Rezension über:

Tobias Kunz (Bearb.): Bildwerke nördlich der Alpen und im Alpenraum 1380 bis 1440. Kritischer Bestandskatalog der Berliner Skulpturensammlung, Petersberg: Michael Imhof Verlag 2019, 624 S., zahlr. Abb., ISBN 978-3-7319-0755-8, EUR 79,00
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Rezension von:
Anna Pawlik
Kunstdenkmalpflege, Stabstelle Erzdiözesanbaumeister, Erzbistum Köln
Redaktionelle Betreuung:
Joanna Olchawa
Empfohlene Zitierweise:
Anna Pawlik: Rezension von: Tobias Kunz (Bearb.): Bildwerke nördlich der Alpen und im Alpenraum 1380 bis 1440. Kritischer Bestandskatalog der Berliner Skulpturensammlung, Petersberg: Michael Imhof Verlag 2019, in: sehepunkte 19 (2019), Nr. 5 [15.05.2019], URL: https://www.sehepunkte.de
/2019/05/32788.html


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Tobias Kunz (Bearb.): Bildwerke nördlich der Alpen und im Alpenraum 1380 bis 1440

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Mit dem Band zu den Bildwerken zwischen 1380 und 1440 legt Tobias Kunz bereits den zweiten Bestandskatalog der Berliner Skulpturensammlung vor, der aktuelle folgt dem bereits 2014 erschienenen zu den Bildwerken von 1050 bis 1380 in vergleichbarer Dichte und Gewicht. [1] Die kunstwissenschaftlichen Ausführungen werden ergänzt durch kunsttechnologische Beobachtungen und Untersuchungen, die von einem sechsköpfigen Restauratoren-Team erarbeitet und verfasst wurden. Die vergleichsweise enge zeitliche Auswahl ist dem großen Objektbestand aus dieser Zeit in der Berliner Sammlung geschuldet, die eine der weltweit bedeutendsten und vielfältigsten Bestände des sogenannten Weichen Stils umfasst. Die Gründe für diese Fülle liegen, so Kunz in der Einleitung, in der gezielten und finanziell gesegneten Sammlungspolitik der Jahre vor dem Ersten Weltkrieg (9). So erwarten den Leser bzw. Nutzer sowohl Wiederbegegnungen mit "alten Bekannten" ebenso wie wichtige Neuentdeckungen.

Nach dem Vorwort und einer inhaltlichen Einführung schließt sich der umfangreiche, 466 Seiten starke Katalog an, der im Ersten funktional, im Folgenden nach Material unterteilt ist. Alle Katalogeinträge dokumentieren einerseits den kunsttechnologischen Befund sowie die kunstgeschichtliche Einordnung. Gegliedert sind alle Einträge nach technologischen Angaben, Bildträger, Fassung, sekundären Veränderungen und Restaurierungen, Zustand, Herkunft, Beschreibung und Ikonografie, Kontext, Stil und Datierung, Literatur.

Den ersten Teil bilden die Bauskulptur und die hier sogenannten dekorativen Elemente. Hier bleibt fraglich, warum die neun süddeutsch-fränkischen Totenschilde als ebensolche bezeichnet werden, da sie vorrangig memoriale Funktion hatten und nicht der reinen Dekoration dienten (14-60), darüber hinaus weiten die Objekte den Blick auf andere, mitunter weniger rezipierte Objektgruppen. Den zweiten Teil umfassen die figürlichen Bildwerke aus Stein, Holz und Ton (62-490), wobei das Kapitel nach Regionen gegliedert wurde, was angesichts der Objektfülle sinnvoll ist (Böhmen, Schlesien und Lausitz, Franken, Bayern und Salzburg, Kärtnen, Steiermark und Tirol, Schwaben und Allgäu, Oberrhein, Mittelrhein, Niederrhein, Westfalen und Norddeutschland, Niederlande, Frankreich). Allein diese Binnengliederung lässt ahnen, welche Objektvielfalt dieser Katalog ausbreitet. In einem dritten Kapitel sind die figürlichen Bildwerke aus Alabaster (492-526) aufgeführt, die hier aufgrund ihres noch immer erheblichen Forschungsbedarfs aus der regionalen Einteilung ausgegliedert wurden. Insgesamt sieben Metallarbeiten sind im vierten Kapitel versammelt (528-542). In einem fünften Teil werden 16 verlorene und abgegebene Werke zusammengefasst (544-580). Abschließend folgt der obligatorische Anhang mit Literaturverzeichnis und hilfreichen Registern der Herkunftsorte, Vorbesitzer und Kunsthändler sowie ein ikonografisches und Sachregister. Die Inventarnummernkonkordanz und ein Register der erwähnten Vergleichsobjekte nach Aufbewahrungsorten helfen zusätzlich bei der Benutzung. Alle Bildwerke sind durchgehend aus mehreren, sinnhaft gewählten Perspektiven inklusive aller Rückseiten abgebildet, die Abbildungen sind hervorragend von Antje Voigt aufgenommen worden. Der Satz ist übersichtlich, die durchlaufende Fußzeile mit Nennung der Kat.Nr. erleichtert die Orientierung innerhalb des üppigen Bandes.

