Bodo V. Hechelhammer: Spion ohne Grenzen. Heinz Felfe - Agent in sieben Geheimdiensten, München / Zürich: Piper Verlag 2019, 410 S., 13 s/w-Abb., ISBN 978-3-492-05793-6, EUR 24,00
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Wenn denn gelten soll, dass wer A sagt, auch B sagen muß, dann kommt niemand, der über Gehlen spricht oder schreibt, an Felfe vorbei. Der KGB-Spion Heinz Felfe war, so lässt sich zugespitzt formulieren, die Nemesis des ersten Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes. Nun liegt, nachdem Rolf-Dieter Müller 2017 die voluminöse Biografie Reinhard Gehlens besorgt hat, auch die Lebensbeschreibung jenes Mannes vor, dessen langjähriger Verrat und schlussendliche Verhaftung 1961 - in zeitlicher Nähe zur Spiegel-Affäre - den BND erheblich an Reputation und Gehlen seinen Nimbus kostete, den er in den 1950er Jahren befördert hatte.
Gegenwärtig boomt die Aufarbeitung der BND-Geschichte. Müllers Zweibänder über Gehlen ist im Rahmen der dafür eingerichteten Unabhängigen Historikerkommission (UHK) entstanden. Bodo Hechelhammer, der sich Felfe schon in einer anderen Monografie ausschnittweise genähert hat, [1] gehört nicht zu diesem Kreis, ist jedoch an den BND als dessen "Chefhistoriker" noch enger gebunden. Ungeachtet dessen, und das gilt es zu betonen, ist "Spion ohne Grenzen" weit entfernt von einer Auftragsarbeit oder official history; es handelt sich vielmehr um eine kritische Auseinandersetzung nicht zuletzt mit dem westdeutschen Auslandsnachrichtendienst.
Hechelhammer sucht methodisch kein Neuland. Er geht in drei Kapiteln chronologisch vor, und hält sich dabei an die mittlerweile zugänglichen Quellen. Im Abschnitt über die nationalsozialistische Sozialisation des gebürtigen Dresdners Felfe wird die Laufbahn des jungen Mannes in den verschiedenen Parteiorganisationen erzählt: NS-Schülerbund, HJ, Allgemeine SS, NSDAP, SD, RSHA, wo er schließlich im Amt VI (Ausland) zuständig wurde für die Schweiz und Liechtenstein; 1944 kam er schließlich in den Niederlanden zum Einsatz. Früh zeichnete sich seine Persönlichkeit ab, die sich in den folgenden Jahrzehnten immer wieder aufs Neue bestätigte: nicht überdurchschnittlich begabt, aber mit praktischer Intelligenz ausgestattet; mit erwachendem Ehrgeiz strebsam und akribisch-detailbesessen; geflissentlich nach oben, meist arrogant nach unten; von Absicherungsdenken geprägt.
War Felfe vor 1945 überzeugt vom Nationalsozialismus? Wohl nicht von dessen kruder Ideologie, er nutzte eher opportunistisch die Aufstiegsmöglichkeiten, die ihm das Regime bot. Nach Kriegsende entpolitisierte er - mit Hilfe des britischen Geheimdienstes - seinen Lebenslauf und verschwieg, wo immer möglich, seine SD-Vergangenheit. Auch später, als er für die Sowjets spionierte und schließlich in der DDR lebte, war diese Entscheidung kein Ausdruck säkularen Glaubens, sondern der beständigen Suche nach dem eigenen Vorteil.
