Hanna Christine Jacobs: Raumerzählung. Narration und räumliche Disposition hagiographischer Bilderzyklen des Tre- und Quattrocento, Berlin: Deutscher Kunstverlag 2019, 412 S., 99 Farb-, 257 s/w-Abb., ISBN 978-3-422-07491-0, EUR 98,00
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Das vorliegende Buch mit dem Titel "Raumerzählung" tritt mit einer vierteiligen Gliederung an die Leser und Leserinnen heran: Dem Erkenntnisinteresse (9 ff.) folgen "Begriffsdefinition"en (37 ff.) und "Bild-Erzählen in theoretischer und diachronischer Perspektive" (50 ff.). Ab Seite 125 ff. folgen die Fallbeispiele sowie Exkurse (125 - 331). Das Buch nimmt mit diesen 120 "Eingangsseiten" eine teilweise deduktive Behandlung der im Trecento so wichtigen Ebene der Bilderzählung ein. Glaubte man bisher eine Ahnung von dem Wandel der Bildlichkeit (Bilderzählung) im Due- und Trecento, vereinfacht von Duccio oder Giotto bis Masaccio, zu haben, so "fielen" doch z.B. Maler wie Matteo Giovannetti, der "Hofmaler" (pictor papae der Päpste seit etwa 1350), immer wieder "durch" (150 ff.), weil sie trotz Erwin Panofskys Aufsatz "Die Perspektive als symbolische Form", in dem gezeigt wurde, dass auch Sehen etwas historisches ist, das (kunsthistorisch gesetzte) Ziel - die zentralperspektivische Schilderung eines Sachverhaltes - nicht erreichten. Gerade Giovannetti wurde, wie auch unlängst Tanja Hinterholz verdeutlichte [1], stets deswegen als "zurückgeblieben" (Umschreibung, kein Zitat) charakterisiert, weil seine Bildlösungen oder die "Raumerzählung" immer wieder falsch rezipiert worden sind. Diese Irritation ist seit Jacobs und Hinterholz für Giovannetti gelöst.
Jacobs hat dies im vorliegenden Band anhand der Johanneskapelle im Papstpalast von Avignon deutlich dargelegt (152-159): Vermittels der Verortung der Bilder im Bildsystem der Kapelle kommt es darauf an, wie Zeichen oder ikonographische Inhalte / Themen einander zugeordnet sind oder, wie man vielleicht angesichts des Buchtitels richtigerweise sagen sollte: inwiefern sich Erzählung und räumliche Disposition zu einem wichtigen Werkzeug der Bilderzählung im Tre- und Quattrocento ergänzten. In ähnlicher und jeweils individueller Weise wird dies für Castiglione Olona, für San Clemente in Rom, für San Francesco in Montefalco, für die Bardi-Kapelle in Santa Croce, Florenz und nicht zuletzt für San Maria Aracoeli in Rom sowie das Baptisterium des Domes in Padua gezeigt, ohne, dass hier auf alle Beispiele eingegangen werden kann.
Methodisch gesehen, schlägt Jacobs den Bogen von der (allgemeinen) Ikonografie zu einer Art von Sonderform, die eigentlich selbstverständlich sein sollte, wiewohl manche "Begriffsduftzerstäuber" erst einmal das Besondere herauszuheben und zu interpretieren beginnen, bevor sie sich an die Gegenstandssicherung des Werkes begeben. In solchen positivistischen Gegebenheiten wirken aber nicht selten eine Menge von bild- oder inhaltsvermittelnden Medien und Inhalte, also auch - wie die Beispiele zeigen - Inschriften, Sprache, Tituli, Textrahmen, Erzählung, Darstellung und nicht zuletzt signifikante Verortungen innerhalb und außerhalb des Bildsystems, in einer Einheit zusammen. Wenn wir weder die Ortsbezogenheit noch Lage, Inhalt oder andere bildinterne Elemente und Hinweise ernst nehmen, könnte man gleichermaßen annehmen, dass Ort und Inhalt eines Bildes beliebig wären. Und es würde uns nur verwundern, wenn die spezifische Art der Bilderzählung oder die Bildsystematik von Themata wie dem im Bild beigefügten Text (Inschrift, Titulus, Kommentar usw.) nicht beeinflusst würden, wie auch der Text einer Handschrift nicht selten im Kontext mit seiner Illustration steht. Es kommt also nicht so sehr ausschließlich (!) darauf an, was in welcher Zeit wie dargestellt wurde, sondern welche Referenzpunkte wir haben, um Besonderheiten der Bildsprache und des Bildsystems aufeinander zu beziehen und deren Wirkung auf so etwas wie das Bildverständnis, den rezeptiven Akt des Dargestellten, zu untersuchen (bes. 155, 157 [z.B. für Giovannetti] und passim). Es ist, von Ausnahmen abgesehen, eigenartig, dass die selbstverständliche Einsicht, dass es keineswegs egal ist, ob Johannes' Vita im Palast der Päpste, in der Stadt Rom, in einem anderen Sakralbau oder in profan genutzten Räumen dargestellt wurde, in der Vergangenheit nicht immer beachtet und berücksichtigt wurde. Jacobs umschreibt dies als "beeindruckende Konvergenzen ... zwischen Realraum und Bildräumen" (58). Jacobs ist keine Positivistin im Sinn einer Invektive - sie respektiert das Bild und all dessen Elemente.
