Robert Oldach: Stadt und Festung Stralsund. Die Schwedische Militärpräsenz in Schwedisch-Pommern 1721-1807 (= Quellen und Studien aus den Landesarchiven Mecklenburg-Vorpommerns; Bd. 20), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2018, 518 S., 9 Farbabb., 95 Tbl., ISBN 978-3-412-50283-6, EUR 60,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Stefan Petersen: Benefizientaxierungen an der Peripherie. Pfarrorganisation - Pfründeeinkommen - Klerikerbildung im Bistum Ratzeburg, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2001
Valentin Groebner: Der Schein der Person. Steckbrief, Ausweis und Kontrolle im Mittelalter, München: C.H.Beck 2004
Jan Hirschbiegel / Sascha Winter / Sven Rabeler (Hgg.): Residenzstädte im Alten Reich (1300-1800). Ein Handbuch. Abteilung II: Soziale Gruppen, Ökonomien und politische Strukturen in Residenzstädten. Teil 1: Exemplarische Studien (Norden), Ostfildern: Thorbecke 2020
Die jüngere Militärgeschichte hat sich durch die Integration und Anwendung sozial-, alltags-, kultur- sowie geschlechtergeschichtlicher Methoden und Fragestellungen zu einem überaus perspektivenreichen Arbeitsfeld entwickelt, in das bisher freilich die als Schwedisch-Pommern bezeichnete Region des Alten Reiches nicht als eigenes Untersuchungsgebiet einbezogen gewesen ist. Dieses Desiderats hat sich Robert Oldach in seiner ab 2008/09 bei Jens E. Olesen (Universität Greifswald) als Erst- und Martin Krieger (Universität Kiel) als Zweitbetreuer erstellten Doktorarbeit angenommen. Bei dem vorliegenden Buch handelt es sich um die leicht überarbeitete Version der Dissertation, die 2012 mit der erfolgreichen Disputation abgeschlossen wurde. Konkret geht es darin um die detaillierte Analyse der schwedischen Militärorganisation in Schwedisch-Pommern anhand von Stadt und Festung Stralsund vom Ende des Großen Nordischen Krieges 1721 bis 1807, als die schwedische Festung Stralsund den Truppen Napoleons übergeben wurde. Stralsund nahm in jener Zeitspanne als einzige Festung Schwedens im Norden Deutschlands eine zentrale Rolle in der militärischen Organisation ein. Die Stadt war zugleich Sitz des Generalgouverneurs und der Provinzialregierung, zudem hatte sie eine Führungsrolle innerhalb der Landstände inne. Aus diesem Verantwortlichkeits- und Interessenkonglomerat im Umfeld Stralsunds ergab sich von vornherein ein "Spannungsgeflecht", wie Oldach schreibt (16), dessen Untersuchung lohnenswert erscheint.
Auf ein platzsparendes Vorwort (13), dem bereits ein Verzeichnis der Tabellen, Abbildungen und Diagramme (8-11) vorangestellt ist, und die verhältnismäßig kurze Einleitung mit Erläuterung des Untersuchungsgegenstands, der Forschungssituation sowie der vorhandenen Quellen und Literatur (14-31) folgt zunächst eine hinlänglich ausführliche Darstellung der Geschichte und Verfassung Schwedisch-Pommerns und der besonderen Rolle, die Stralsund mit seinen Privilegien und seiner Finanzverwaltung darin spielte (32-70). Das sich daran anschließende erste Hauptkapitel widmet sich sodann eingehend der Garnison als solcher, wobei die Organisation des Militärs von der Werbung, über Hierarchie und Jurisdiktion bis zur Desertion, die Bedeutung des Militärs als Wirtschaftsfaktor, soziale Aspekte - Sold und Lebenshaltung, Leben nach der Militärzeit, Soldatenfrauen und -kinder, Krankheit und Krankenversorgung, auch Prostitution - und zuletzt die Festung und ihre Funktion in den vertiefenden Blick genommen werden (71-234). Danach behandelt Oldach im zweiten, fast gleichlangen Hauptkapitel das Verhältnis von Stadt, Zivilgesellschaft und Militär: Ein wichtiges Stichwort ist dabei das Institut der Einquartierung, das Oldach gründlich darlegt. Obendrein werden die Beziehungen zwischen Garnison und Stadtwirtschaft, die Rolle der Werbung und der Jurisdiktion im Verhältnis zur Zivilgesellschaft sowie die nicht problemfreie Bedeutung der Fortifikation für die Stadt beleuchtet (235-397). Eine wiederum vergleichsweise kurzgefasste Zusammenstellung der Untersuchungsergebnisse beschließt den darstellenden Teil (398-418), worauf noch das obligatorische Abkürzungsverzeichnis (419f.), ein das Verständnis dankenswert erleichternder Anhang mit Tabellen und Diagrammen (421-483), ein erfreulich erschöpfendes Quellen- und Literaturverzeichnis - manche Titel des letzteren sind allerdings wohl eher in die Auflistung der Quellen zu verschieben, wie z.B. Arndt 1839 oder Pachelbel 1802; es fehlen grundsätzlich Reihentitel -, ein in sich stimmiges Register der Personen (502-510) und der Orte (511f.) und zu guter Letzt die Farbabbildungen folgen.
