Rezension über:

Stefan Petersen: Benefizientaxierungen an der Peripherie. Pfarrorganisation - Pfründeeinkommen - Klerikerbildung im Bistum Ratzeburg (= Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte; Bd. 166), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2001, 498 S., 49 Abb., ISBN 978-3-525-35312-7, EUR 52,00
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Rezension von:
Oliver Auge
Historisches Institut, Universität Greifswald
Redaktionelle Betreuung:
Stephan Laux
Empfohlene Zitierweise:
Oliver Auge: Rezension von: Stefan Petersen: Benefizientaxierungen an der Peripherie. Pfarrorganisation - Pfründeeinkommen - Klerikerbildung im Bistum Ratzeburg, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2001, in: sehepunkte 2 (2002), Nr. 6 [15.06.2002], URL: https://www.sehepunkte.de
/2002/06/2843.html


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Stefan Petersen: Benefizientaxierungen an der Peripherie

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Wiewohl Arbeiten zum spätmittelalterlichen Klerus derzeit eine gewisse, sozialgeschichtlich dominierte Konjunktur haben, ist der damit eng verbundene wirtschaftsgeschichtliche Aspekt klerikaler Vergangenheit nach wie vor und besonders im Hinblick auf den so genannten niederen Klerus als ein Desiderat der Forschung zu bezeichnen, das ebenso erstaunlich wie schmerzlich ist. Erstaunlich, weil im Prinzip hinreichend Quellen vorhanden sind, die einen vertieften Blick etwa auf das spätmittelalterliche Pfründenwesen und das kirchliche Finanzwesen oder auf die Einkommensverhältnisse der Kleriker erlauben, schmerzlich, da doch einzelne Forscherinnen und Forscher in jüngerer Zeit zu der wichtigen, an sich aber kaum verwunderlichen Erkenntnis gelangten, dass sozial- und wirtschaftsgeschichtliche Kriterien den Hintergrund für fast alle politisch-kirchlichen Ereignisse bildeten und vom äußeren Verlauf der Geschichte kaum zu trennen sind.

Angesichts dessen muss der kirchengeschichtlich ausgerichteten Geschichtswissenschaft eine Studie wie die hier zu besprechende von Stefan Petersen um so willkommener sein. Es handelt sich dabei um seine im Rahmen des Göttinger Graduiertenkollegs "Kirche und Gesellschaft im Heiligen Römischen Reich des 15. und 16. Jahrhunderts" erstellte und im Sommersemester 1998 von der Philosophischen Fakultät der Universität Göttingen angenommene Dissertation, die nun in der angesehenen Reihe der Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte beziehungsweise der Studien zur Germania Sacra erschienen ist - dies allein schon Ausweis für Qualität und Wert der Arbeit. Letzterer wird noch dadurch gesteigert, dass sich Petersen des oben kurz angesprochenen Desiderats am Beispiel des Bistums Ratzeburg annimmt, anhand eines peripheren Exempels also, das in diesem Zusammenhang leicht (aber zu Unrecht) aus dem Blickfeld geraten könnte. Ratzeburg wählte der Verfasser auf Grund der im Schlussteil als "äußerst günstig" (171), im Klappentext schon als "sensationell" bezeichneten Quellenüberlieferung: Es existieren zu Ratzeburg nämlich Einkünftetaxierungen aus dem Jahre 1319 und zwei Benefizienregister von 1344/47 sowie 1485/86, die einen ungewöhnlich tief gehenden Blick auf die Pfarrorganisation der Diözese, auf das Pfründeneinkommen und dessen Zusammensetzung und insbesondere im Fall der letztgenannten Quelle auf das klerikale Personal gewähren.

