Martin Homza: Mulieres suadentes - Persuasive Women. Female Royal Saints in Medieval East Central and Eastern Europe (= East Central and Eastern Europe in the Middle Ages, 450-1450; Vol. 42), Leiden / Boston: Brill 2017, XI + 260 S., ISBN 978-90-04-31466-5, EUR 121,00
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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.
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Das hier besprochene Buch ist die leicht überarbeitete und ins Englische übersetzte Version der auf Slowakisch gedruckten Dissertation [1] Martin Homzas, der sich als einer der führenden Mediävisten der neuen slowakischen Historiografie mit zahlreichen Schriften hervorgetan hat.
Das Buch ist einem bemerkenswerten Thema gewidmet: dem in der mittelalterlichen Hagiografie und Geschichtsschreibung weit verbreiteten Topos der mulier suadens, der persuasiven Mutter oder eben Ehefrau, mit deren Hilfe heidnische Herrscher bekehrt werden und anfangen, ein christliches Leben zu führen. Die Anfänge dieser historiografisch-hagiografischen Tradition wurzeln sehr tief in der biblischen Kultur. Wie im Buch korrekt dargestellt wird, gehen die Urnarrative dieses Topos bis auf die heilige Helena, die Mutter Kaiser Konstantins des Großen, zurück.
Neben der Erörterung der Taten der heiligen Helena enthält das Buch Kapitel über die heilige Ludmila von Böhmen, die Ehefrau von Bořivoj, dem ersten historisch belegten Přemysliden, die heilige Olga, die Urmutter der Rurikiden, und über Adelheid, die angebliche Mutter des heiligen Stephan. Das Werk bearbeitet also keineswegs alle relevanten und bekannten Fälle, aber es bietet ein auch geografisch übergreifendes Tableau zum Thema.
Der im Kapitel "St. Ludmila of Bohemia, Model of Female Ruler Sainthood in Central-East Europe?" wenn auch in Frageform formulierte Grundgedanke des Buches besteht darin, dass der Topos der christlichen Herrscherin in Ostmitteleuropa auf den Kult der heiligen Ludmila zurückzuführen sei. Hierbei folgt der Verfasser den Spuren der traditionellen böhmisch-tschechischen beziehungsweise tschechoslowakischen Historiografie. Es ist allgemein bekannt, dass der Begriff "Ostmitteleuropa" in den einzelnen Nationalhistoriografien unterschiedlich konnotiert ist. Die böhmisch-tschechische sowie ein Teil der polnischen Geschichtsschreibung verbanden die Anfänge Ostmitteleuropas immer mit dem Großmährischen Reich, dessen Teilerben eben die Přemysliden gewesen seien, die dann - als Nachfolger der mährischen Herrscher vom 11. Jahrhundert an - die Entstehung der ostmitteleuropäischen Monarchien der Piasten und der Àrpàden prägten. Ob diese Idee stimmt oder nicht, kann in einer kurzen Buchbesprechung umso weniger entschieden werden, als außer anderen, in den polnischen und anderen nationalhistorischen Darstellungen erörterten Ideen auch die Theorien einer ganz anderen Schule zu beachten wären, die das Phänomen Ostmitteleuropa nicht aus nationaler Perspektive, sondern mithilfe komparatistischer Arbeiten über einzelne strukturelle Gebilde zu erklären versuchten. [2]
Gerade angesichts der vielfältigen Fachliteratur zu Ostmitteleuropa mit ihren heterogenen Zugängen stellt sich die Frage, ob es sich auch heute noch lohnt, sich wie im Falle von Homzas Monografie von romantischen historiografischen Ideen leiten zu lassen, statt klare methodologische Grundsätze zu befolgen und quellenkritische Notwendigkeiten zu berücksichtigen.
Die Probleme beginnen mit der Frage, ob es sich im Falle der mulieres suadantes um einen hagiografischen Topos handelt, der von mittelalterlichen Autoren auf spezielle Fälle angewandt wird, oder aber umgekehrt um Fälle, die eo ipso die Doktrinen der von Homza vertretenen historiografischen Schulen belegen. Leider muss man mit etwas Bedauern feststellen, dass eher letztere Überlegung dem Verfasser die Feder geführt hat. Es werden Quellen unterschiedlicher Provenienz, Entstehungszeit und Zuverlässigkeit bearbeitet, die nicht selten eine Forschungsliteratur im Umfang einer mittelgroßen Stadtbücherei hervorgebracht haben.
