Tony Spawforth: The Story of Greece and Rome, New Haven / London: Yale University Press 2018, X + 375 S., 27 Farb-Abb., 5 Kt., ISBN 978-0-300-21711-7, GBP 20,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Monika Schuol: Augustus und die Juden. Rechtsstellung und Interessenpolitik der kleinasiatischen Diaspora, Berlin: Verlag Antike 2007
Martin Jehne / Francisco Pina Polo (eds.): Foreign clientelae in the Roman Empire. A Reconsideration, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2015
Klaus Rosen: Konstantin der Große. Kaiser zwischen Machtpolitik und Religion, Stuttgart: Klett-Cotta 2013
Das Buch des englischen Althistorikers, Emeritus der Newcastle University, bietet wohlgemerkt keine history von Griechenland und Rom, sondern eine story - eine Erzählung oder eine Aneinanderreihung von Geschichten. Sie gelten nicht den politischen und gesellschaftlichen Kernthemen, die gewöhnlich im Mittelpunkt handbuchartiger Überblickswerke stehen, auch nicht den Methoden und Theorien, diese Themen zu erhellen. Vielmehr steht im Fokus die griechisch-römische "Zivilisation", deren Werden und Wachsen, ihre gegenseitige Befruchtung, ihre Selbstidentität in Abgrenzung zur nicht-zivilisierten Außenwelt. Spawforth öffnet eine Welt von Lebenssituationen und Lebensschicksalen, um die sich die historischen Abläufe im engeren Sinne gleichsam als Hintergrundfolie herumgruppieren. In einem "Prolog" wird das antike Verständnis von Zivilisation mit dem Gegensatz von "wilder" und "gezähmter" Welt erklärt, und Spawforth erläutert diesen Gegensatz nicht mit heutigem definitorischen Vokabular, sondern mit solchen Zeugnissen, die die antiken Zeitgenossen diesbezüglich hinterlassen haben: angefangen von einer Vasenmalerei des 5. Jahrhundert v.Chr. mit der Darstellung des drachenförmigen Kekrops, der den Athenern städtisches Leben und die Kunst des Schreibens vermittelte; dann über Szenen des Parthenonfrieses, der "Perser"-Tragödie des Aischylos, ein Herodot-Zitat und anderes bis hin zu einer Statue des römischen Kaisers Hadrian im Istanbuler archäologischen Museum, die die Botschaft von der Überlegenheit Roms über die Welt bedrohende Barbaren vermittelt, und schließlich bis hin zu einem Zitat des christlichen Mönches Maximus, der im 7. Jahrhundert n.Chr. die eigene zivilisierte Welt Palästinas in den Stürmen der aggressiven Armeen islamischer Eroberer untergehen sieht.
Damit soll angedeutet werden, wie Spawforth auch in den folgenden Hauptkapiteln den Leser gleichsam an die Hand nimmt, wie er ihn über archäologische Grabungen führt, in Museen begleitet, ihn das Werk eines antiken Autors aufschlagen oder an einer Diskussion mit einem Kollegen auf den Fluren seiner Universität teilnehmen lässt (mit letzterem beginnt er das Kapitel über die Anfänge des Christentums, "the Jesus movement" in der Diktion des Kollegen). Diese Annäherung an die antike Welt wird noch dadurch authentischer, dass Spawforth sehr viele Plätze auf dem Boden des ehemaligen Römischen Reiches, von denen er in die Antike hinabsteigt, persönlich gesehen und geradezu erlebt hat, namentlich in Griechenland, wo er sich längere Zeit als assistant director der British School of Archaeology in Athen aufgehalten hat: Ich nenne als Beispiel die Schilderung seines Besuches in einer griechischen Armeekaserne am Isthmus von Korinth (72-73) oder auf einem Holzgerüst am Grabhügel von Vergina (163), mit der er den technischen Erfindungsreichtum der Korinther oder das makedonische Königtum des 4. Jahrhundert. v.Chr. einleitet.
