Rezension über:

Heinz Duchhardt: Der Aachener Kongress 1818. Ein europäisches Gipfeltreffen im Vormärz, München / Zürich: Piper Verlag 2018, 263 S., 13 s/w-Abb., ISBN 978-3-492-05871-1, EUR 24,00
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Rezension von:
Harald Stockert
MARCHIVUM Mannheim
Redaktionelle Betreuung:
Nils Freytag
Empfohlene Zitierweise:
Harald Stockert: Rezension von: Heinz Duchhardt: Der Aachener Kongress 1818. Ein europäisches Gipfeltreffen im Vormärz, München / Zürich: Piper Verlag 2018, in: sehepunkte 19 (2019), Nr. 2 [15.02.2019], URL: https://www.sehepunkte.de
/2019/02/32553.html


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Heinz Duchhardt: Der Aachener Kongress 1818

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Der Aachener Kongress von 1818 spielt in den einschlägigen Handbüchern zur Geschichte des 19. Jahrhunderts nur eine Randrolle. Zwar werden seine meist als bescheiden eingestuften Ergebnisse benannt, das Kongressgeschehen an sich aber verliert sich selbst für die Spezialisten im Ungefähren. Heinz Duchhardt, der frühere langjährige Direktor der Abteilung für Universalgeschichte im Mainzer Institut für Europäische Geschichte, hat es nun - passend zum 200. Jubiläum - erstmals unternommen, den Kongress in einer eigenen Monographie näher zu beleuchten. Er stützt sich dabei auf die Protokolle im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, die Stadt Aachener Zeitung des Jahres 1818 sowie auf die wenigen gedruckten Berichte und die Memorialliteratur der Teilnehmer. Auf dieser Basis gelingt es ihm, ein breites Panorama des Kongresses zu entwickeln und dabei nicht nur diplomatie-, sondern auch kultur- und stadtgeschichtliche Aspekte zu berücksichtigen.

Einleitend beschreibt Duchhardt die außenpolitische Ausgangslage nach dem Wiener Kongress mit den sich überlagernden Bündnissystemen aus Quadrupelallianz und Heiliger Allianz. Dabei verfolgten die ehemaligen Kriegspartner in Abkehr von der früheren reaktiven "Balance of Power" das Ziel, nunmehr eine Friedensordnung auf der Basis aktiver gemeinsamer Solidarität zu errichten. Auf dieser Vereinbarung fußte letztlich der Aachener Kongress, der den Anfang regelmäßiger Gipfeltreffen bilden sollte. Auch wenn die Erwartungen der Großmächte über die Agenda zunächst differierten, so war bald klar, dass der künftige Umgang mit dem langjährigen Kriegsgegner Frankreich im Fokus stehen sollte; andere Themen, wie etwaige territoriale Neugliederungen, die Frage der Repräsentativverfassungen im Deutschen Bund oder die Judenemanzipation traten demgegenüber in den Hintergrund oder wurden ganz ausgeklammert. Diese thematische Eingrenzung sollte sich als ein pragmatischer Kompromiss, aber auch als Hypothek erweisen. Denn in der politischen Öffentlichkeit herrschten weitaus größere Erwartungen. Die Enttäuschung dieser Hoffnungen sollte denn auch lange Zeit das Resultat der Verhandlungen, die erfolgreiche Einbindung Frankreichs in die neue Friedensordnung, überdecken. Die Alliierten einigten sich auf das Ende der Besatzung des ehemaligen Kriegsgegners, auf einen umfangreichen Schuldenerlass sowie die Einrichtung eines neuen Bündnisses "Konzert der Mächte", zu dem fortan auch Frankreich gehörte. Dieses Verhandlungsergebnis wird erst in jüngerer Zeit positiver gewürdigt, nicht zuletzt vor dem Hintergrund der verstärkten aktuellen Beschäftigung mit dem Versailler Vertrag von 1919, in dem die unterlegenen Kriegsgegner ungleich härter behandelt wurden und deren Einbindung unterblieb. Gleichwohl - und darauf weist Duchhardt mit Recht hin - existierte 1818 das vorherige Bündnissystem der Alliierten parallel zum "Konzert der Mächte" weiter fort, um einer etwaigen, von Frankreich ausgehenden Gefahr zu begegnen.

