Josef Pauser / Martin P. Schennach (Hgg.): Die Tiroler Landesordnungen von 1526, 1532 und 1573. Historische Einführung und Edition (= Fontes rerum Austriacarum. III. Fontes Iuris; Bd. 26), Wien: Böhlau 2018, 796 S., 24 s/w-Abb., ISBN 978-3-205-20668-2, EUR 100,00
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Editionen bleiben wichtig. Die geisteswissenschaftliche Forschung seit dem 19. Jahrhundert hat gerade mit ihren Quellenerschließungen Bleibendes geleistet. Die Fragestellungen, Methoden und Turns in den Geschichtswissenschaften lösen sich in immer schnellerem Wechsel gegenseitig ab. Die Quellen sind aber die Grundlagen, auf denen alles beruht. Je weiter man zurückgeht, umso schmaler wird die Überlieferung. Zur frühen Neuzeit hin nimmt die Zahl der Quellen explosionsartig zu. Es ist schlechthin nicht möglich, hier alles im Volltext in modernen Ausgaben herauszubringen. Die erste Entscheidung bei der Edition frühneuzeitlicher Quellen ist somit die Frage nach ihrer Editionswürdigkeit. Bereits formal sieht die Antwort bei damals schon gedruckten Texten oder rein archivalischer Überlieferung unterschiedlich aus. Für die Rechtsgeschichte stellt sich zudem die Frage, ob man normative Quellen oder Schlaglichter aus der Rechtspraxis zugänglich machen möchte. Wenn die Quellenedition dazu einlädt, künftige weiterführende Forschungen mit genau diesem Material zu ermöglichen, kommt dem Herausgeber eine nicht zu unterschätzende Verantwortung zu.
Die beiden österreichischen Rechtshistoriker Josef Pauser und Martin Schennach stehen mit ihrem Buch in der Tradition der Normengeschichte und legen in moderner Edition drei umfangreiche Tiroler Landesordnungen aus dem 16. Jahrhundert vor. Hierbei handelt es sich um zentrale normative Quellen für die Landesverwaltung und Gesetzgebungsgeschichte der beginnenden Neuzeit. Bereits ein knapper Blick auf die Überlieferungsgeschichte zeigt, wie schwierig es ist, von drei verschiedenen Ordnungen zu sprechen. Jedes Gesetz ist seinerseits in mehreren Druckausgaben überliefert. Außerdem reformierten die jeweiligen Neufassungen immer nur einen Teil der Vorschriften, übernahmen aber auch vieles aus den älteren Fassungen. Richtigerweise endet die Edition daher mit einer detaillierten Konkordanz. Von der Malefizordnung von 1499, der ältesten erfassten Quelle, bis zur Policeyordnung von 1573, lässt sich auf diese Weise gut nachvollziehen, welche Regelungen zu welchem Zeitpunkt neu geschaffen oder verändert wurden. Auch zeigt sich abermals die sattsam bekannte Weitschweifigkeit der frühneuzeitlichen Behördensprache. Die Ordnung von 1526 umfasst in der modernen Druckausgabe etwa 95 Seiten, die Ordnung von 1532 benötigt 165 Seiten, diejenige von 1573 bereits 230 Seiten. In wenigen Jahrzehnten hatte sich der Umfang von Gesetzen, die im Wesentlichen denselben Regelungsgegenständen galten, mehr als verdoppelt. Andere frühneuzeitliche Quellen, etwa die unlängst herausgegebenen Wahlkapitulationen der römisch-deutschen Kaiser, zeigen genau diesen Befund. [1]
Die Einleitung der Herausgeber ist vergleichsweise knapp gehalten. Man erfährt einiges zur Gesetzgebungsgeschichte, dann aber stehen vor allem die Druckbeschreibungen ganz im Mittelpunkt. Hier hat die inzwischen über zehnjährige Tätigkeit von Josef Pauser als Bibliothekar ihre deutlichen Spuren hinterlassen. In handwerklich-bibliografischer Hinsicht sind die quellenkundlichen Hinweise vorbildlich geraten. Die noch vorhandenen zeitgenössischen Exemplare sind aufgelistet (mit den heutigen Signaturnummern der jeweiligen Bibliotheken), es gibt hilfreiche Querverbindungen zu den Nachweisen im vd-16 und vd-17. Vor allem veranschaulichen die faksimilierten Titelblätter der Druckausgaben aus dem 16. Jahrhundert (89-105), dass hier wirklich jeweils Veränderungen vorgenommen wurden.