Nach einem Vorwort (5f.), einem übersichtlich gestalteten Inhaltsverzeichnis (7-9) und einer knapp gehaltenen Einleitung (11-14) wendet sich Petersen zunächst den Ratzeburger Benefizientaxierungen von 1319 zu (15-110). Dabei behandelt er zuerst den allgemeinen Hintergrund, der zur Abfassung der Taxierungen führte, nämlich die päpstliche Annatenreservation von 1316 (15-21) und die Beziehungen der päpstlichen Finanzverwaltung zu Ratzeburg vor 1316 (21-32). Weder im Falle des Lyoner noch des Vienner Kreuzzugszehnten von 1274 beziehungsweise 1311/12, so Petersen, kam es zu einer päpstlichen Zehnteinschätzung, die alle Benefizien des Bistums Ratzeburg umfasste. "Daher konnte hier im Zuge der päpstlichen Annatenreservation von 1316 nicht auf eine Zehnttaxe als Grundlage für die Annatenbemessung zurückgegriffen werden" (32). Dann behandelt Petersen die an den Taxierungen beteiligten päpstlichen Kollektoren Jacobus de Rota und Petrus von Schönberg und ihre Tätigkeit (32-64), wobei er mit seiner Beobachtung, dass es mit Hand- und Kammerexemplaren zwei bisher nicht beachtete Arten von relationes/Rechnungsbüchern gibt, neue Erkenntnisse zur Rechnungslegung mit der camera apostolica liefert (46-50) und den örtlichen Widerstand gegen die Kollektorentätigkeit ausführlich, zuweilen aber durch die enge Anlehnung an die Textvorlagen sprachlich etwas schwerfällig (zum Beispiel 61f.: "Diese Schweriner Appellation weist Jacobus de Rota [...] zurück. [...] Deshalb weise er die Appellation zurück.") darlegt. Der Widerstand hatte sich Petersen zufolge am Vorgehen de Rotas entzündet, der nicht nur die für die Annaten relevanten, sondern alle Benefizien des Bistums zu taxieren suchte. Als Ergebnis dieser Bemühungen sind die Taxen zu betrachten, die Petersen im Anschluss einer eingehenden Untersuchung unterzieht (64-110). Durch eine überzeugende diplomatische Analyse der äußeren und inneren Merkmale der Taxierungen (68-91) zeigt er, dass "infolge des Taxierungsbefehls des päpstlichen Kollektors [...] Mitte August 1319 eine sonst nicht nachweisbare Synode im Bistum Ratzeburg abgehalten wurde, auf der die meisten Pfründeninhaber ihre Einkünfte darlegten" (172). Diesen Einkünften - von den Geistlichen in den Taxen gesondert nach Dotalhufen, Zehnt und Oblationen aufgeführt - widmet sich Petersen im Folgenden (92-109) und kann beweisen, dass "die Erträge aus den Dotalhufen, welchen in karolingischer Zeit eine überragende Stellung als Garant eines Mindesteinkommens zugekommen war, im Spätmittelalter nur noch eine untergeordnete Rolle spielten; die Einkünfte aus den Oblationen machten auch für ländliche Pfarreien den wichtigsten Bestandteil am Jahreseinkommen aus" (173).

Im zweiten großen Teil von Petersens Arbeit geht es um die partikulare Tradierung der Benefizientaxierungen von 1319 (109-169). So nimmt indirekt ein Subsidienregister, das man nach Petersen neu auf die Jahre 1344/47 zu datieren hat, auf die Taxierungen von 1319 Bezug (111-133). Es ging als Abschrift aus einem nicht mehr vorhandenen Kreuzzugszehntregister von 1335 hervor (116-121) und entstand im Kontext eines subsidium caritativum, das Erzbischof Otto von Bremen damals gewährt worden war. Die im Subsidienregister zusammengestellten Einkünfte stimmen weitgehend mit denen der Taxierungen von 1319 überein. "Die im Zusammenhang mit dem päpstlichen Kollektorium 1319 ermittelten Einkünfte der Ratzeburger Benefiziaten wurden demnach nun auch für die erzbischöfliche Finanzverwaltung als Grundlage der Abgabenbemessung verwandt" (173).