Die ersten Nachkriegsjahre sahen Felfe auf der Suche nach Arbeit. Dazu zählte die Spitzeltätigkeit für den britischen Geheimdienst MI 6 an der Bonner Universität und in der westdeutschen KPD, die sporadische Tätigkeit für die Düsseldorfer "Informationsstelle" als Vorläuferin des Verfassungsschutzes in Nordrhein-Westfalen sowie die Befragung übergelaufener Volkspolizisten für das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen. Nichts davon war von Dauer. Den 1. September 1951 macht Hechelhammer dann aus als Felfes "Tag, der sein Leben für immer verändern sollte": Er wurde vom sowjetischen Geheimdienst geworben (103). Zwischenzeitlich heuerte er mittels persönlicher Kontakte bei der Organisation Gehlen an, wo er Mitte November desselben Jahres seinen Dienst begann. Mit seinem früheren SD-Kameraden Johannes "Hans" Clemens, der ebenfalls für Pullach und für den KGB arbeitete, verband ihn eine symbiotische Komplizenschaft. Die Forschung hat inzwischen die Tätigkeit von NS-Tätern für die alliierten Geheimdienste, aber gerade auch in Organisation Gehlen und BND eindrucksvoll herausgearbeitet. Die Biografie Felfes verdeutlicht einmal mehr den Nutzwert alter Seilschaften aus den Diensten des "Dritten Reiches".
Über die offene Grenze in Berlin, das benachbarte Österreich und die Frau von Clemens in Dresden hielt Felfe den Kontakt mit den Sowjets. Eine kaum nachvollziehbare Laxheit in Sicherheitsfragen in Gehlens Truppe kam ihm entgegen. Und dies, obwohl Hinweise, dass er sich auffällig gebe, bei den Briten, im Verfassungsschutz, bei der CIA und im BND selbst schon früh die Runde machten. In Pullach wurde bekannt, dass Felfe seine SD-Tätigkeit verschwiegen hatte - dennoch verhinderte das seine Verbeamtung nicht; er lebte weit über seine beruflich bedingten finanziellen Möglichkeiten; er hatte problemlose Erfolge gegen jede Logik nachrichtendienstlicher Arbeit. Aber alle Skeptiker im eigenen Haus fanden zunächst keine Beweise, wurden angesichts seines vermeintlichen Talents in der operativen Arbeit kaltgestellt oder Opfer sowjetischer Verleumdungskampagnen. Mit Felfe wurde in Pullach in geradezu traumwandlerischer Sicherheit der sprichwörtliche Bock zum Gärtner gemacht, als ausgerechnet er 1958 zum Leiter der Gegenspionage gegen die Sowjetunion aufstieg und damit für die Aufklärung sowjetischer Geheimdienstaktivitäten, auch gegen den eigenen Dienst, verantwortlich zeichnete.
Im gleichen Jahr intensivierten sich allerdings verschiedene geheim gehaltene Ermittlungen gegen Felfe. Am Ende - er hat das später nie akzeptieren können - opferte ihn der KGB. Dessen letzter Coup war es, durch die Enttarnung des einstigen Spitzenagenten dem BND einen nachhaltigen Imageverlust zuzufügen. Vielleicht war dies sogar der größte Gewinn für die östliche Seite: Denn nun geriet die "braune" Personalpolitik Pullachs in das öffentliche Interesse. Außerdem war man im BND nachhaltig verunsichert: Es machte das - nie bestätigte - Gerücht die Runde, es existiere ein weiterer, ähnlich gut positionierter sowjetischer Spion im Dienst. Die Ermittlungen von BND und CIA zum Umfang des Felfe-Verrats kamen auf die Offenlegung von fast 20 Gegenspionageoperationen durch ihn, die Weitergabe von ca. 15.000 Aufnahmen von Schriftstücken und die Übermittlung der Klaridentität von fast 100 Personen, die für den amerikanischen Dienst tätig waren, sowie einer ähnlichen Zahl von BND-Mitarbeitern.