Die stark buchwissenschaftlich-bibliothekarisch orientierte Einleitung hat allerdings ihren Preis. Aus rechtshistorischer Sicht wären manche inhaltlichen Vertiefungen sehr hilfreich gewesen. Was die Gesetzgebung selbst betrifft, hat Martin Schennach große Abschnitte seiner Habilitationsschrift bereits diesen Fragen gewidmet. [2] Trotzdem bleiben daneben viele weitere Punkte offen. So haben Eberhard Schmidt und andere Strafrechtshistoriker die Tiroler Malefizordnung von 1499 immer in einem Atemzug mit der Halsgerichtsordnung von Radolfzell von 1506 genannt. Beide sollen als maximilianeische Halsgerichtsordnungen für das überharte Strafrecht am Vorabend der Rezeptionszeit stehen. [3] Ob man diese Sichtweise heute noch teilen muss, steht hier nicht zur Entscheidung. Aber bei Pauser / Schennach dient die Tiroler Ordnung nur noch als Vorläufer zum zweiten Teil der Landesordnung von 1526. Genau diese Landesordnung von 1526 soll wichtige Bestimmungen zur Einhegung von Fehde und eigenmächtiger Selbsthilfe enthalten haben. Solche Vertiefungen findet man bei Pauser / Schennach kaum. Die Quellenedition bietet damit also keinen Kommentar.
Plausibel und praktisch handhabbar ist die Arbeitsdefinition einer Landesordnung (18). Trotz vielfacher Überschneidungen mit Policeyordnungen und Landrechten war es gerade der umfassendere sachliche Gegenstandsbereich, der diese größeren Ordnungen auszeichnete. Dass man es nicht mit Kodifikationen im modernen Sinne zu tun hat, versteht sich von selbst (ausdrücklicher Hinweise auf Seite 22). Es gab das spätere Ideal der Vollständigkeit noch nicht, vielmehr ging es darum, besonders streitige und konfliktträchtige Regelungspunkte zu klären, zu welchen Gegenständen auch immer. Hier hätte sich möglicherweise ein Hinweis auf die sogenannte Kontroversengesetzgebung angeboten. Sehr anschaulich zeigen die Herausgeber zuletzt, wie die Landesordnung im 18. Jahrhundert zunehmend an Bedeutung verlor, ohne formell je aufgehoben zu werden. In einigen Einzelheiten des Grundherrschaftsrechts soll die Landesordnung bis 1815 noch gegolten haben.
Die Quellenedition kommt bis auf winzige textkritische Anmerkungen ganz ohne Erläuterungen aus. Mit Normalisierungen halten sich die Herausgeber zurück, selbst schwer lesbare Uneinheitlichkeiten in der Verwendung von u / v oder i / j bleiben erhalten, ebenso wie die zeitgenössische Groß- und Kleinschreibung. Aber wer sich ernsthaft für das 16. Jahrhundert interessiert, wird den Text dennoch lesen können. Neben einem sehr feingliedrigen Register (686-760) enthält die Veröffentlichung zusätzlich ein hilfreiches Glossar (763-779). Hier sind unter anderem zahlreiche Wörter des zeitgenössischen Dialekts entschlüsselt, die einer Beschäftigung mit den Tiroler Quellen allzu leicht entgegenstehen können. Wer weiß schon, was Loferer, Nachgriesch oder Melbler sind?
Insgesamt ist eine umfassende Edition anzuzeigen, die für ein größeres Territorium die zentralen normativen Quellen des 16. Jahrhunderts versammelt. Der Zugriff auf die Texte ist damit deutlich vereinfacht. Die inhaltliche Arbeit müssen die Benutzer des Buches aber erst noch leisten.
Anmerkungen:
[1] Wolfgang Burgdorf (Hg.): Die Wahlkapitulationen der römisch-deutschen Könige und Kaiser 1519-1792 (= Quellen zur Geschichte des Heiligen Römischen Reiches; Bd. 1), Göttingen 2015.
[2] Martin P. Schennach: Gesetz und Herrschaft. Die Entstehung des Gesetzgebungsstaates am Beispiel Tirols (= Forschungen zur Deutschen Rechtsgeschichte; Bd. 28), Köln / Weimar / Wien 2010, 481-613.
[3] Eberhard Schmidt: Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, 3. Aufl. Göttingen 1965, §§ 82-83.
Peter Oestmann