Die Reihenfolge der Hauptkapitel und damit der Aufbau des Buches folgt, nach Griechenland und Rom getrennt, der traditionellen Epocheneinteilung, wobei die Neugierde des Lesers allein schon durch originelle, aber treffende Kapitelüberschriften geweckt wird - etwa: "Game of Thrones, or the World after Alexander" (der Begriff "Diadochen" fällt nirgends). Aus der Fülle des Stoffes der traditionellen Ereignisgeschichte musste Spawforth, wie er selbst betont (11), eine strenge Auswahl treffen, wobei als Kriterium ihr jeweiliger Beitrag zum Verständnis der kulturellen Kreativität einer Epoche, also zu den Bausteinen der antiken Zivilisation angelegt wurde. Dementsprechend werden dem Leser die Epochen und Themen mit ungleicher Intensität präsentiert, zu seiner Entlastung reiht auch die Zeittafel am Ende des Buches nur die dort erwähnten Namen und Fakten (und selbst diese nicht vollständig) in ein chronologisches Gerüst ein. Themenbereiche, die in der Fachwelt gewöhnlich hervorstechen, werden teilweise nur am Rande oder gar nicht abgehandelt. Die Reformen Solons und die Tyrannis der Peisistratiden nehmen nicht mehr Raum ein (eine Seite) als die anschließende Beschreibung technischer Innovationen im Tunnel- und Tempelbau auf der Insel Samos im 6. Jahrhundert v.Chr. Das erste Kapitel zu Rom startet nicht mit der dornigen Diskussion über die Historizität von Daten und Fakten der frühen römischen Geschichte, sondern mit einer ausführlichen Präsentation des Textes vom Scipionengrab (um 200 v.Chr.), um die über Generationen hochgehaltenen aristokratischen Normen innerhalb der führenden Familien der Stadt zu illustrieren. Der Leser wird nicht belehrt über die tragenden Säulen der augusteischen Prinzipatsordnung, sie ist schlichtweg das Resultat eines zusammengebrochenen republikanischen Systems; viel wichtiger im Sinne der Konzeption des Buches ist das römische Kaiserreich als Rahmen und Förderer einer griechisch-römischen Symbiose (darüber ein eigenes Kapitel) und als Zivilisationsträger namentlich für die Randgebiete des Imperiums, wobei Spawforth im Falle Britanniens wiederum aufgrund von Autopsie der Überreste für die Demonstration antiker Lebenswirklichkeiten aus dem Vollen schöpfen kann.
Die Kapitel über die letzten Jahrhunderte des Römischen Reiches beginnen mit der Episode, wie Spawforth als junger Doktorand auf der Peloponnes bei einem Mittagssnack Reste einer altgriechischen Inschrift, verbaut in einer mittelalterlichen Kirche, entdeckte - sie stellten sich als Teil des Höchstpreisediktes Kaiser Diokletians heraus, womit der Einstieg in die Reformpolitik dieses Kaisers vollzogen wird. Die Kapitel enden mit der Schilderung einer Begegnung zwischen Spawforth und einem gelehrten Zeitgenossen, der aus dem Stegreif Gedichte in Altgriechisch verfassen konnte; mit dieser Anekdote schlägt er die Brücke zum Jerusalemer Patriarchen Sophronios, der im 7. Jahrhundert n.Chr. in archaischem Griechisch Verse verfasste und gleichzeitig mit dem arabischen Kalifen Umar Konversation pflegte - das erste Zusammentreffen zweier Welten mit jeweils langer Zukunft (so Spawforth).
Mit diesen Beispielen soll dem Charakter der Darstellung Genüge getan sein. Auch wenn sich Spawforth vornehmlich an ein in der Antike weniger bewandertes Publikum richten möchte, so erfreut sich auch der Fachmann einer durchaus spannenden Lektüre: Mit jedem Kapitel lässt man sich überraschen, durch welche aktuelle Tür er den Fahrstuhl in die Antike betritt und auf welcher Etage er anhält. Um dem heutigen Leser eine Vorstellung von charismatischem Führertum, der gottgleichen Verehrung durch seine Anhänger im Falle Alexanders des Großen zu vermitteln, zieht er (176) einen anschaulichen Vergleich mit der Aura des unfehlbaren Retters, mit der Donald Trump im Präsidentschaftswahlkampf 2016 von seinen Wählern bedacht wurde. Der Text bleibt unbelastet von wissenschaftlichen Diskussionen (es wird gelegentlich angedeutet, dass es sie gibt), Jahreszahlen und Namen werden auf das Notwendigste reduziert, der knappe Anmerkungsapparat beschränkt sich fast ausschließlich auf den Nachweis der Quellenzitate, ergänzt durch eine ebenso übersichtliche (rein englischsprachige) Literaturliste für diejenigen Leser, die dank dieses Buches zu einem tieferen Eindringen in die Welt der Antike motiviert wurden.
Zusammengefasst ein hervorragend geschriebenes, ganz individuell gestaltetes Buch, das einen neuen inspirierenden Zugang zur Antike eröffnet; das Erbe der Alten - so Spawforth - schiebt die Verzweiflung über die Unzulänglichkeiten der menschlichen Natur weg: Es spendet im Gegenteil Freude und Hoffnung.
Helmut Halfmann