Bei diesen politikgeschichtlichen Abschnitten rückt der Autor die handelnden Protagonisten immer wieder in den Vordergrund, wobei er sie in ihrem sozialen, aber auch politischen Umfeld verortet. Dem Leser kommt dabei entgegen, dass Duchhardt in einem eigenen Kapitel kurz die anwesenden Monarchen - den stockkonservativen Österreicher Franz I., den eher sprunghaften und stark Einfluss nehmenden Russen Alexander I. sowie den nüchternen Preußen Friedrich Wilhelm III. - portraitiert. Kurze Abschnitte widmet er auch den Diplomaten, unter denen Metternich und Castlereagh, nicht aber Hardenberg die prägenden Gestalten gewesen seien.

Der Überblick über das Kongressgeschehen wäre ohne die Schilderung des kulturellen Begleitprogramms unvollständig. Mit der Wahl von Aachen fällten die Alliierten zwar bewusst die Entscheidung, nicht einen weiteren spektakulären Eventkongress wie in Wien auszurichten. Dennoch spielten Ausflüge, Musik und Tanz zumindest für die Monarchen eine wichtige Rolle. Aachen nutzte die Gelegenheit, sich von seiner besten Seite zu zeigen. Erfolgreich wurde die Karte der Tradition gespielt als kaiserliche Krönungs-, Reichs- und auch als Stadt vormaliger Friedenskongresse. Sie veranstaltete Sightseeing-Touren und musikalische Soiréen, und gab künstlerische Porträtarbeiten oder eigens geprägten Gedenkmünzen in Auftrag. Mit der Präsentation jüngst entstandener Industriebetriebe setzte die ehemalige Kaiserstadt im Vergleich zu Wien auch eigene moderne Aspekte. Die Monarchen nutzten zudem die Grenzlage der Stadt zu Ausflügen, sei es ins nahegelegene Spa, aber auch ins Besatzungsgebiet in Frankreich. Diese Aspekte werden vom Autor recht ausführlich und illustrativ beschrieben.

Im Schlusskapitel ordnet Duchhardt den Kongress in die Geschichte des Vormärz' ein. Seinem ambivalenten Ergebnis ist dabei zuzustimmen: Einerseits die positive Würdigung des diplomatischen Erfolgs der Friedenssicherung, anderseits negativ das völlige Ignorieren der Forderungen der erstarkenden liberalen und nationalen Bewegung. Letzteres sollte bald einen Schatten auf den Aachener Kongress werfen, auf dem eben auch Denkschriften und Überlegungen zur Unterdrückung der "studentischen Umtriebe" sowie der Meinungsfreiheit kursierten, die ab 1819/20 auch umgesetzt werden sollten. Der Aachener Kongress bildet hierbei eine Wegmarke.

Es ist sehr zu begrüßen, dass Duchhardt nicht der Gefahr erliegt, den eigenen Forschungsgegenstand in seiner Bedeutung zu überschätzen. Vielmehr ordnet er ihn gekonnt historisch ein. Kleinere Wiederholungen oder auch Unschärfen - so verzichtete in einem diplomatischen Nebenschauplatz des Kongresses das Großherzogtum Baden im Ringen mit Bayern eben nicht auf die Stadt Wertheim, sondern auf das früher zum Territorium der Löwenstein-Wertheimer gehörende Amt Steinfeld - fallen in seiner Monographie nicht weiter ins Gewicht. Vielmehr überzeugt seine These von Aachen 1818 als einem "Modell" für Gipfeltreffen, wo erstmals mit neuem Politikstil über ein kollektives Sicherheitssystem diskutiert und dieses durch die Eingliederung eines Verliererstaats auch umgesetzt wurde.

Harald Stockert