Gitta Ho: George Grosz und Frankreich, Berlin: Dietrich Reimer Verlag 2016, 279 S., 10 Farb-, 65 s/w-Abb., ISBN 978-3-496-01552-9, EUR 49,00
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"Ein großer Quatsch mit der Neuklassik", schreibt George Grosz 1925 lakonisch hinsichtlich neuer Arbeiten von Picasso und Derain. [1] Sein Blick auf die aktuelle französische Kunstentwicklung fiel damit nicht nur denkbar negativ aus, sie wurde in dieser pejorativen Form auch lange Zeit weiter tradiert. Gitta Ho kann in ihrer jüngst erschienenen Studie demgegenüber deutlich machen, wie überaus produktiv und fruchtbar Grosz' Aufenthalte in Frankreich waren. Schon 1913 hatte der Künstler Paris besucht - Reisen, die sich in den 1920er-Jahren häufig wiederholen sollten. Schon vor dem wichtigen Besuch 1924 hatte man ihn in der Hauptstadt als Künstler wahrgenommen, was vor allem Freunde und die bald gefundenen Förderer besorgten. Den verschiedenen Stationen in der Hauptstadt Paris stehen Aufenthalte in ländlichen Regionen gegenüber. 1925 konnte sich Grosz unter anderem in der Bretagne und auf Korsika sowie 1927 in Südfrankreich, vor allem in Marseille und dessen Umland, vom hektischen Treiben der Großstadt und von den schwierigen politischen Zuständen in der Weimarer Republik zurückziehen. Inhaltlich folgt die Monografie diesen Frankreichreisen und berichtet jeweils chronologisch von den einzelnen Aufenthalten. Zentral erscheint neben Fragen nach der Lebensart - auf die Küche legte Grosz etwa besonderen Wert - vor allem das Geflecht der Freunde, Künstlerkollegen und Kritiker, die die jeweiligen Aufenthalte prägten. Im Netz der Beziehungen zu Frankreich, die gleichsam auf Ausstellungen, Projekte und Kunstinstitutionen wie Galerien verweisen, entsteht so ein differenziertes Bild der transnationalen Rezeptionsweisen rund um Grosz' Œuvre. Damit knüpft Ho an das Projekt der Deutsch-Französischen Kunstperspektiven 1870-1945 an, das am Deutschen Forum für Kunstgeschichte in Paris durchgeführt wurde und wo sie selbst als Mitarbeiterin involviert war und ist.
Mit den Verbindungen zwischen Deutschland und Frankreich wird ein Thema konkretisiert, das bisher nur vereinzelt in der sonst inzwischen breit aufgestellten Forschung zu Grosz bearbeitet wurde. [2] Lange Zeit waren die Untersuchungen von Marie Gispert die einzigen, die generell die Rezeption deutscher Kunst im Frankreich der Zwischenkriegszeit thematisiert haben. [3] Diese Lücke konnte mittlerweile teilweise durch Publikationen der Pariser Projektgruppe geschlossen werden. [4] Durch die quellenkritische Arbeit wurde das Forschungsfeld so gerade auch für zukünftige Bearbeitungen geöffnet. Neuere Untersuchungen zu Paul Klee, der zu dieser Zeit als einziger deutscher Künstler in Frankreich eine stärkere Rezeption als Grosz erfahren hatte, schließen etwa an diese Vorarbeiten an. [5] Im Anschluss daran nuanciert Hos Arbeit aber nicht nur einen Aspekt von Grosz' Wirken, sondern weist erneut wesentlich auf das Desiderat hin, dass Phänomene wie die Sachlichkeit, der Realismus, Verismus oder Neoklassizismus in der Zwischenkriegszeit weiterhin länderübergreifend in Europa und gar bis nach Amerika oder Russland zu untersuchen wären.
Im ersten Abschnitt ist es dabei vor allem das Pariser Café du Dôme, das Grosz als Treffpunkt deutscher wie französischer Künstler prägte. Neben dem Unterricht in der beliebten Académie Colarossi ist es Jules Pascin, der ihn mit seinem reflexhaften zeichnerischen Talent beeindruckte. Das Jahr 1913 ist also bestimmt durch den Kontakt mit der Pariser Avantgardeszene und der Gelegenheit für den jungen Grosz, sein zeichnerisches Talent zu trainieren. Der Erste Deutsche Herbstsalon, den Grosz 1913 zurück in Berlin besucht, wird im zweiten Kapitel als wichtiges Zeugnis einer deutschen Rezeption zeitgenössischer Kunst aus Frankreich präsentiert. Neben der Tatsache, dass Grosz die zeitgenössischen Kunstströmungen wahrnimmt, wenn er etwa auf Bilder Marc Chagalls oder Albert Gleizes zurückgreift, kann die Autorin überzeugend herausarbeiten, wie sehr Grosz' Bildfindungen schon in der Mappe Gott mit uns von französischen Künstlern des 19. Jahrhunderts abhängen, allen voran von Satirikern und Karikaturisten wie Daumier und Grandville.