Handelt es sich bei Bestandskatalogen nicht klassischerweise um Werke, deren vollständige Lektüre für das Gesamtverständnis notwendig ist, beweist der vorliegende Band eine hohe Qualität hinsichtlich der Einheitlichkeit und Lesbarkeit der Einträge. Dazu trägt auch die hohe Disziplin bei, die das Autorenteam bei der Erstellung der Katalogtexte - unter hohem Zeitdruck und aufgrund der hohen Objektzahl - beweist. Dennoch erweist sich der Katalog als durchaus flexibel, etwa, wenn einzelne Objekte in ihrer Datierung nicht in die enge Zeitspanne zwischen 1380 und 1440 passen, jedoch aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer geschlossenen Objektgruppe aufgenommen wurden, um eben diese vollständig darzustellen (zum Beispiel die vorreformatorischen Totenschilde oder alle englischen Alabasterwerke) (9). Darüber hinaus wird dem Schönen Brunnen in Nürnberg ein separates Kapitel gewidmet (Kat.Nr. 28), um die in Berlin erhaltenen Köpfe einzuordnen. Bei anderen Figuren erweist es sich als sinnvoll, die kunsttechnologischen Ausführungen dem Befund angemessen bzw. entsprechend gekürzt darzustellen (Kat.Nr. 30-33). Hilfreich sind die bei einigen Bildwerken eingefügten Kartierungen der nachmittelalterlichen Veränderungen. Sie entlasten den Textteil und sind in ihrer Aussage ungleich dichter (Kat.Nr. 34). Ergänzend sind Rekonstruktionen von Originalfassungen dargestellt (Kat.Nr. 66) oder Röntgenaufnahmen zur Erläuterung eines Befundes (Kat.Nr. 72). Die Beobachtungen zu den sekundären Veränderungen an den Bildwerken werden deren Einordnung zukünftig erheblich erleichtern. Die Diskussion um Stil und Datierung ist angenehm schlank gehalten, umreißt jedoch stets die wesentlichen Stationen zur Einordnung der Objekte und lässt Raum für die Vor- und Darstellung von Vergleichsobjekten (Kat.Nr. 43). Ein Beispiel für die oben erwähnten Entdeckungen ist auch eine Kölnische stehende Maria mit Kind aus der Zeit um 1410/20 (Kat.Nr. 72), die bereits in knapper Form von Robert Suckale [2] einem Werkstatt-Zusammenhang zugeordnet wurde. Kunz kann hier nun erstmals diese Gruppe ausführlicher diskutieren und die Figur neben eine in St. Gereon in Köln erhaltene Madonna aus St. Mariagraden stellen. Diese Zusammenschau wird in der Folge auch die weiterhin diskutierte Zuschreibung der Verkündigungsgruppe in St. Kunibert in Köln an den Dombaumeister und Bildhauer Konrad Kuyn noch einmal ausweiten. [3]

Der Berliner Skulpturensammlung kann in jeder Hinsicht dazu gratuliert werden, diesen - erheblich durch Drittmittel finanzierten - Band vorlegen zu können. Er wird zweifellos die Grundlage aller weiteren Forschungen sein und ein wesentliches Standardwerk insbesondere zu den Figuren des Weichen Stils werden. Tobias Kunz beweist hier ein weiteres Mal seine vielfältige Kenntnis der mittelalterlichen Skulptur. Es wäre überaus wünschenswert, wenn es gelänge, Autor und Objekte für eine weitere Fortsetzung zusammenzubringen. Gedanklich möchte man bereits Platz im Bücherregal schaffen.


Anmerkungen:

[1] Tobias Kunz (Bearb.): Bildwerke nördlich der Alpen 1050 bis 1380. Kritischer Bestandskatalog der Berliner Skulpturensammlung, Petersberg 2014.

[2] Robert Suckale (Hg.): Schöne Madonnen am Rhein, Ausstellungskatalog LVR-Landesmuseum Bonn, Leipzig 2009, bes. 84-91.

[3] Günter Regenberg: Die Verkündigungsgruppe in St. Kunibert, in: Wallraf-Richartz-Jahrbuch 61 (2000), 41-68; zuletzt Marc Steinmann: "Vier Statuetten aus Stein", in: Die Vier Gekrönten. Konrad Kuyn (= Werkhefte und Bücher; Bd. 48), hgg. von Stefan Kraus / Ulrike Surmann / Marc Steinmann / Barbara von Flüe, Köln 2016, 9-49.

Anna Pawlik