Nach langwierigen Verhandlungen mit der DDR, in der Bundesrepublik begleitet von einem mühsamen Entscheidungsprozess zwischen Politik, Justiz und Nachrichtendienst, wurde Felfe nach knapp sechs Jahren Haft (von 14, zu denen er 1963 verurteilt worden war), gegen erhebliche interne Widerstände ausgetauscht. Diese Verhandlungen vermag Hechelhammer mit allen Finten in ihrer Ausführlichkeit erstmals zu schildern. Das abschließende "Ostberliner" Kapitel über die letzten beinahe 40 Lebensjahre Felfes in der DDR und im vereinten Deutschland mit seinen 100 Seiten hat zwar Neuigkeitswert, dokumentiert aber auch die Belanglosigkeit des Lebens eines abgeschalteten Agenten. Es handelt über den privaten Felfe, die Mühen des MfS mit dem verwöhnten, nie zufriedenen, voller Privilegien lebenden Sowjetspion, die "Akademisierung" Felfes, die ihn unter Anleitung der Staatssicherheit zu protegierter, kaum wissenschaftliche Kriterien erfüllende Promotion und Habilitation führte, und seine Tätigkeit im Fach Kriminalistik an der Humboldt-Universität. Vieles wiederholt sich, in Felfes Leben wie auch im Buch: die ausgiebigen Urlaube in Ländern des Ostblocks, die vergeblichen Bemühungen, in den Westen reisen zu dürfen, die schwierige familiäre Situation, die neuen Partnerschaften. Nach dem Ende der DDR verlor Felfe zwar seine Beschäftigung an der Universität, und Hechelhammer weist treffend darauf hin, dass wie schon bei Felfes Tätigkeit für das Reichssicherheitshauptamt nun seine Nähe zum MfS vom "politischen Privileg zu einem historischen Makel" wurde (345). Da er aber vor allem ein Mann des KGB war, profitierte er zeitlebens von der Unterstützung Moskaus.
Ergiebig ist in diesem Kapitel vor allem die Schilderung der Entstehung der Memoiren Felfes und die Reaktion des BND darauf. Die Arbeit an den Erinnerungen hatte lange gedauert, und im BND war über ein Anti-Felfe-Gegenbuch nachgedacht, ja bereits ein Manuskript ("Moskau ruft Heinz Felfe") erstellt worden. Während dieses schon 1970 druckreife Werk nach einem Veto aus dem Kanzleramt nie auf den Buchmarkt kam, stellte die Publikation des MfS-Überläufers Werner Stiller "Im Zentrum der Spionage" anderthalb Jahrzehnte später eine direkte Reaktion Pullachs auf Felfes Band "Im Dienst des Gegners. 10 Jahre Moskaus Mann im BND" dar; beide erschienen 1986.
Hechelhammers Untersuchung ist in ihrer nüchternen, sachlichen Konzentration auf die Person Heinz Felfes notwendigerweise viel begrenzter als das UHK-Projekt; aber sie greift Themen, denen sich die Historikerkommission in großer Breite und Tiefe - teilweise redundant - widmet, sehr fokussiert auf: die Tätigkeit von NS-Tätern für westliche Dienste und für Pullach; die allzu oft auf persönlichen Bekanntschaften beruhende, wenig systematische Personalrekrutierung und -politik von Gehlens Apparat; die Probleme des Auslandsnachrichtendienstes, erfolgreich Quellen zu rekrutieren; die Anfälligkeit für Gegenspionageoperationen von KGB und MfS; die Sorglosigkeit hinsichtlich der inneren Sicherheit. Immer wieder rückt der Autor auch falsche Behauptungen Felfes aus dessen Autobiografie zurecht.
Was dem Buch fehlt, ist ein abschließendes Kapitel, das den Fall Felfe in größere Zusammenhänge stellt. Für die Vogelperspektive nützlich wäre eine Einordnung des RSHA-Mitarbeiters in die NS-Täterforschung gewesen. Ein Vergleich mit dem Verratsfall Hans Joachim Geyer aus dem Jahr 1953 oder den Fällen Gabriele Gast und Rainer Rupp drängt sich ebenso auf wie mit den großen Spionageaffären der frühen 1960er Jahre in Großbritannien - George Blake und Kim Philby - und deren gesellschaftlicher Verarbeitung sowie den Konsequenzen für die jeweilige intelligence community. Insofern eröffnet die Fokussierung des Buches bereits neue Fragen für eine Erweiterung des Blickfeldes - über Heinz Felfe hinaus.
Anmerkung:
[1] Vgl. Bodo V. Hechelhammer, Doppelagent Heinz Felfe entdeckt Amerika. Der BND, die CIA und eine geheime Reise im Jahr 1956, Paderborn 2017; zu Rolf-Dieter Müllers Gehlen-Biografie vgl. die Besprechung in: http://www.sehepunkte.de/2018/09/31212.html.
Armin Wagner