Der Band ist ansprechend und übersichtlich gestaltet und erfreulich gründlich redigiert. Nur vereinzelt finden sich noch Tippfehler wie z.B. "unterstütze" statt "unterstützte" auf Seite 408. Der Text ist durchweg verständlich geschrieben und überzeugend aufgebaut.
Die Ergebnisse der äußerst detailreichen Studie sind entsprechend vielfältig. Ausgehend von der These, "dass die Rechte und Privilegien der schwedisch-pommerschen Landstände, festgeschrieben durch die Garantieklausel des Westfälischen Friedens und als leges fundamentales bezeichnet, zwangsläufig mit den veränderten militärischen Notwendigkeiten [im 18. Jahrhundert, O.A.] kollidieren mussten und zu Spannungen führten" (399), entwickelt Oldach ein überzeugendes Vierphasenmodell für den von ihm untersuchten Zeitraum zwischen 1721 und 1807 (siehe das Schaubild auf Seite 399). Das Verhältnis zwischen Militär und Zivilgesellschaft entwickelte sich dementsprechend nicht gleichförmig. So ist z.B. nach dem Großen Nordischen Siebenjährigen Krieg ein Übergewicht militärischer Gesichtspunkte erkennbar, was Oldach aber nicht als Militarisierung der Zivilgesellschaft charakterisieren möchte. Die "nationale" Zusammensetzung des in Stralsund stationierten Leibregiments der Königin veränderte sich bis ca. 1750 grundlegend von schwedisch zu überwiegend deutsch. Mit diesem Wechsel stieg die Desertionsquote erheblich an. Auch die konfessionellen Schranken wurden aufgeweicht. Das Militär kann sogar als ein Vorreiter bei der Tolerierung anderer Konfessionen bezeichnet werden. Die Militärdienstzeit wechselte im 18. Jahrhundert von einer lebenslangen zu einer begrenzten Dauer. Die Kinder der Soldaten sollten wiederum ein billiges Rekrutierungspotential abgeben. Städtischerseits wurde wiederholt über das Eindringen (besser nicht "Eindrang", 412) des Militärs in bürgerliche Gewerbe, z.B. die Tuchfabrikation geklagt. Die Festung Stralsund diente nicht nur zur Landesdefension, sondern auch zur Sozialdisziplinierung und vieles andere mehr.
"Im Wissen darum, dass jeder, der wissenschaftliches Neuland betritt, bisweilen auch fehlgeht, sollen die bis hierher gewonnenen Erkenntnisse und Thesen Anregungen zu ferneren Forschungen geben", lautet der bescheidene Schlusssatz der Untersuchung (418). Tatsächlich wartet die akribisch recherchierte Arbeit weniger mit wirklichen Thesen auf. Dafür ist sie reich an spannenden Erkenntnissen im Detail, die ein annähernd umfassendes Bild von der schwedischen Festung und Garnison in Stralsund vor dem Auge der geneigten Leserschaft erstehen lassen. In jedem Fall bleibt zu hoffen, dass die militärhistorisch ausgerichtete Forschung künftig wirklich dort weiter macht, wo Oldachs Arbeit leider aufhört: Beim Vergleich mit den Verhältnissen anderenorts im Reich. Denn was das Besondere an den Verhältnissen in Schwedisch-Pommern im 18. Jahrhundert war und was Allgemeinplatz, dieser aufschlussreichen und für die richtige Einordnung der Resultate eigentlich unabdingbaren Frage wendet sich der Autor in seiner Studie noch mit keiner Silbe zu.
Oliver Auge