D.J. Mattingly / V. Leitch / C. N. Duckworth et al. (eds.): Trade in the Ancient Sahara and Beyond, Cambridge: Cambridge University Press 2017, XVIII + 449 S., 83 Abb., 17 Kt., 8 Tbl., ISBN 978-1-107-19699-5, GBP 90,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Die Diskussion um transsaharische Handelsverbindungen in der Antike genießt unter Althistorikern gemeinhin den Ruf eines interessanten, aber doch weithin exotischen Randthemas. Zu selten kommt man mit ihm in Berührung, zu separiert und isoliert von den klassischen Großthemen scheinen Raum und Akteure; nicht zuletzt sind die literarischen und materiellen Zeugnisse im Vergleich zu den derzeit boomenden Forschungen zum Handel im Indischen Ozeans sowie Vorder- und Innerasiens offenbar zu mager, als dass ihre Auswertung historisch aussagekräftige und für weitergehende Fragestellungen verwertbare Erkenntnisse liefern könnte. Selbst die sich unter Historikern einiger Prominenz erfreuenden Garamanten werden meist nur dann als Objekt historischen Intereses wahrgenommen, wenn man sich mit dem Fernhandel und den Außenbeziehungen des Römischen Reiches beschäftigt. In gewisser Weise folgen Historiker damit der Perspektive antiker Schriftsteller, die Ethnien am Rande der Oikumene selten als eigenständige Akteure würdigen, sondern eher als Muster für stereotype ethnographische Großkategorien (Nomaden) und als "barbarische" Kontrastfolie zur eigenen (urbanen) Zivilisation nutzen.
Wie so häufig liegt es an der Archäologie, die Gewichte zurechtzurücken und festgezurrte Perspektiven aufzubrechen zumal in einer Zeit, in der sich auch die Althistorie um einen "fresh look" über den Tellerrand ihrer klassischen Arbeitsfelder im Rahmen "welthistorischer" Weitungen bemühen muss. [1] Der Blick auf die Archäologie der saharischen und transsaharischen Räume kann hierbei in mehrfacher Hinsicht lehrreich und instruktiv sein: Gerade der relative Mangel an Zeugnissen hat spätestens seit dem (im wahrsten Sinne des Wortes) bahnbrechenden Aufsatz von M. Liverani über die Angaben Herodots zu den saharischen Routen und Oasen [2] eine unter den Spezialisten bis heute heiß geführte Debatte entfacht, ob man überhaupt von einem regelhaften vorislamischen Transsahara-Handel sprechen könne. Das ist mehr als eine akademische, sondern eine historisch höchst relevante Frage. Denn sie betrifft nicht nur den Fernhandel und die Rolle außermediterraner Akteure in der Antike, sondern verleiht auch der Genese des gut bezeugten "islamischen" Saharahandels seit dem 8. Jahrhundert n.Chr. möglichweise eine bis in die Antike zurückreichende historische Tiefendimension, die ihr von Mediävisten und Frühneuzeitlern häufig abgesprochen wird.
Der vorliegende, aus mehreren Workshops hervorgegangene und von etablierten Spezialisten herausgegebene Band bezieht (als Teil einer auf vier Bände angelegten Serie) klar Stellung, ohne gegenteilige Positionen zu ignorieren oder polemisch zu diskreditieren. Für die Herausgeber und meisten Beiträger sind das Fehlen oder das geringe Vorkommen "erwartbarer" Produkte, z. B. "römischer Erzeugnisse" in transsaharischen Siedlungsräumen am Niger, kein hinreichender Ausweis für das Fehlen von regelmäßigen Kontakten. Es erklärt sich zum einen aus dem vergänglichen Material der archäologisch schwer zu identifizierbaren Objekte, ferner aus der Struktur des Handels, der bestimmte Produkte nicht die komplette Strecken eines aus mehreren Teilsystemen bestehen Netzwerkes wandern ließ, und nicht zuletzt - ein etwas schwächeres Argument - aus der im Vergleich zu anderen Großräumen geringen Forschungs- und Grabungsintensität. [3] Ein wesentliches Ziel des Buches ist es, sämtliche Ergebnisse bisheriger Kampagnen zusammenzuführen und systematisch Waren und Produkte, auch wenn sie nur in geringer Menge nachweisbar sind, im Kontext ihrer Produktion und Konsumption vorzustellen.