Ähnliches gilt für die zweite erhaltene Tradierung: ein Benefizienregister, das Petersen anders als die bisherige Forschung nunmehr auf die Jahre 1485/86 ansetzt (133-169). Auch diesem lag ein subsidium caritativum zu Grunde, und auch dieses geht über die Verwendung der Vorlage von 1344/47 letztlich auf die Taxierungen von 1319 zurück. Der Schluss, den Petersen aus dieser Quelle zieht, geht in zweierlei Richtungen: Einmal hält er fest, dass noch zum Ende des 15. Jahrhunderts die zu den Pfarrbenefizien erstellten Taxwerte des beginnenden 14. Jahrhunderts als Grundlage für die Abgabenbemessung herangezogen wurden, dass also die jeweiligen Pfründinhaber angesichts von Inflation und Pfründenzuwachs "relativ weniger Abgaben zu leisten [hatten] als ihre Vorgänger im 14. Jahrhundert" (174). Andererseits verweist er auf die nachhaltigen Veränderungen bei den Vikarien, deren Zahl im behandelten Zeitraum enorm zunahm. Sie galt es daher neu einzuschätzen, was damals anders als bei den Pfarrbenefizien den Abzug des zehnten Teils des tatsächlichen Einkommens zur Folge hatte. Die starke Zunahme der Vikarien hatte noch eine weitere Folge: "Wurde noch Mitte des 14. Jahrhunderts der überwiegende Teil der Gesamterträge des Subsidiums von den Ratzeburger Pfarrern getragen, machten 1485/86 die Abgaben der Vikare weit mehr als die Hälfte des Gesamterlöses aus dem Subsidium aus" (175).

In einem knappen Schlussteil fasst Petersen in lobenswert übersichtlicher Form die Ergebnisse seiner Untersuchung zusammen (171-175). Daran schließen sich umfangreiche Anhänge an: Zuerst die vorbildliche Edition der Ratzeburger Taxen von 1319 (177-232), des Benefizienregisters von 1344/47 (233-244) sowie des Benefizienregisters von 1485/86 (245-271). Dann folgt eine erfahrungsgemäß sehr arbeitsintensive Prosopographie der in der Quelle von 1485/86 genannten Kleriker, die, in wiederum sehr übersichtlicher Weise alphabetisch geordnet, die ermittelten Daten nach dem Schema Datum/Regest/Belegstelle präsentiert (273-345). Zwei weitere Anhänge bieten Tabellen und Karten zu dem im Vorfeld Gesagten (347-361) sowie in ihrer Qualität insgesamt befriedigende Abbildungen zu den Taxen von 1319 (weniger gut zum Beispiel Taf. 33 oder 46) (363-392). Ein Abkürzungsverzeichnis (393), ein in seiner Ausführlichkeit überzeugendes Literatur- und Quellenverzeichnis (395-426) und zu guter Letzt ein stimmiges Register zu Orten und Personen (427-495) und zu Sachen (495-498) beschließen die Abhandlung.

Deren Wert fasst der Autor selbst prägnant in Worte: "Einerseits kann die Organisation eines päpstlichen Kollektoriums auf Diözesanebene mit sonst nicht üblicher Genauigkeit nachvollzogen werden. Andererseits lässt sich hier nachweisen, wie Ergebnisse eines päpstlichen Kollektoriums durch Weiterverwendung im partikularen Bereich bis zum Ende des Mittelalters tradiert wurden" (175). Die Arbeit vermittelt somit interessante, aufschlussreiche, neuartige Einblicke in das Funktionieren der päpstlichen Finanzverwaltung und darüber hinaus - das machte das im Vorangehenden Gesagte zur Genüge deutlich - in die Pfarrorganisation des Bistums Ratzeburg und die Einkommensverhältnisse seiner Geistlichen. Damit verleiht sie in wertvoller Weise einem bisher weißen Fleck auf der Karte der Germania Sacra Kontur.

Was bleibt bei so viel berechtigtem Lob zu bemängeln? Es erweist sich als Manko der Arbeit, dass im Unterschied zu Pfarrorganisation und Pfründeneinkommen über die ebenso im Buchuntertitel angeführte Klerikerbildung so gut wie nichts gesagt wird. Lediglich über die Schreibfähigkeit (70) und die Lateinkenntnisse (73-79) der Ratzeburger Geistlichen verliert Petersen einige wenige Worte, die es aber kaum rechtfertigen, den Bildungsaspekt an so prägnanter Stelle als Thema der Arbeit anzuführen. Die Prosopographie enthält freilich viele bildungsgeschichtliche Daten, doch werden sie in keiner Weise in einem darstellenden Teil zusammengefasst. Durch die falschen Erwartungen, die die Arbeit durch ihren in dieser Hinsicht also fragwürdigen Buchuntertitel weckt, werden bildungsgeschichtlich interessierte Leser sicher enttäuscht werden. Doch - das sei versöhnlich zum Ende gesagt - diesen verspielten Kredit wird die Freude der Wirtschafts- und Sozialhistoriker an Petersens Werk sicher wettmachen.


Oliver Auge