Nile Green: Terrains of Exchange: Religious Economies of Global Islam, Oxford: Oxford University Press 2014, XVII + 395 S., ISBN 978-0-19-022253-6, GBP 35,00
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Im langen 19. Jahrhundert kam es zum Aufeinandertreffen des europäischen Imperialismus mit zahlreichen, bahnbrechenden technologischen Innovationen im Bereich der Technik, Kommunikation und Mobilität, an denen weltweit verschiedene Akteure und Gesellschaften beteiligt waren. Dies führte zur Öffnung neuer sozialer und kultureller Schnittstellen, an denen die lokalen und globalen Gesellschaftsstrukturen auf bisher unbekannte Weise und Intensität aufeinandertrafen. Nile Green, Professor für Südasiatische und Islamische Geschichte an der UCLA und einer der führenden Theoretiker auf dem Gebiet der Globalgeschichte, der erst vor kurzen den Ibn Khaldun Endowed Chair in World History angetreten hat [1], analysiert in der hier zu besprechenden Studie Terrains of Exchange: Religious Economies of Global Islam diese historisch hochinteressante Konvergenz. Er möchte aufzeigen, wie es in dem Zeitraum von ca. 1800-1940 zu weltweit zahlreichen Neuinterpretationen des Islam durch Austauschprozesse mit anderen Religionen kommen konnte. Um diesen Vorgang erklären zu können, möchte Green den Leser vom großen Vorteil überzeugen, Religionen als Unternehmen und Werkzeuge sozialer Macht zu verstehen, die in dieser Phase einer sich stetig zunehmenden Vernetzung der Welt in einen globalen Wettstreit standen. Zusammengefasst, liest sich die Kernthese Greens, bei der er sich vor allem auf die wichtigen Studien zur Religionsökonomie von Robert Finke und Rodney Stark beruft, in etwa so:
Religiöse Unternehmen (religious entrepreneurs) und Firmen (religious firms) produzieren religiösen Produkte wie zum Beispiel Bücher, Talismane, Kleidung oder Ritualgegenstände; die eigentlichen Religionsökonomien (religious economies) hingegen primär Dienstleistungen. Ihre Lieferanten (suppliers) bieten den Verbrauchern (consumers) also Segen, Heilung, Erlösung, Schutz, Zugehörigkeit, Vernetzung oder andere Produkte an, um sich ihre Unterstützung und Gefolgschaft zu sichern. Diese kollektiven, institutionellen Einheiten (also Moschee, Kirche, Mission, etc.) können ihren teilnehmenden Investoren darüber hinaus große soziale Netzwerke und ganze 'Sub-Communities' offerieren. Diese werden sowohl für die Produktion von sozialer Macht genutzt als auch für eine Vielzahl weltlich-pragmatischer Zwecke, wie zum Beispiel Handel, Kamerad- und Bruderschaft oder Zugang zu essentiellen Lebensgrundlagen (Nahrung, Bildung, etc.).
Die Religionsökonomien haben sich also wie andere dienstleistungsorientierte Volkswirtschaften auf die Produktion und den Transaktionswert spezialisiert, in diesem Falle ist es das immaterielle Gut (intangible commodities, bspw. 172). Letztlich verlangt der religiöse Konsument und Verbraucher als Gegenleistung für seine Gefolgschaft aber beides von seinen religiösen Liefertanten: er möchte sowohl die weltliche als auch die religiöse Rendite seiner Loyalität vor sich sehen, also handfeste materielle Unterstützung, Solidarität, Gemeinschaft, Heilung, etc., als auch die Erlösungsgarantie des jeweiligen Heilsbringers und die Produktion sinnstiftender Werte. Dieser vielschichtige Austausch und die kontinuierliche Interaktion zwischen Anbieter und Konsument ist das eigentliche Zentrum der religiösen Ökonomie, so Green: "As a model developed within sociology, at the heart of religious economy is the transactional process of exchange between producers and consumers of religious goods, services and values. What is crucial about such exchange is that it requires negotiation between two or more parties, such that the social and semantic contours of religion are generated by the exchanges - the negotiations within a given market terrain - between the various individuals and groups who constitute the supply and demand sides of the economy. In this way, religious economy avoids the pitfalls of conventional 'top-down' models of religion that focus exclusively on the familiar 'supply side' of religious productivity by way of prophets, priests and churches. By contrast, religious economy brings to light the interactive dynamics of religious life that in turn allow historians to recognize and track religious change." (7)
Im Fokus von Greens Analyse liegen die neu entstehenden terrains of exchange. Hier sollen die religiösen Akteure und ihre Institutionen als Unternehmer und Unternehmen, welche effektiv um ihre Kundschaft konkurrierten und voneinander bezüglich ihrer Missionsziele lernten, gedeutet und dementsprechend analysiert werden. Dieser neu entstehende religiöse unternehmerische Wettbewerb und die daraus resultierenden Innovationen, welche durch die zunehmenden muslimisch-christlichen Interaktionen und Adaptionen im imperialen Kontext gefördert wurden, trugen also entscheidend dazu bei, so Green, dass Muslime erfolgreich die christlichen Missionsmethoden in ihre eigenen Missionierungszwecke integrieren konnten.