Die Materialen werden in zwei Gruppen gegliedert: nämlich organische Handelswaren mit besonderem Schwergewicht auf Textilien (209-284) und nicht-organische Materialien (285-432): neben Metallen wie Kupfer, Eisen vor allem bearbeitete Perlen und Halbedelsteine; der Handel mit Keramik gehorchte offenbar anderen Bedingungen und Konjunkturen. [4] Ohne die durchweg klar argumentierende und mit modernsten technischen und chemischen Analyseverfahren (z. B. S. Nixon S. 172-173 und S. Magnavita, S. 393-413) arbeitenden Einzelbeiträge im Detail würdigen zu können - sie führen in der Summe zu dem plausiblen Schluss, dass es tatsächlich seit etwa der Mitte des 5. Jahrhunderts v. Chr. Anfänge überregionaler Kontakte gab, die sich im späten 1. Jahrhundert zu einem "pre-Islamic Trans-Saharan trade, built on extensive and regular contacts" [5] weiterentwickelten; im 4. und 5. Jahrhundert setzten dann regionale Verschiebungen in der Produktion und im Handel ein, die in gewisser Hinsicht auf die islamische Entwicklung verweisen. Ein besonders spannendes Ergebnis der Einzelstudien sowie entsprechender Kooperationen mit dem Projekt "Sealinks" [6] ist, dass der bis zum Niger und Tschadsee reichende Transsaharahandel in der frühen und mittleren Kaiserzeit über das Nilgebiet und Ostafrika mit anderen großen Handelsräumen wie dem Mittleren und Fernen Osten sowie dem Indischen Ozean und der asiatischen Seidenstraße zumindest in Bezug auf einige Produkte (Glasperlen und Halbedelsteinen) interagierte. [7]
All das wird nicht in Form eines hermetischen Dialogs unter Spezialisten vorgeführt - eine Materialschlacht war angesichts der Fundsituationen ohnehin nicht zu erwarten -, sondern so, dass auch der mit den Usancen saharischer Archäologie nicht vertraute Leser aus dem Gebotenen wichtige Erkenntnisgewinne ziehen kann. Hierzu trägt bei, dass es die Herausgeber nicht bei der Präsentation und Interpretation der Handelswaren und "-produkte" belassen, sondern diese mit der Analyse der infrastrukturell-organisatorischen (Transport, Kosten, etc.) und politisch-wirtschaftlichen Grundlagen verknüpfen. Das Kernanliegen dieses, dem Abschnitt über die Einzelwaren vorangestellten Themenblockes ist es, die Rolle von Oasen und Oasencluster als Drehscheibe, aber auch als Verteilungs- und Produktionszenten transsaharischer Netzwerke herauszuarbeiten. Im Zentrum steht zunächst die Rolle der Garamanten. D. Mattingly zieht dabei die Summe seiner langjährigen Forschungen und beschreibt das Gemeinwesen der Garamanten als "significant early state and true civilization" (13), der ein dichtes Netzwerk "permanently occupied villages" bildete und ganze "cluster of Saharan oases" umfasste. Eines ihrer Erfolgsgeheimnisse bestand darin, dass sie den kostenintensiven, mit künstlicher Bewässerung betrieben Ackerbau mit dem lukrativen Handel verbanden und so die Entwicklung einer stabilen Oasenwirtschaft überhaupt erst ermöglichten. Die günstige Lage am Knotenpunkt und auf "halber Strecke" zwischen den von Ägypten aus westlich verlaufenden Karawanenwegen und den zentralen Nord-Süd-Routen in die Sahel-Zone [8] erlaubte es ihren Eliten, römisch-mediterrane Produkte gegen heimische (Halbedelsteine, Perlen, hochwertige Textilien, Metall, Vieh) und aus südlicheren Räumen erworbene Waren und Sklaven zu konsumieren; gleichzeitig etablierten sie exklusive Verbindungen zu den subsaharischen Herkunftsgebieten von Kupfer, Eisen und Halbedelsteinen. Umstritten und problematisch bleibt die Existenz eines vorislamischen Goldhandels und Goldexportes nach Rom aus Westafrika. [9]
Die Rolle des "Garamanten-Staates" als Handels- und Produktionszentrum sowie als "cultural broker" weist erstaunliche Parallelen zu politischen Formationen an der Küste Ostafrikas, also am östlichen Endpunkt der territorialen Verbindungswege entlang der Sahara, auf. [10] Das spricht für die Komplexität der Verbindungen, die an entscheidenden Knotenpunkten offenbar vergleichbare Funktionsstrukturen erforderten. In eine ähnliche Richtung weist die symbiotische Kooperation von nomadischen Hirtenleben und Ackerbau: Die erfolgreichen Oasen waren auf beides angewiesen. Deshalb überlappten sich wohl nicht nur im Gebiet der Garamanten Regionen und Formen agrarischer Sesshaftigkeit mit mobiler Weidewirtschaft. Sie konnten die Versorgungsdefizite ausgleichen sowie spezifische, für Handel und Transport notwendige Kompetenzen in das Gesamtsystem einer erfolgreichen Oasenwirtschaft und des von ihr dynamisierten Handels einbringen. [11]
Alles in allem bietet das durchweg gut illustrierte und sorgfältig redigierte Buch eine Fülle von erhellenden Einsichten, die nach einer komparativen Anbindung an andere Großräume mit ähnlichen Herausforderungen (wie etwa den innerasiatischen Handelszonen um und an den Oasengebieten der Taklamakan) drängen. Aus solchen Bausteinen und unter stetem Austausch von international arbeitender Archäologie und Althistorie ergäbe sich dann eine dringend notwendige "welthistorische" Perspektiverweiterung der Antike, die auch den afrikanisch-subsaharischen Raum nicht mehr ignorieren kann.
Anmerkungen:
[1] Vgl. dazu vorbildlich auf knappsten Raum auch mit Integration der afrikanischen Kontexte: S.M. Burstein, The World from 1000 BCE to 300 CE, Oxford 2017.
[2] M. Liverani, The Libyan caravan road in Herodotus IV. 181-184, Journal of the Economic and Social History of the Orient 43.4 (2000), 496-520.
[3] Vgl. D. Mattingly, 39 zum "research gap" und 38 zum Goldhandel: "(...) absence of evidence at present cannot be taken as evidence of absence".
[4] Dazu z.B. A. Leone, 369-292.
[5] D. Mattingly, 32; vgl. ders. u, a., 433.
[6] M. Hurton, A. Crowther, N. Boivon, 133 ff.
[7] S. Magnavita, 402-408; L. Dussubieux, 420-426, M. Cissé, 119f. und D. Mattingly u. a., 427.
[8] Vgl. A. Haour: Zilum/Tschad, 83-100; M. Cissé, 101-130: Gao/Mali.
[9] Vgl. den Überblick bei S. Nixon, 156-188 und zu den Garamanten: A. Wilson, 197-198.
[10] M. Horton, A. Crowther, B. Boivon, 133-141.
[11] Vgl. J. Scheele, 57-66.
Raimund Schulz