Schicksal entscheidend bestimmen sollte, bleibt überraschenderweise in den drei großen Kapiteln zuvor gänzlich ausgeklammert. Auch wenn nicht allerorts die Kontinuität der Entwicklungen betont werden muss, die von der Weimarer Republik in den Nationalsozialismus führen: Zu erwarten ist dennoch, dass sich die hier vorgestellten ambivalenten Konstruktionen von Männlichkeit in den NS-Staat übertragen und dort erheblich radikalisiert werden. So würde ein Blick auf konservative Diskurse der Zeit das präsentierte Bild von Männlichkeit sicher stark differenzieren. Vor allem auf Klaus Theweleits Männerphantasien sei damit hingewiesen. [2] Auch Ulrich, Musils Mann ohne Eigenschaften, tritt als reflektierter, neusachlicher Typus nicht auf. [3] Vielleicht kann dies Gegenstand späterer, fächerübergreifender Arbeiten sein.
Die sehr gut ausgestattete und gestaltete Publikation ist durchgängig mit 108 Abbildungen versehen, davon 36 farbig, und bis auf wenige Ausnahmen vorbildlich lektoriert. Viele Einzelbeobachtungen mögen aus Sicht der kunsthistorischen Spezialforschung zunächst als spekulativ erscheinen, zeigen aber die Produktivität eines solchen geschlechterspezifischen Zugangs. Die Autorin leistet damit einen wichtigen Beitrag zu den Gender Studies, die in Gestalt der Men's Studies in der Kunstgeschichte und speziell in der Moderneforschung nach wie vor rar gesät seien dürften.
Anmerkungen:
[1] Einen guten Überblick bietet jetzt der Artikel von Bettina Uppenkamp: Kunst und Kunstgeschichte, in: Männlichkeit. Ein interdisziplinäres Handbuch, Stuttgart 2016, 256-269.
[2] Klaus Theweleit: Männerphantasien, 2 Bde., Reinbek bei Hamburg 1980.
[3] Robert Musil: Der Mann ohne Eigenschaften, 17. Auflage, Reinbek bei Hamburg 2003.
Christian Drobe