Im dritten Kapitel treten die ersten Förderer von Grosz in Frankreich auf, offenbar teils über die alten dadaistischen Netzwerke vermittelt, die in Person von Marcel Ray, Yvan Goll oder Pierre Mac Orlan die frühe Rezeption steuerten. Zuerst schien Grosz in den sozialkritischen Lesarten der Linken aufzugehen, wozu teils auch die gemäßigte Friedensbewegung der Vereinigung Clarté um Henri Barbusse und Romain Rolland gehörte. Bald bahnten sich erste Ausstellungen an und schon 1924 erschien die erste Monografie. Insgesamt war Grosz mit seinen grafischen und zeichnerischen Arbeiten als Satiriker und Kritiker der Gesellschaft präsent und wurde als deutscher Daumier gesehen, was Ho später zu Recht mit kritischen Aussagen kontrastiert und relativiert.
Im vierten Kapitel geht es um die stark touristisch geprägten Ausflüge, die die Familie Grosz 1925 unternahm. Langsam zeichnete sich hier der Wandel des veristischen und beißend gesellschaftskritischen Künstlers ab. Das fünfte Kapitel beleuchtet daher gerade den langen Aufenthalt in Marseille und im Umland, der im Jahr 1927 unter dem Einfluss Alfred Flechtheims mit zu einer neuen Phase künstlerischer Produktion führte. Grosz malte nun deutlich traditionellere Bildthemen. Er widmete sich auf Geheiß des Kunsthändlers der französischen Landschaft und schuf Stillleben. Kapitel sechs beschließt die Arbeit mit dem Referat der Ausstellungen von Grosz' Werken in Frankreich, die noch bis in das Jahr 1934 teils ohne sein Wissen veranstaltet wurden. Dort gelingen noch einmal interessante Beobachtungen, wenn etwa im Wechsel zwischen Rudolf Schlichter und Pierre Drieu la Rochelle eine konservative Ikonografie verfolgt wird. Im kurzen Schlussabschnitt werden Synthesen aus dem referierten Material gefasst und übergreifende Fragestellungen angesprochen.
Die auf neue Ergebnisse aus Quellen- und Archivarbeit gestützte Monografie arbeitet methodisch vor allem mit der Diskussion kunstkritischer und biografischer Texte sowie der wichtigen Briefstellen. Auf der Ebene genuin kunsthistorischer Werkbetrachtung leitet die Autorin ihre Argumentation häufig durch zwei- oder dreistufige Bildvergleiche. An der ein oder anderen Stelle hätte man sich eine etwas ausführlichere Betrachtung einer Werkgruppe gewünscht. Trotzdem gelingt es der Autorin gerade, im Netz der Beziehungen zu Frankreich die Werkentwicklung von Grosz hin zu traditionelleren, konservativen Formen herauszuarbeiten. Überdies sind es die nationalen Stereotype, die sich trotz des großen wechselseitigen Austausches fortschreiben, und die dafür sorgen, dass Grosz in Frankreich vor allem als Zeichner und weniger als Maler wahrgenommen wurde.
Zehn Farbabbildungen haben es in die insgesamt sehr gut lektorierte und ausgestattete Publikation geschafft, die fortlaufend mit 65 Schwarz-Weiß-Abbildungen bebildert ist. Die Autorin liefert mit ihrer Arbeit einen wichtigen Beitrag zur Geschichte der deutsch-französischen Kunstbeziehungen und kann gleichzeitig länderübergreifenden Phänomenen der Zwischenkriegszeit wie dem Verismus oder dem Neoklassizismus neue Perspektiven geben.
Anmerkungen:
[1] George Grosz, Pariser Eindrücke, in: Carl Einstein / Paul Westheim (Hgg.): Europa-Almanach. Malerei, Literatur, Musik, Architektur, Plastik, Bühne und Film, außerdem noch unwichtige Nebenbemerkungen, Potsdam 1925, 45.
[2] Und das meist nur in den älteren biografischen Arbeiten; siehe Hans Hess: George Grosz, Dresden 1982 und Lothar Fischer: George Grosz in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, Reinbek bei Hamburg 1976.
[3] Marie Gispert: "L'Allemagne n'a pas de peintres". Diffusion et réception de l'art allemand moderne en France durant l'entre-deux-guerres, 1918-1939, unveröffentlichte Dissertation, Université Paris 1 Panthéon-Sorbonne 2006.
[4] Friederike Kitschen / Julia Drost (Hgg.): Deutsche Kunst - französische Perspektiven 1870-1945. Quellen und Kommentare zur Kunstkritik, Berlin 2007.
[5] Gregor Wedekind (Hg.): Polyphone Resonanzen: Paul Klee und Frankreich, Berlin / München 2010.
Christian Drobe