Die stetig wachsenden religiösen Märkte, welche sowohl an den missionarischen Außenposten als auch den pulsierenden Metropolen der rivalisierenden Imperien und der europäischen Kolonialmächte entstanden, waren von intensivem Kontakt und Austausch geprägt. Die lokalen Reaktionen der 'Marktbesucher' schwankten zwischen freiwilliger Zusammenarbeit, offenem Wettbewerb und gewaltbereiter Konfrontation. Anhand zahlreicher überzeugender Einzelschicksale und beeindruckender Quellenzeugnisse zeigt Green auf, dass eine neue Form des Wettbewerbs vor allem dort entstand, wo zum Christentum konvertierte Muslime wieder zu ihrem alten Glauben zurückfanden und nun, ausgestattet mit dem know-how der neusten christlichen Missionierungstaktiken, diese für ihre 'indigenen' muslimischen Missionierungszwecken erfolgreich anwenden konnten. Dieser Vorgang trat immer öfter auf und kennzeichnet, Green zufolge, die 'liberale' religiöse Ökonomie ('liberal' religious economies), in der Religionsfreiheit dezidiert erlaubt war. Hier gehörten derartige Entscheidungsprozesse zu den effektivsten sozialen Kräften des religiösen Austauschs: "(...) through their interaction with Christian missionaries and empire-builders, from around 1820 Muslims quickly developed printing enterprises as far apart as Cairo, Tabriz and Calcutta. Here we see the technological implications of the Protestant theology of the British, German and American missionaries whose emphasis on converting through providing individual access to scripture through printing and translating the Bible had the unintended effect of transferring both language skills and printing technologies to Muslim religious rivals. In such places as Calcutta and Tabriz, the missionaries' former Muslim assistants began to print their own counterblasts to Christianity." (28)
Kein geringerer als Sayyid Ahmad Khan (1817-1898), "British India's greatest impresario of Islam" (28), verkörperte diese Tendenz zur Perfektion. Er kaufte "(...) a printing press for 8,000 rupees and, adapting Reverend Henry Martyn's methods for Muslim ends, hired an Englishman (for the English text) and a Jew (for the Hebrew text) in order to publish his hybrid Urdu English Hebrew Arabic Taba'in al-Kalam fi Tafsir al-Tawrat wa al-Injil' ala Millat-e al-Islam ('Contrasting Commentary on the Old and New Testaments according to the Muslim Community'). The exchanges that Martyn and Sabat had set in motion were adapted by many subsequent traffickers of faith." (28)
Die 'liberale' religiöse Ökonomie hatte aber auch ihre Schattenseiten: Fest strukturierte und organisierte christliche Missionsfirmen wurden von den übergeordneten imperialen Strukturen in der Ausübung ihrer Religion geschützt und erzwangen, ausgestattet mit enormen Ressourcen, einen neuen Pluralismus in den neu entstehenden religiösen Märkten. Sie investierten vor allem in Prediger und Druckereien, um auf diese Weise sukzessiv die traditionellen lokalen religiösen Autoritäten (suppliers of salvation) zu unterminieren. Diese forcierte liberale 'Öffnung' der religiösen Ökonomien für die neue missionarische Konkurrenz, zuerst durch ausländische christliche Missionarsmitglieder und später durch in- und ausländische muslimische Missionsfirmen, führte jedoch langfristig gesehen zu neuen kulturellen und gesellschaftlichen Konflikten.