Um nicht die unterschiedlichen Bildsysteme dieses Bandes Revue passieren zu lassen, sondern die Methode der Autorin nochmals zu differenzieren: Manchmal wird in der Malerei die Tektonik des Realraums zugunsten der innerbildlichen Raumlogik vernachlässigt, was regelmäßig zu Verwunderung führte. [2] Sie hat jedoch zumeist inhaltliche Gründe und ist damit zu behandeln wie Ikonogramme oder eben als "erzählerische Dramatik" (158).
Den Raumvorstellungen im Mittelalter waren in den letzten Jahren eine Reihe von Studien gewidmet, seien es Werke zu den Raumvorstellungen im Mittelalter, seien es z.B. die Giotto-Forschungen von Frank Büttner oder Michael V. Schwarz und nicht zuletzt Überlegungen zum Sehen im Trecento generell. [3] Nicht immer konnte man sich aber davon lösen, dass gerade seit dem Trecento - wie die Beispiele Jacobs zeigen - anachronische Erzählweisen vielleicht nicht gerade die Regel, aber keineswegs mehr die Ausnahme waren (bes. 14 ff.). Hinzu kam die "Entdeckung" des Raumes oder zumindest ein gesteigertes Interesse an Räumlichkeit, so dass die Bilderzählung sowohl eine "Erzählzeit des Bildes" wie eine "Erzählte Zeit im Bild" umfassen konnte, wie auch andererseits ein "Erzählraum des Bildes" von einem "Erzählten Raum im Bild" (50-59) differenziert werden kann.
Die Maler des Tre- und Quattrocento konnten auf diese Weise eine besondere "figura" der Welt zeigen, keine Historia oder klassische Narration, sondern eine Art Abbild einer komplexen Welt, in der Hagiografie mit Erzählungen, Imaginationen, Analogisierungen in der Nachfolge der Typologie und ihrer Derivate gewissermaßen verschmolzen. Wie in Handschriften die Illustrationen nicht nur für sich standen, sondern gleichzeitig eine "Marke", eine Art "Lesezeichen" im Gewirr des Codex darstellten, so konnte die Raumerzählung im Trecento Referenzen auf konkrete Bilder der Homiletik zum Gegenstand haben (188 ff.). Und wenn schon von Predigten die Rede ist, so wird man zu Recht annehmen dürfen, dass auch die Liturgie nicht unbeeinflusst bleibt (213 ff.).
Alles in allem eine kluge Arbeit, an der wenig auszusetzen ist und die einen wichtigen Platz unter den zahlreichen Studien dieses so spannenden kunsthistorischen Kapitels einnehmen wird.
Nachwort 1:
Warum bei einem derart renommierten Verlag die Fußnote 207 (158) erst auf Seite 245 folgt, also weder auf derselben Seite wie die Fußnote, noch im Anhang an Text und / oder Abbildungen, ist nach wie vor nicht nachvollziehbar und deklassiert den Verlag, der wohl bald nach Gutdünken irgendwo Abbildungen, Exkurse und Fußnoten einfügen wird.
Nachwort 2:
Ein persönlicher und redaktioneller Hinweis: Der Umstand, dass mir Frau Jacobs ihren Dank aussprach (7), bezieht sich auf einige Gespräche am Rand des Kunsthistorikertags in Dresden bzw. auf einen gemeinsamen Besuch im Rahmen einer Exkursion des Papstpalastes in Avignon. Eine bedeutende Mitwirkung jenseits der Bereitschaft zuzuhören und mit der Autorin zu diskutieren, ist nicht erfolgt, sonst hätte ich den Auftrag zur Besprechung nicht angenommen.
Anmerkungen:
[1] Raum und Sehen am päpstlichen Hof von Avignon. Innovation in der Malerei Matteo Giovannettis, im Druck.
[2] Vgl. zu Giovannetti z.B. Dieter Blume: Rom im Exil - Die fiktiven Räume des Matteo Giovanetti in Avignon, in: Convivium II/1 (2015), 74-87, oder die oben schon erwähnte Arbeit von Tanja Hinterholz.
[3] Ausführlich in der hier zu besprechenden auf den Seiten 13-22 und in der Literatur (401-409) sowie in der in Anm. 1 genannten Arbeit. Der Halbsatz zuletzt war ein Hinweis u.a. auf S. Conklin Akbari: Seeing through the Veil: Optical Theoryand Medieaval Allegory, Toronto [u.a.] 2004. Nicht zu vergessen sind selbstverständlich die Arbeiten von Hans Belting!
Gottfried Kerscher