Die unzuverlässigste historische Quelle stellt hierbei die sogenannte Ungarisch-Polnische Chronik dar, die Anfang oder - wie der Verfasser in der von ihm verantworteten slowakischen Edition des Textes feststellt - Mitte des 13. Jahrhundert entstanden ist (103 ff.). Sie enthält die Geschichte der angeblichen Mutter des heiligen Stephan, die Adelheid geheißen habe und die Schwester von Mieszko I. von Polen gewesen sein soll. Auch in der ungarischen Geschichtsschreibung sind hitzige Debatten über die Frage geführt worden, ob Fürst Géza eine zweite Frau gehabt habe und, falls ja, ob dies Adelheid und diese dann wiederum die Mutter des heiligen Stephan gewesen sei? Aber der allgemeine Quellenmangel und die Unsicherheit der vorliegenden Texte, wie der Ungarisch-Polnischen Chronik, verhindern eine Klärung dieses Problems. So bleiben nur die Hypothesen von Gelehrten, wie auch die von Homza, die insofern weiter reicht als die anderen, als sie unter Berufung auf die Abstammung Adelheids den Àrpàden eine slawische Herkunft zuspricht, die - wenn man die auf Seite 200 zitierte Passage aus Stěpàn Launers 1847 geschriebenem, ziemlich panslawistisch gesinntem Werk richtig versteht - den Àrpàden das zur kulturellen Herrschaft notwendige slawische Blut zukommen ließ. Die Beurteilung, ob so eine Idee zu Beginn des 21. Jahrhundert noch seriös klingt, überlasse ich dem Leser. Eines ist sicher: Die Blutlinie des heiligen Stephan starb mit seinem Tode aus, alle anderen Àrpàden stammen aus der Nebenlinie der Dynastie, deren Ahnen Vazul und seine Söhne (Andreas I. und Béla I.) waren.
Während, der Grundidee des Buches folgend, der angeblichen Adelheid zu viel Raum gewidmet wird, werden wichtige Fragen der ersten Eheschließungen ostmitteleuropäischer Herrscher vernachlässigt: Man hätte vielleicht auch auf die Frage eingehen können, welche Rolle hierbei die (halb-)heidnischen uxores gespielt haben und wie sie später durch das Prisma der christlichen Ehe beurteilt worden sind. Sowohl unter den Piasten als auch unter den Přemysliden und Àrpàden tauchen im 11. Jahrhundert (Ehe-)Frauen auf, die den Normen der heiligen Helena wenig entsprechen, aber nicht selten auch zur Ahnherrin einer Dynastie wurden, wie zum Beispiel Božena, die uxor von Břetislav I. von Böhmen, die nur "eine Frau aus dem Geschlecht Tàtony" genannte Mutter der nach dem Heiligen Stephan an die Macht gekommenen Àrpàden Andreas, Béla und Levente, oder die erste Frau des Fürsten Władysław Herman von Polen.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass das hier besprochene Buch ein sehr interessantes Thema behandelt, das in einem ost- beziehungsweise ostmitteleuropäischen Kontext noch nie zuvor erörtert wurde, obwohl den heiliggesprochenen Herrschern und Herrscherinnen schon von Gábor Klaniczay mehrere Studien gewidmet worden sind. [3] Es stellt sich aber die Frage, ob Studien mit kulturhistorischen Fragestellungen der handwerklich korrekten Erschließung und Beurteilung von Quellen entbehren können und grundsätzliche methodologische Erwartungen der komparatistischen Geschichtsforschung einfach missachtet werden dürfen. Hierbei scheint der Rezensent offensichtlich anderer Meinung zu sein als der Verfasser. Um ein kurzes, aber plausibles Beispiel zu geben: Die "female royal saints" lassen die Thematisierung heilig gesprochener Königinnen, nicht aber nie kanonisierter Frauen oder Mütter von Herrschern, die nie zu Königen erhoben worden sind, erwarten.
Anmerkungen:
[1] Martin Homza: Mulieres suadentes. štúdie z dejín ženskej panovnickej svätosti v strednej a vo východnej Európe v 10.-13. storočí Presviedčajúce ženy, Bratislava 2002.
[2] Karol Modzelewski: Organizacja gospodarcza państwa Piastowskiego. X-XIII wiek [Die wirtschaftliche Organisation des Piastenstaats. 10.-13. Jahrhundert], Wrocław 1975; František Graus: Die Entstehung der mittelalterlichen Staaten in Mitteleuropa, in: Historica 10 (1965), 5-65.
[3] Vgl. Gábor Klaniczay: Holy Rulers and Blessed Princesses. Dynastic Cults in Medieval Central Europe, Cambridge 2002.
Daniel Bagi