Gerade hier eignet sich das Konzept der wert- und teleologiefreien Religionsökonomien besonders gut, da es uns hilft, diese hochkomplexen Prozesse und ihre transformative Wirkung besser verstehen zu können: "As a vernacular idiom of politics, religion is therefore a route to social power that competes in the wider political arena through its claims to cultural authenticity. By increasingly performing this role in many globalized terrains, religion has become an arena of increasing contestation, particularly in Muslim regions where religion forms a rare avenue of social mobility. Islam is a resource over which, like other resources, multiple claimants compete for control. This is especially the case among the aspirant leaders we have termed 'entrepreneurs' who struggle to direct the symbolic and material resources accessable through the founding of firms and the gaining of followers. While to focus on such instrumentalizing bids for power is to emphasize the 'supply' rather than the 'demand' side of religious economy, the suppliers we have termed entrepreneurs and firms can only gain social power through successfully appealing to markets of religious consumers. It is for this reason that the communication techniques we have followed in transit printing and translating, preaching and propagating were so crucial to competitive bids for authority. It is little wonder that cognate terms for these communication techniques (such as tabligh, da'wa, isha'at, tarjuma and irshad) feature in the names of so many of the Muslim religious firms at work in the world today." (287)
Durch Verwendung dieses spezifischen und gerade in globalgeschichtlichen Analysen bisher kaum beachteten methodischen Ansatzes kann der Autor überzeugend aufzeigen, wie die Werkzeuge der Christianisierung zu späteren Werkzeugen islamischer Missionare wurden. Die charismatische Figur des 1872 im Punjab geborenen Mufti Muhammad Sadiq ist hierfür ein geeignetes Beispiel. Für die Erreichung seiner Missionsziele orientierte er sich an den Techniken der 'Oxbridge Evangelicals' und schaffte es "(...) to transfer to America's own religious marketplace the hardwon skills which the Ahmadiyya had learned through thirty years of competing in India's own 'burned-over district'." (213)
Darüber hinaus schafft es Green, über den christlich-muslimischen Wettbewerb hinauszuschauen und andere Quellen zu Wort kommen zu lassen. Hier sticht insbesondere das fünfte Kapitel hervor (The Invention of a Hindu Sufism, 177-206), in welchem er hervorhebt, dass "(...) agency is (...) more important than identity" (36). Auf überzeugende Weise konzentriert sich Green hier primär auf die kooperativen Formen des Austauschs und analysiert den innovativen und erfolgreichen Dialog zwischen einem hinduistischen Maharaja und einem muslimischen Heiligen, die erfolgreich an einer neuen religiösen Form des hinduistischen Sufismus arbeiten.
Nile Greens Werk bringt indische und iranische muslimische Gelehrte mit christlichen Missionaren, hinduistischen Kosmopoliten und japanischen Imperialisten ins Gespräch und schafft es, die "local sites of global encounter" (1), welche den Islam und die Muslime im langen neunzehnten Jahrhundert so entscheidend verändern sollten, dem Leser auf faszinierende Weise zu präsentieren. Es sind gerade diese vielschichtigen Akteure und deren wechselnde Lokalitäten, welche die Studie so interessant und abwechslungsreich machen und die Green primär als Orte des Austauschs beschreibt. Von Cambridge und Oxford an die Grenzgebiete des Russischen Reiches, zu den Fürstenstaaten Indiens und den Fabrikbezirken Detroits, bis hin zu den Hafenstädten Japans und der Evangelischen Missionsgemeinschaft zu Basel. Dem Autor gelingt es in jedem Kapitel, die vielschichtigen sozialen Interaktionen, welche an den unterschiedlichsten muslimischen Grenzlandschaften stattfanden, zusammenzutragen und die an diesen Kontaktstellen neu entstehenden religiösen 'Produkte' einem mikrohistorischen Blick zu unterwerfen, ohne dabei die herrschenden, übergreifenden globalen Strukturen, welche auf die jeweiligen Akteure einwirkten, außer Acht zu lassen. Green präsentiert uns größtenteils unbekannte Akteure und deren Textzeugnisse. Er zeigt auf gut zu lesende Art ihre jeweiligen 'terrains of exchange', welche bisher in der Forschung kaum Beachtung fanden; seine Studie ist also unbedingt zu empfehlen.
Anmerkung:
[1] http://newsroom.ucla.edu/dept/faculty/new-endowed-chair-in-history-goes-to-nile-green-scholar-of-global-history-and-islam
Tilmann Kulke